Arsen- und Quecksilbermengen gefährlich hoch Budapest verschweigt Ausmaß
08.10.2010, 15:56 Uhr
Der Fluss Marcal ist völlig kontaminiert.
(Foto: AP)
Die ungarische Regierung gibt sich große Mühe, den wahren Giftgehalt des Industrieschlamms herunterzureden, der mindestens fünf Dörfer unbewohnbar macht. Regierungschef Orban behauptet, die Lage werde "beherrscht". Eine Analyse unabhängiger Experten zeigt aber die hohe Toxizität der roten Brühe, die inzwischen in die Donau schwappt. Derweil gibt es weitere Tote.
Nach dem Giftschlamm-Unglück in Westungarn hat sich die Zahl der Toten auf sieben erhöht. Einsatzkräfte bargen in dem Katastrophengebiet zwei weitere Tote. Außerdem starb ein 81-Jähriger im Krankenhaus an seinen Verletzungen, meldete die Nachrichtenagentur FH.
Eine Analyse des Umweltbundesamtes in Österreich ergab, dass der Schadstoffgehalt des Schlamms weit größer ist als angenommen. Nach Greenpeace-Angaben sind vor allem die Arsen- und Quecksilber-Werte gefährlich hoch. Die Umweltstiftung WWF warnte vor weiteren Unfällen dieser Art in Osteuropa.
Regierung verschweigt wahren Giftgehalt
Laut Greenpeace liegen die Arsen- und Quecksilber-Werte über den bei Rotschlamm üblichen Konzentrationen. Die Umweltschutzorganisation kritisierte, die ungarische Regierung habe die wahren Giftmengen offenbar verschweigen wollen. "Die Informationspolitik der ungarischen Regierung ist alles andere als EU-würdig", sagte der Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster. "Wir sind überrascht, dass Greenpeace diese Ergebnisse veröffentlichen muss."
Tausende Hektar Land seien für Jahre nicht mehr nutzbar, hieß es weiter. Insbesondere Quecksilber könne in die Nahrungskette gelangen und etwa den Verzehr von Fischen aus der Region für Jahre unmöglich machen. Die Umweltschutzorganisation hatte am Tag nach dem Unglück im Ort Kolontar Schlammproben genommen und diese vom österreichischen Umweltbundesamt in Wien analysieren lassen.
EU schickt Experten
Der ungarische Innenminister Sandor Pinter gab bekannt, dass die Europäische Union fünf Experten in das Donauland schickt. Die Gruppe werde Messungen vornehmen. Von den Ergebnissen hänge ab, ob Ungarn um weitere Hilfe aus dem Ausland bitten werde. Bayern hat bereits Hilfe angeboten. Ein Team von Schadstoffexperten des bayerischen Landesamtes für Umwelt steht bereit.
Menschen arbeiten mit bloßen Händen
Ungarns Regierungschef Viktor Orban gab an, die Situation sei derzeit unter Kontrolle. "Die Lage wird beherrscht", sagte er in Sofia nach Gesprächen mit seinem bulgarischen Amtskollegen Bojko Borissow.
Greenpeace-Aktivist Bernd Schaudinnus, der sich in Ungarn ein Bild von der Lage machte, zeichnete ein ganz anderes Bild: "Die Behörden haben die Leute mit bloßen Händen arbeiten lassen, und Feuerwehrleute haben mir ihre Hände gezeigt, die total verätzt waren." Er könne sich nicht vorstellen, dass die ungarische Regierung keine Ahnung davon hatte, wie toxisch der Schlamm ist. "Da müssen doch Verantwortliche herumgehen und den Leuten sagen: "Fasst das bitte nicht an, das ist giftig!""
Am Freitag gingen in der Region die Aufräumarbeiten weiter. Hunderte Helfer säuberten die Straßen und Häuser von dem roten Belag. Vielerorts hat die Herbstsonne den Schlamm bereits getrocknet, roter Staub weht durch die Straßen und über die Felder. "Wir wissen nicht, wie giftig er ist, was er uns antut", klagte ein Bewohner von Kolontar. Fernsehsender riefen zu Spenden für die Menschen der Region auf.
Angst am "Eisernen Tor"
In Rumänien wurde vier Tage nach dem Unglück vorerst Entwarnung gegeben. Nach derzeitigem Informationsstand bestehe keine Gefahr, sagte der rumänische Umweltminister Borbely Laszlo. Frühestens Montagmittag werde verschmutztes Donauwasser Rumänien erreichen, bis dahin dürfte sich die Konzentration der Schadstoffe bis unter die Gefahrengrenze verdünnt haben.
Die rumänischen Behörden bildeten eine Arbeitsgruppe aus Chemikern und Biologen, die alle drei Stunden die Qualität des Donauwassers untersucht. Experten stünden für Einsätze bereit. Sorgen bereitet die Situation vor allem in der 100 000-Einwohner-Stadt Drobeta-Turnu Severin, die ihr Trinkwasser aus der Donau bezieht. Notfalls müsse die Versorgung der Bevölkerung vorübergehend anders organisiert werden, hieß es.
Noch mehr Gefahrenquellen in Ungarn
Die Umweltstiftung WWF warnte unterdessen vor weiteren Unfällen in Osteuropa. So befinde sich in Ungarn eine Deponie bei Almásfüzit zwischen Györ und Budapest direkt an der Donau, in der allein zwölf Millionen Tonnen Giftschlamm lagerten. "Wenn dieses Becken bricht, wäre die Trinkwasserversorgung für weite Teile Ungarns in Gefahr", erklärte der WWF-Experte Martin Geiger in der Mitteilung.
Die Stiftung präsentierte eine Karte potenzieller Giftquellen von Ungarn bis zum Donaudelta. Das Werk bei Almásfüzit zum Beispiel befinde sich in einem erdbebengefährdeten Gebiet. "Die Auffangbecken sind nicht genügend gesichert und kaum mit Ton abgedichtet. Die Wahrscheinlichkeit einer Verschmutzung des Grundwassers ist sehr hoch", so Geiger.
Unternehmen beteuert Unschuld
Das Unternehmen hinter der Giftschlammkatastrophe will nach eigenen Angaben alle seine "Energie" dafür einsetzen, die Auswirkungen zu mindern. Im Kampf gegen die Katastrophe habe es den Behörden umgerechnet bereits 110.000 Euro zur Verfügung gestellt, teilte der ungarische Aluminiumhersteller MAL mit. Erneut versicherte das Unternehmen, völlig schuldlos an der Katastrophe zu sein. Nach Angaben des Bürgermeisters von einem der am schwersten betroffenen Dörfer sollen von dem Betrag die ersten Hilfen an die Einwohner in Höhe von je 360 Euro gezahlt werden.
Am Montag waren aus einem Auffangbecken in der Aluminiumfabrik Ajka, 165 Kilometer westlich von Budapest, etwa 1,1 Millionen Kubikmeter hochgiftiger roter Schlamm ausgelaufen. Neben den sechs Toten wurden 150 Menschen verletzt. Der Schlamm breitete sich über eine Fläche von 40 Quadratkilometern aus, mehrere Dörfer wurden dabei so stark verseucht, dass sie unbewohnbar wurden. Nach Angaben der Regierung müssen deren Bewohner umgesiedelt werden. Zudem floss die Brühe über Wasserläufe in die Donau.
Quelle: ntv.de, dpa