Panorama

Jubel in Chile Alle Bergleute gerettet

(Foto: dpa)

Mission erfüllt. Die Helfer in der Mine, nachdem der letzte Kumpel gerettet war.

Mission erfüllt. Die Helfer in der Mine, nachdem der letzte Kumpel gerettet war.

(Foto: Reuters)

Als letzter Kumpel entsteigt Luis Urzúa Iribarren um 2.55 Uhr MESZ der Rettungskapsel "Phönix". Seine Rückkehr "ins Leben" nach mehr als zwei Monaten in der Dunkelheit der Mine wird frenetisch gefeiert und von Millionen Menschen in aller Welt verfolgt.

Mission erfüllt: In Chile sind alle 33 Minenarbeiter sicher an die Erdoberfläche zurückgekehrt. Luis Urzúa Iribarren stieg am Mittwoch um 21.55 Uhr Ortszeit (Donnerstag, 02.55 Uhr MESZ) aus der Rettungskapsel "Phönix", die ihn aus gut 600 Metern Tiefe nach oben gebracht hatte. Er wurde mit frenetischem Jubel empfangen und vom sichtlich ergriffenen Präsidenten Sebastián Piñera umarmt. "Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt", sagte Piñera. Der Staatschef harrte die ganze Zeit am Ausgang des Rettungsschachtes aus und begrüßte die Kumpel mit den Worten: "Willkommen zurück im Leben." Urzúa entgegnete mit einer Nationalflagge um die Schultern: "Ich übergebe Ihnen die Schicht und hoffe, das dies niemals wieder geschehen wird."

Luis Urzúa Iribarren, der letzte Gerettete der "33".

Luis Urzúa Iribarren, der letzte Gerettete der "33".

(Foto: AP)

Die letzte Phase der Rettungsaktion in der Atacama-Wüste dauerte damit nur 22 Stunden und 39 Minuten. Die Befreiung verlief reibungslos. Statt der veranschlagten Stunde hatte es im Schnitt nur 40 Minuten gedauert, die Kapsel zu prüfen, hinabzulassen und einen Kumpel nach oben zu ziehen. Urzúa Iribarren war der Chef der Kumpel unter Tage gewesen, er hatte in der Tiefe entscheidend zum Zusammenhalt der Gruppe beigetragen. Bevor er sich selbst auf den Weg nach oben machte, wollte der 54-jährige Urzúa erst alle anderen eingeschlossenen Kumpel gerettet wissen.

Unten in der Unglücksmine hielten die zunächst zurückgebliebenen Helfer wenige Minuten nach der Bergung des letzten Kumpels ein Schild in die unterirdisch installierten Kameras. Darauf stand: "Mision cumplida. Chile" (Mission erfüllt. Chile). Um 0.32 Uhr Ortszeit, also 5.32 Uhr MESZ, erreichte der letzte Helfer die Oberfläche. Seine Fahrt dauerte nur 11 Minuten. Schon zuvor knallten die Sektkorken und die Menschen sangen die Nationalhymne. Rund um den Globus verfolgten nach Schätzung chilenischer Medien mehr als eine Milliarde Menschen den glücklichen Ausgang des Dramas.

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(Foto: AP)

Piñera dankte den Bergarbeitern für ihre Ausdauer und den Rettern für deren unermüdlichen Einsatz. "Chile ist heute nicht mehr das gleiche Land wie vor 69 Tagen", sagte er. Das Land sei heute geeinter und stärker und werde in der Welt mehr respektiert und geschätzt. Die Bergleute hätten ein leuchtendes Beispiel von Mut, Loyalität und Kameradschaft gezeigt. Piñera fügte aus ganzem Herzen hinzu: "Viva Chile!" ("Es lebe Chile").

