Vom eigenen Bruder erschossenBerlin ehrt ermordete Hatun Sürücü

Der gewaltsame Tod von Hatun Sürücü erschütterte viele Menschen: Im Februar 2005 wurde die junge Deutsch-Türkin in Berlin erschossen. Sie wollte nicht nach den Traditionen ihrer Familie leben.
An einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof sackte die junge Frau zusammen - getroffen von drei Kopfschüssen. Ihr jüngster Bruder war der Todesschütze an dem kalten Abend des 7. Februar 2005. Die Deutsch-Türkin musste sterben, weil die Familie ihren selbstbestimmten, westlichen Lebensstil nicht akzeptierte. Hatun Sürücü wurde nur 23 Jahre alt, sie hinterließ einen kleinen Sohn.
Hatuns Schicksal löste bundesweit eine heftige Debatte über Integration und Parallelgesellschaften aus. Heute, zehn Jahre später, ist der Mord aus vermeintlich verletzter Ehre noch nicht zu den Akten gelegt. Zwei Brüder sind weiter international zur Fahndung ausgeschrieben. Sie hatten sich in die Türkei abgesetzt.
Der Mörder wurde im Juli 2014 nach knapp neuneinhalb Jahren Haft nach Istanbul abgeschoben. Er habe keine Reue gezeigt, und es sei nicht zu erwarten, dass er sich in die hiesige Gesellschaft integriere, hieß es im Ausweisungsbescheid.
Zwei Brüder waren 2006 in einem ersten Prozess in Berlin aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Der Bundesgerichtshof hob die Freisprüche 2007 auf. Zu einem neuen Verfahren kam es nicht mehr, weil Mutlu und Alpaslan flohen.
Die türkische Seite hatte 2013 ein eigenes Strafverfahren gegen die beiden Männer eingeleitet, die Berliner Staatsanwaltschaft übersandte umfangreiche Akten. Wie weit die Ermittlungen sind, sei aber unklar. "Wir haben nichts mehr gehört", sagte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann. Der CDU-Politiker will den Fall aber noch lange zu den Akten legen.
Im Gefängnis radikalisiert
Die Türkei liefert ihre Staatsbürger nicht aus. In der aktualisierten TV-Dokumentation "Verlorene Ehre - Der Irrweg der Familie Sürücü" (RBB) haben die Reporter Matthias Deiß und Jo Goll nun gezeigt, wie sich der Mörder in der Haft radikalisierte und nach seiner Abschiebung Deutschland verhöhnt. In Istanbul wohne er demnach bei einem seiner gesuchten Brüder. Ein weiterer Bruder bekenne sich im Internet zur Terrormiliz Islamischer Staat, heißt es im Film.
Hatun Sürücü hatte sich nach einer Zwangsehe von ihrem ersten Mann getrennt, das Kopftuch abgelegt und ihren Sohn in Berlin allein aufgezogen. Sie feierte Partys und machte eine Ausbildung zur Elektroinstallateurin.
Sürücüs Schicksal stehe für viele Mädchen und Frauen, die Gewalt im Namen einer angeblichen Ehre erleiden, heißt es beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. "Das ist ein sehr drängendes Problem", so Geschäftsführer Jörg Steinert. Es gebe bundesweit nach wie vor auch Zwangsverheiratungen. "Wir müssen die Familien erreichen, die Prävention muss verstärkt werden."
Die Erinnerung an das Mordopfer sollte sich dauerhaft in Berlin widerspiegeln, fordert der Verband. "Empörung einmal im Jahr am Gedenktag reicht nicht." Eine Schule oder andere Einrichtung könnte nach Hatun Sürücü benannt werden.
Erst vor wenigen Tagen sorgte der gewaltsame Tod einer 19-jährigen Deutschen mit pakistanischer Herkunft aus Darmstadt für Entsetzen. Ihr ebenfalls in Pakistan geborener Vater hat gestanden, sein eigenes Kind erwürgt zu haben. Die Mutter soll bei der Tat im Zimmer der Tochter dabei gewesen sein. Ermittler gehen davon aus, dass den Eltern der Mann nicht gefiel, den ihre Tochter heiraten wollte.
Am 7. Februar werden am Gedenkstein für Sürücü in der Nähe des Tatortes wieder Blumen und Kränze niedergelegt. Auch Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat will kommen.
Ihre Grabstelle auf dem islamischen Friedhof in Gatow mit der Nummer 95 ist schon längst verwildert. Um die letzte Ruhestätte von Hatun Sürücü kümmert sich schon lange niemand mehr.