"Wir sind nicht alle gleich"Daniel Donskoy brennt an mindestens zwei Enden
Ein Interview von Sabine Oelmann 
"Keiner, wirklich niemand, wartet auf dich", sagt Daniel Donskoy, in Moskau geboren, in Berlin und Tel Aviv aufgewachsen - und übernimmt nach seiner Schauspielausbildung in London und New York dennoch Rollen in TV und Film. Er entwickelt und moderiert die preisgekrönte Show "Freitagnacht Jews". Sein Debütroman "Brennen" macht ihn endgültig zum Multi-Künstler. Mit ntv.de spricht er über die Dinge, für die er brennt.
ntv.de: Du warst jetzt sehr fleißig auf Lesereise unterwegs, einer deiner letzten Termine war Wien - wienerst du dann vor Ort?
Daniel Donskoy: (lacht) Ja, sehr zum Leidwesen der echten Wiener, aber ich liebe Dialekte einfach. Ich lese mir beim Schreiben meine Texte immer laut vor, und wenn man das auf wienerisch tut, dann klingt vieles gleich viel erhabener.
Dialekte sind was Tolles. Liest du in jeder Stadt was anderes oder immer dasselbe?
Ich habe mich zum Ende eingegroovt und bin oft bei denselben Stellen geblieben, weil ich die Kontraste in meinem Buch hervorheben wollte, zwischen lustigen Zeilen und guten Zeiten wollte ich die allgegenwärtige, perfide Ironie des Lebens mit der komplexen Realität des Buches verbinden. Hat ganz gut funktioniert (lacht).
Als ich neulich bei einer Lesung von dir war, beim Writers Thursday in Berlin, da sind, als du dann angefangen hast zu singen nach dem Lesen, ein paar Leute rausgegangen. Finde ich unverschämt. Du singst hebräisch, russisch, deutsch …
Ach, ich performe schon so lange. Meine allerersten Auftritte als Schauspieler hatte ich in englischen Pubs und da spielt man für 30 besoffene Typen - ich bin echt Schlimmeres gewöhnt, will ich damit nur sagen. Ob da jetzt 10 Leute rausgehen, ist mir ehrlich gesagt egal.
Dein Buch ist autofiktional. Man merkt jedenfalls, da sind echte Typen unterwegs, und wie der Titel schon andeutet - du brennst für diese Typen, für dieses Leben.
Ja, was wahr ist und was nicht, das darf sich jeder selbst denken. Für den Protagonisten des Buches ist es so, dass er das Leben an sich maximal fühlen möchte. Aber wenn man das Leben paart mit ausgeprägter Imagination, dann wird es besonders schön. Das beste Beispiel: Du sitzt mit deiner Familie zu Weihnachten am Tisch. Da gibt es diese Geschichten, die werden jedes Jahr erzählt, und jedes Jahr werden sie besser, lustiger, spannender. Ich habe mich an vielem bedient, was mir passiert ist, habe es dann aber mit künstlerischer Freiheit so ausgeschmückt oder dahin exponiert, um den größtmöglichen Effekt für die Leserin und den Leser zu erzielen. Es ging mir zum Beispiel nicht darum, meine Schauspielausbildung in allen Details nachzuerzählen, sondern um die Kontraste von dem, was der Schauspielstudent sich vorstellt und dem, was da wirklich geschieht - und vor allem die Brüche in den Vordergrund zu stellen.
Der Student wird erstmal vernichtet …
(lacht) Genau. Und dafür habe ich durchaus existierende Personen einfach etwas überhöht. Es war hart, ich war eigentlich immer pleite, und es wird einem ständig gesagt, dass man eine Null ist. Da ich aber aus einem sowjetischen Haushalt komme, bin ich recht resistent. Was ich aber sehr genau weiß, ist, dass einem als junger Schauspieler immer vermittelt wird, dass keiner, wirklich niemand, auf dich wartet. Keiner braucht dich. Dabei denkt doch jeder, dass er der Welt sooooo viel mitzuteilen hat, dass er soooo viele Gefühle hat. Alle haben Gefühle! Alle haben etwas mitzuteilen. Und es ist schon wichtig zu verstehen und zu lernen: Am Ende geht es nicht um dich - sondern um das Publikum.
Ist es ähnlich in der Rolle des Autors?
Fast noch mehr, denn es geht auch hier nicht um mich, sondern darum, was die Lesenden für Bilder in ihren Köpfen entwickeln. Ich weiß ja nicht, in welcher Stimmung die lesende Person gerade ist, das kann bei jedem etwas anderes auslösen. Ich schließe beim Schreiben zwischendurch immer wieder die Augen, und dann versuche ich, das Gefühl, welches das Bild, das ich sehe, evoziert, bestmöglich zu beschreiben. Der Leser wird aber dennoch ein völlig anderes Bild vor Augen haben als ich. Es ist also nicht schlecht, als Künstler darauf hingewiesen zu werden, dass es um dein Publikum geht. Und nicht um dich. Meine Kunst ist immer für das Publikum.
Warum "Brennen"? Wie kam es zu dem Titel?
