Re-Germanisierung Bizarrer Namensstreit um "Königsberg"
03.07.2009, 11:17 UhrEin Gespenst geht um in der russischen Ostseeregion Kaliningrad: das Gespenst der Re-Germanisierung. Doch was für die einen Trend und Geschäft ist, stößt bei den anderen auf erbitterten Widerstand.

Kaliningrad ist die Hauptstadt der Oblast Kaliningrad, einer russischen Exklave zwischen Polen und Litauen an der Ostsee.
(Foto: dpa)
Ein Gespenst geht um in der russischen Ostseeregion Kaliningrad: das Gespenst der Re-Germanisierung. Iwan Rewin sieht es in der Stadt mit dem einstigen Namen Königsberg an jeder Straßenecke: "Dass unsere Politiker immer häufiger erklären, der Stadt den alten deutschen Namen zurückgeben zu wollen, beunruhigt uns sehr", sagte der Chef der örtlichen Kommunisten vor kurzem in einem Interview mit der Zeitung "Komsomolskaja Prawda". "Dagegen muss man etwas tun", forderte Rewin.
Kaliningrads Kommunisten verkündeten am 22. Juni, eine "Bewegung gegen die drohende Re-Germanisierung des Kaliningrader Gebietes" gründen zu wollen. Das Datum ist kein Zufall: Alljährlich am 22. Juni gedenkt Russland des Überfalls von Hitler-Deutschland auf die Sowjetunion 1941. Nach 1945 wurde aus dem Norden Ostpreußens sowie Königsberg das russische Gebiet Kaliningrad - eine Beuteprovinz -, von Stalin offiziell als "Wiedergutmachung" beansprucht. In Wirklichkeit sollte ein Militärbezirk daraus werden.
Pro und Kontra

Der im Stil der Backsteingotik errichtete Dom gilt als das bedeutendste historische Bauwerk der Stadt.
(Foto: REUTERS)
Alles Deutsche in Kaliningrad sei unwiderruflich Vergangenheit, wettert Rewin, bekannt als Freund scharfer anti-westlicher Töne. "Unsere Veteranen haben Königsberg nicht erobert und aus seinen Trümmern die russische Stadt Kaliningrad gebaut, damit einige verantwortungslose Politiker das Rad der Geschichte zurückdrehen."
Immer wieder schlug das Thema Umbenennung in den vergangenen Jahren Wellen in Russlands westlichster Großstadt, die als einzige in der Föderation noch den Namen von Stalins Weggefährten Michail Kalinin (1875-1946) trägt. Auch in den vergangenen Wochen äußerten sich einige Regionalpolitiker öffentlich. Zuletzt tat dies Felix Lapin, als "City-Manager" zweiter Bürgermeister in der Doppelspitze im Kaliningrader Rathaus. In einem Gespräch mit dem Radiosender Echo Moskwy plädierte er für die Rückbenennung der Stadt und des Gebietes.
"In Russland könnte man stolz sein auf den Namen Königsberg als eine russische Stadt. Und wenn man das Kaliningrader Gebiet in Preußen umbenennen könnte - ich wäre damit sicher einverstanden", betonte Lapin. Die Äußerungen lösten in staatsnahen Kaliningrader und Moskauer Medien einen solchen Sturm der Entrüstung aus, dass Lapin schon tags darauf eilig zurückruderte. Auch Gebietsgouverneur Georgi Boos betonte unlängst in der Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta", dass eine Rückkehr der alten deutschen Ortsnamen zwar kein aktuelles Thema sei. "Irgendwann" in der Zukunft sei das aber nicht auszuschließen.
Widerstand macht sich breit
Schon solche vagen Aussagen reichen in der alten Krönungsstadt der preußischen Könige, um im ultralinken und nationalistischen Lager eine Protestwelle auszulösen. Kommunisten und der Volkspatriotische Bund schäumten, als stünde die Rückgabe Russisch-Ostpreußens an Deutschland bevor. Doch Kaliningrad ist Kaliningrad und wird es auf absehbare Zeit bleiben. Der alte deutsche Name ist eher zu einem Kultwort mutiert, vor allem bei jungen Menschen: "Kenig" nennen sie ihre Stadt und sprühen es in neonbunten Graffiti an Wohnblockwände. Eine im gesamten Baltikum populäre Kaliningrader Hip-Hop-Band nennt sich "Kenig City Breaker".
Längst ist der Umgang mit der deutschen Geschichte Teil gelebter Alltagskultur geworden in dieser "Stadt mit doppeltem Boden". Vor allem die Werbebranche, aber auch Touristik und Gastronomie nutzen die historischen Bezeichnungen gern. Dass hiesige Restaurants "Kronprinz" oder "Wrangel" heißen und Hotels "Kaiserhof" oder "Oberteich", wundert in Kaliningrad schon lange niemanden mehr - von Rewin und Genossen abgesehen.
Das größte Wirtschaftsjournal der Stadt firmiert als "Nowy Kjonigsberg" (Neues Königsberg). Und in der zweitgrößten Stadt des Gebietes, Sowjetsk, benutzt alles - vom Theater bis zum Radiosender - den historischen Namen Tilsit, wie die Stadt am Zusammenfluss von Memel und Tilse bis 1946 hieß.
Quelle: ntv.de, Thoralf Plath, dpa