Corona erhöhte Übersterblichkeit Pandemie senkte Lebenserwartung in Ostdeutschland spürbar
31.07.2024, 16:39 Uhr Artikel anhören
In Deutschland gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamts mehr als 183.000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Die Corona-Pandemie traf die gesamte Welt, hinterließ aber nicht überall gleichermaßen ihre Spuren. Forscher analysieren die Übersterblichkeit in 25 europäischen Staaten und kommen zu unterschiedlichen Erkenntnissen. Auch durch Deutschland geht spätestens 2021 ein deutlicher Riss bei der Lebenserwartung.
Während der Corona-Pandemie hat es bei der sogenannten Übersterblichkeit einer Studie zufolge große regionale Unterschiede innerhalb Europas gegeben. Das geht aus einer Datenauswertung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Französischen Instituts für demografische Studien hervor, die in Wiesbaden veröffentlicht wurde. Dafür verglichen die Forschenden die aufgrund langfristiger Entwicklungen eigentlich zu erwartende Lebenserwartung für 2020 und 2021 mit der tatsächlich gemessenen Lebenserwartung in 569 europäischen Regionen.
So wurde im ersten Pandemiejahr 2020 laut BIB vor allem in Norditalien, der Südschweiz, in Zentralspanien und Polen eine deutliche Übersterblichkeit festgestellt - die Lebenserwartung sank also. In Teilen Nord- und Westdeutschlands, Dänemarks, West- und Südfrankreichs, Norwegens und Schwedens wurde parallel dagegen sogar eine Untersterblichkeit verzeichnet.
In Italien etwa traten dabei sehr starke regionale Unterschiede innerhalb des Landes auf: Während in den norditalienischen Provinzen Bergamo und Cremona die Lebenserwartung infolge der Übersterblichkeit im ersten Pandemiejahr rund vier Jahre unter dem erwarteten Wert lag, war in einigen süditalienischen Provinzen gleichzeitig keine erhöhte Sterblichkeit messbar.
2021: Übersterblichkeit in Osteuropa wächst
Im zweiten Pandemiejahr 2021 verlagerte sich die Übersterblichkeit der Studie zufolge nach Osteuropa. In der Slowakei, in Litauen, Lettland, Ungarn sowie in Teilen Polens und Tschechiens lag die Lebenserwartung um mehr als zweieinhalb Jahre unter dem statistisch zu erwartenden Wert. In einigen slowakischen Regionen sank die Lebenserwartung sogar um vier Jahre, ähnlich wie zu Beginn der Pandemie in Bergamo und Cremona.
Im Vergleich zu Osteuropa zeigten viele westeuropäische Regionen im Jahr 2021 eine geringere Übersterblichkeit. Innerhalb Deutschlands gab es 2021 ein deutliches Ost-West-Gefälle. So war die Übersterblichkeit in vielen ostdeutschen Bundesländern deutlich höher als in den meisten westdeutschen.
Im Jahr 2020 standen beim Rückgang der Lebenserwartung noch ostdeutsche wie westdeutsche Regionen weit oben (in der Grafik nach Deutschland filtern) - etwa Oberlausitz-Niederschlesien, Südsachsen und Havelland-Fläming (ost) und Landshut, Osnabrück und Donau-Iller (west). 2021 ist unter den zehn Regionen mit der höchsten Übersterblichkeit keine Region in Westdeutschland mehr zu finden. Und, verlor Oberlausitz-Niederschlesien (Höchstwert 2020) gerade 0,95 Jahre bei der durchschnittlichen Lebenserwartung, waren es in der Region Südsachen (Höchstwert 2021) bereits 1,95 Jahre im Schnitt. Es gab also nicht nur eine deutliche regionale Verschiebung, sondern die Auswirkungen auf die Lebenserwartung waren 2021 deutlich gravierender als 2020.
Sonderfälle Paderborn und Ost-Friesland
Interessanterweise gibt es in Deutschland nur zwei untersuchte Regionen, in denen sowohl 2020 als auch 2021 die Lebenserwartung stieg: Paderborn und Ost-Friesland. Die beiden Regionen sind überhaupt die einzigen in Deutschland, in denen die Lebenserwartung 2021 anstieg, in allen anderen hierzulande sank sie dagegen.
"Die Ursachen für die großen regionalen Unterschiede sind komplex und lassen sich unter anderem auf den unterschiedlichen Anteil vulnerabler Menschen zurückführen", erklärte Mitautor Michael Mühlichen vom BiB. "Inwieweit relevante Vorerkrankungen regional verbreitet sind, hängt mit der Altersstruktur und dem Risikoverhalten der Bevölkerung zusammen, welche wiederum durch sozioökonomische Bedingungen beeinflusst werden."
So trage neben dem hohen Durchschnittsalter auch bei, dass viele ostdeutsche Regionen sich wirtschaftlich schlechter entwickeln. In den Regionen rauchen durchschnittlich mehr Menschen und trinken mehr Alkohol. Zudem bewegten sich die Menschen dort weniger und ernährten sich im Schnitt schlechter, heißt es in der Studie.
Die Übersterblichkeit wurde für die Jahre 2020 und 2021 in insgesamt 569 Regionen in 25 europäischen Ländern betrachtet. Dabei bezogen sich die Forscher auf die langfristige Entwicklung der Lebenserwartung vor dem Jahr 2020 - auf dieser Basis waren Werte für die Jahre 2020 und 2021 prognostiziert worden.
Quelle: ntv.de, als/AFP