Ich wusste am Anfang ja noch nicht mal, dass das ein Buch wird, aber im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass es darauf hinauslaufen wird. Es geht um die Lebensrealitäten von zwei Menschen, die sich aufgrund einer Entscheidung so konträr entwickeln, dass sie sich auf jeden Fall verlieren. Da muss man sich dann auf die einschneidendsten Erlebnisse konzentrieren, die sich in uns einbrennen. Wie eine Wunde manchmal vielleicht sogar, die dich aber zu dem macht, was du bist. Und zwar zu etwas Besonderem. Jeden Menschen zu einem Unikat.
Was man ab und zu ja durchaus auch mal sein darf – also besonders …
Unbedingt! Ich bin ein großer Freund der Aussage: "Wir sind nicht alle gleich." Im Gegenteil, wir alle sind grundverschieden, in unseren kulturellen Einflüssen, in unserer Sozialisierung, und es geht oft nicht darum, was du bist, sondern was die Zuschreibung von außen ist, und dann, genau in diesem Vakuum, zwischen der Zuschreibung von außen und dem Erkennen, merkst du, welche Dinge sich in dich eingearbeitet haben. Deswegen "Brennen" - solange du lebst, brennt sich etwas in dich ein. Solange du lebst, ist das Leben unvorhersehbar. Wie eine Flamme, die brennt. Solange du lebst, gibt es eine Energie, und ich habe lange nach diesem Wort gesucht, bis ich "Brennen" fand. Das beschreibt so vieles für mich.
Für mich beschreibt es vor allem, FÜR etwas zu brennen …
Genau! Genau so (lacht).
Bei dir denke ich an Karel Gott: "Singen, kochen, tanzen, lachen, glücklich machen", singt er in "Babicka" (Babuschka) – du brennst an mindestens zwei Enden, habe ich den Eindruck …
Schauspiel, Schreiben und Musik sind es in meinem Fall. Und eine Lesereise ist das Nonplusultra, denn ich kann alles miteinander verbinden. Worauf das alles hinausläuft? Ich weiß es nicht, es kann sich alles ständig ändern. Aber ich habe beim Schreiben zum ersten Mal etwas gefunden, wo ich alle meine Elemente einbauen kann: Gefühl, Performance und Hirn. Als Schauspieler ist man in einer Rolle, und ich muss sagen, dieses Jahr war fantastisch, ich durfte eine große internationale Serie drehen, immer wieder an dem Buch schreiben, und die Lust, sich Geschichten auszudenken, hat mich dahin gebracht, dass ich bereits mein zweites Buch schreibe.
Das wird deine Fans sehr glücklich machen …
Das ist das Schönste bei den Lesungen, zu sehen, dass man etwas in den Zuhörenden erreichen kann. Du siehst die Emotionen in den Gesichtern, und das tut gut, denn die Welt ist gerade so extrem. Es gibt nur hassen oder lieben, man ist dafür oder dagegen, es gibt nichts dazwischen. Die komplette Grauzone, da wo die schönen Emotionen liegen, das, wo ein Puschkin dir über 25 Seiten die Liebe zu erklären versucht, das ist verloren. Etwas herauszudestillieren, das fehlt. Aber genau da fühle ich mich wohl, und genau da will ich weitermachen - eine Bandbreite von Emotionen zu befüttern.
Du hast dein nächstes Buch erwähnt …
… aber ich will nicht zu viel verraten. Nur, dass es viel dramatischer wird. Viel tragischer. Eines nur: Auch Menschen, die in schwierigen Situationen leben, lachen gern. Menschen, die bald sterben werden, machen noch Witze, und Menschen suchen das Glück in den kleinsten Dingen, in der wenigsten Zeit, die ihnen bleibt, in den dunkelsten Momenten. Es ist wie mit Schönheit - die existiert auch überall.
Die Schönheit zu finden ist nicht leicht momentan, die Extreme gehen weiter auseinander, der Hass scheint größer zu werden, allein das Wort "Israel" polarisiert …
Ja, und an Chanukkah werden in Australien 16 Menschen erschossen. Warum, weil sie Juden sind. Eigentlich ist es für mich sehr wichtig zu betonen, dass Juden mehr sind als Antisemitismus und Israelis mehr sind als ein Krieg. Ich würde eigentlich gern immer nur Menschlichkeit in den Vordergrund stellen, auch wenn es angesichts der Umstände oft schwerfällt. Es wird so viel Hass geschürt, dass wir nicht nur auf die Vergangenheit blicken müssen, um zu zeigen, wohin das führen kann, sondern auch auf die tragische Gegenwart. Aber um es mit einer positiven Note zu beenden: Ich habe das Glück, viele Welten in mir zu vereinen, einige Kulturen und auch Sprachen. Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur, ja, aber ich weigere mich, mein Leben davon vollkommen besetzen zu lassen. Ich gucke vor allem nach vorne. Auch, wenn die Zukunft mehr denn je ungewiss ist. Sie ist das einzige was wir haben.
Mit Daniel Donskoy sprach Sabine Oelmann