Rettung in drei Gruppen

Als erster war Florencio Ávalos am Mittwoch um kurz nach Mitternacht Ortszeit (05.10 Uhr MESZ) mit der engen Rettungskapsel aus dem unterirdischen Gefängnis befreit worden. Es folgte Mario Sepúlveda, der die Menge mit einem bewegenden Jubelausbruch rührte. Der jüngste der Kumpel, Jimmy Sánchez (19), wirkte nach dem Ausstieg aus der Kapsel deutlich angeschlagen. Chiles Gesundheitsminister war dennoch guter Dinge, dass die Bergleute die wochenlangen Strapazen körperlich ohne große Probleme überstehen. "Sie sind in einem sehr guten Gesundheitszustand", sagte Jaime Mañalich.

Sepúlveda wurde wie ein Rockstar bejubelt. "Ich war bei Gott, ich war beim Teufel, sie kämpften um mich, Gott hat gewonnen", sagte er im ersten Interview nach der Rettung. Sein Kollege Juan Illanes Palma antwortete auf die Frage, wie die Fahrt denn gewesen sei: "Wie eine Vergnügungstour." Claudio Yáñez, der seiner Freundin versprochen hatte, sie nach der Rettung zu heiraten, wurde von seinen beiden weinenden Töchtern umarmt. Die Bilder von der unglaublichen Freude über die Rettung konnten auch die anderen Kumpel in mehr als 600 Metern Tiefe sehen.

Kumpel sind in guter Verfassung

Ausgelassen und bei bester Gesundheit zeigte sich Mario Sepúlveda.

Ausgelassen und bei bester Gesundheit zeigte sich Mario Sepúlveda.

(Foto: dpa)

Mit dem 16. Bergmann, dem 27-jährigen Daniel Herrera, war die Rettung der Gruppe der schwächsten Minenarbeiter abgeschlossen worden. Der Lastwagenfahrer wurde von seiner Mutter Alicia Campos sowie von der chilenischen Präsidentengattin Cecilia Morel in Empfang genommen.

Am frühen Nachmittag (Ortszeit) tauchte der 17. Bergmann, Omar Reygadas, aus der Tiefe auf. Der 56-jährige Elektriker war der Erste der körperlich Stärksten, die als dritte und letzte Gruppe aus der Gold- und Kupfermine geborgen werden. Am Anfang waren die geistig Fittesten aus dem Stollen geholt worden, die auf Probleme bei der Bergung hätten hinweisen oder schnell reagieren können. Die Kumpel wurden in einer Rettungskapsel, deren innerer Durchmesser nur 53 Zentimeter betrug, durch einen schmalen Schacht aus dem Stollen gezogen.

Unter lautem Jubel schlossen die nach langer Leidenszeit befreiten Bergleute ihre Frauen und Kinder in die Arme. 69 Tage hatten sie zwischen Angst und Hoffnung in der Tiefe verbracht, nachdem sie am 5. August verschüttet worden waren. Nie zuvor mussten Bergleute so lange unter Tage ausharren. Die Männer schrien, weinten und umarmten glückstrunken die Helfer am Schacht.

Untersuchung und Ruhe

Präsident Sebastian Piñera begrüßte jeden einzelnen Bergmann - und hielt danach eine emotionale Rede.

Präsident Sebastian Piñera begrüßte jeden einzelnen Bergmann - und hielt danach eine emotionale Rede.

(Foto: dpa)

Die Geretteten wurden in ein bereitstehendes Behelfslazarett getragen, wo sie kurz untersucht werden. In dem abgeschirmten Bereich durften sie mit Angehörigen reden, dann wurden je vier der Kumpel zusammen mit Hubschraubern in die Klinik der nahe gelegenen Stadt Copiapó geflogen.

Die Männer werden in einem für sie reservierten Flügel des Hospitals untergebracht. Um sie zunächst gegen das grelle Tageslicht zu schützen, sind ihre Zimmer dort abgedunkelt. Gesundheitsminister Mañalich zufolge sind bei den Männern möglicherweise Zahn- und Hautprobleme zu erwarten.

"Ich bin so froh, danke Gott, dass er gut zurückgekommen ist", sagte der Vater von Ávalos. "Alles Schlimme liegt jetzt hinter uns und alles Schöne vor uns", sagte Alicia Campos, Mutter von Daniel Herrera. Ihr Sohn wurde als 16. gerettet.

Gewaltiges Medienecho

Angehörige, Bergleute und auch die etwa 1600 Journalisten aus aller Welt reagierten im Lager Esperanza mit Jubelschreien und Freudenausbrüchen auf jede neue Rettung. Auch bei Berichterstattern flossen die Tränen. Luftballons in den chilenischen Nationalfarben Rot, Weiß und Blau stiegen in den Himmel. "Die Erde hat einen Mann geboren", formulierte das chilenische Staatsfernsehen, als der erste Kumpel aus der engen Rettungskapsel stieg. "Das hat den chilenischen Traum erfüllt", sagte Präsident Piñera voller Stolz über die wie am Schnürchen laufende Aktion.

Die Kapsel macht sich mit einem Bergmann an Bord auf den Weg in die Freiheit.

Die Kapsel macht sich mit einem Bergmann an Bord auf den Weg in die Freiheit.

(Foto: REUTERS)

Weltweit wurde die Rettung live verfolgt, auch n-tv übertrug das Geschehen in der Wüste. "Wir sind bei unseren Kollegen in Chile. Ich möchte unserer Schutzpatronin - der Heiligen Barbara - Dank sagen", sagte ein Bergmann im Bergwerk Saar. Die Menschen im österreichischen Örtchen Lassing, in dem 1998 ein Bergmann und zehn Helfer verschüttet worden waren, freuten sich ebenfalls über den glücklichen Verlauf.

Bei Twitter war alles voller "alegría", dem spanischen Wort für Freude. Überschwänglich beschrieben viele ihre Gefühle. "Heute sind wir alle Chilenen", hieß es. "Wir sind mit Dir, Chile!"

Gute Worte

Gefreut haben dürften sich die oft tiefgläubigen Chilenen vor allem über die Worte von Papst Benedikt XVI. "Ich empfehle die Bergleute, die in der Atacama-Region in Chile verschüttet sind, weiterhin mit Hoffnung der Güte Gottes", sagte das katholische Kirchenoberhaupt in Rom.

Auch weltliche Führer fanden wohlwollende Worte. US-Präsident Barack Obama, der die Rettung am Fernsehen verfolgte, wünschte Glück. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte in einem Schreiben: "Die Kameradschaft und die Widerstandskraft der Bergleute, die Planung und Effizienz der Rettungsaktion und die Solidarität aller haben der Welt eine Botschaft der Hoffnung und Zuversicht gegeben." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ ebenfalls ihre Freude ausdrücken. Auch Spaniens König Juan Carlos freute sich über den Erfolg der Chilenen.

Der bolivianische Kumpel Carlos Mamani mit seinem Präsidenten Morales (r.) und Piñera.

Der bolivianische Kumpel Carlos Mamani mit seinem Präsidenten Morales (r.) und Piñera.

(Foto: AP)

Boliviens Präsident Evo Morales kam, um den einzigen Nicht-Chilenen im Team, Carlos Mamani aus Bolivien, zu besuchen. Der Sender BBC berichtete, Mamani sei eingeladen, in der Präsidenten-Maschine zurück in die Heimat zu fliegen. Als Mamani aus der Kapsel stieg, schwenkten Chiles Präsident Piñera und einige Helfer bolivianische Fähnchen. Die gespannten Beziehungen der Länder schienen vergessen. Die Rettung Mamanis sei das Symbol einer neuen Einheit zwischen beiden Ländern, lobte die Zeitung "Los Tiempos".

Gefährlicher Job

Die Bergleute hatten seit dem 5. August in der Kupfer- und Goldmine in der Atacama-Wüste festgesessen. Um mit den knappen Ressourcen zu haushalten, aßen sie lediglich alle zwei Tage zwei Löffel Thunfisch. Erst nach 17 Tagen konnte die Gruppe ein Lebenszeichen absetzen. Die Internationale Föderation der Chemie-, Energie-, Bergbau- und Fabrikarbeitergewerkschaften (ICEM/Genf) schätzt, dass jedes Jahr mindestens 12.000 Kumpel bei ihrer Arbeit ums Leben kommen.

Quelle: ntv.de, sba/dsi/dpa/AFP/rts

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