Kampf ums (Ersatz)-Fleisch "Das 'Veggie-Wurst'-Verbot dient genau einer Gruppe"
12.10.2025, 08:30 Uhr Artikel anhören
Landen künftig "Veggie-Bratwürste" oder etwa "Tofu-Grill-Stangen" auf der Glut? Die Entscheidung liegt nun bei den Mitgliedstaaten der EU.
(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)
Geht es nach dem EU-Parlament, sind Begriffe wie Schnitzel, Burger und Wurst künftig Fleischprodukten vorbehalten. "Soja-Schnitzel", "Veggie-Wurst" oder "veganer Burger" wären damit passé. Der von einer EVP-Politikerin eingebrachte Antrag bekam jüngst eine Mehrheit aus Rechtsaußen-Fraktionen und Teilen der konservativen Fraktion. Sollten die Mitgliedstaaten im nächsten Schritt zustimmen, müssten Hersteller von Fleischersatzprodukten auf andere Bezeichnungen ausweichen. Für die Unternehmen wäre das die reinste Katastrophe - und für Verbraucher kaum mehr als Chaos im Supermarkt, prophezeit Hans-Georg Häusel. Der Psychologe und Marketing-Experte erklärt, warum es um weit mehr als eine schlichte Umbenennung geht - und wer von der Aktion tatsächlich profitieren würde.
ntv.de: Die EVP argumentiert mit dem Verbraucherschutz für ein Namensverbot von "Veggie-Wurst", "Soja-Schnitzel" und Co: Die Begriffe würden ein "echtes Verwechslungsrisiko" bergen. Führt die aktuelle Rechtslage zu Verwirrung im Supermarkt?
Hans-Georg Häusel: Ganz deutlich: Nein. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Verbraucher einen Veggie-Burger in den Einkaufswagen legen und denken, es sei Schweine- oder Rindfleisch. Vielmehr versteht der Verbraucher, dass es sich bei Burger, Schnitzel und Wurst um Kategorien handelt. Ebenso wie er bei der Bezeichnung "Geflügelschinken" nicht verwirrt ist, sondern weiß, dass es Geflügelschinken und Schweineschinken gibt. Es wäre möglicherweise anders, wenn der Zusatz "Veggie" oder "fleischlos" nur kleingedruckt auf der Rückseite stehen würde. Aber soweit ich dies im Supermarkt verfolgen konnte, ist das nicht der Fall. Damit halte ich das Argument des Verbraucherschutzes für vorgeschoben.
Um was geht es bei dem Verbotsversuch stattdessen?
Ein Verbot der Bezeichnung Veggie-Wurst dient genau einer Gruppe: den Fleischerzeugern. Dass die EVP eine breite Bauernschaft hinter sich versammelt hat, ist kein Geheimnis. Sowohl die CSU aus Bayern ist eng mit Landwirten verbunden als auch die Konservativen aus Österreich oder die Konservativen aus Italien. Damit überrascht es nicht, dass die Dachpartei EVP - unter dem Vorwand des Verbraucherschutzes - die Interessen der Bauern schützen will.
Inwiefern brauchen die Bauern Unterstützung?
Bauernschaft heißt zu einem großen Teil auch Fleischerzeugung. Allerdings hat der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren abgenommen. Gleichzeitig feiern Fleischersatzprodukte einen kleinen Siegeszug. Zwar ist ihr Anteil am Markt noch marginal - Veggie-Fleisch macht gerade einmal drei Prozent am gesamten Fleischmarkt aus. Aber man geht davon aus, dass sich dieser Umsatz in den kommenden Jahren verdrei- oder vervierfachen wird. Da sagen viele Landwirte eben: Dagegen müssen wir etwas tun.
Wie würde ein Namensverbot für Veggie-Produkte den Bauern helfen? Es ist schwer vorzustellen, dass deutlich mehr Menschen zum Schweine-Schnitzel greifen, nur weil Soja-Schnitzel anders heißen.
Es geht eher darum, die Hersteller von Fleischersatzprodukten aus dem Markt zu kicken beziehungsweise so klein wie möglich zu halten. Mit einem möglichen Verbot für Bezeichnungen wie Veggie-Wurst käme dieses Ziel zumindest näher. Oder anders gesagt: Für Veggie-Hersteller wäre ein Namensverbot eine Katastrophe. Es würde zu enormen Umsatzeinbußen führen. Sie müssten eine völlig neue Produktwelt erschaffen und etablieren. Das ist nicht nur teuer, sondern vor allem sehr schwierig. Denn: Der Verdrängungsmarkt ist enorm und der Verbraucher ein extrem konservativer Zeitgenosse.
Ist es Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht am Ende egal, ob auf der Verpackung Veggie-Wurst oder Tofu-Stange steht?
Nein. Der normale Verbraucher kauft in der Regel ihm Bekanntes und Vertrautes. Bezeichnungen wie "Wurst" oder "Schnitzel" sind seit Jahrzehnten etablierte Produktkategorien, bei denen man sofort eine bestimmte Verzehrerwartung im Kopf hat. Ohne nachzudenken, weiß der Verbraucher, welche Konsistenz, welche Art von Geschmack ihn erwartet. Mit dieser Erwartung sind psychologisch ganze Welten verbunden, zum Beispiel: Was esse ich zum Frühstück, was lieber zum Abendbrot? Und in diese Welten, in diese fest verankerten Nahrungsmittelkonzepte in den Köpfen der Verbraucher konnten die Hersteller von Veggie-Wurst und Co. einfach einsteigen. Sie konnten die gemähte Wiese nutzen und so rasch wachsen. Ob am Ende einige wieder abspringen, weil sie das Ersatzprodukt geschmacklich möglicherweise nicht überzeugend finden, spielt keine große Rolle. Damit geht es eben nicht nur um die Umbenennung von Veggie-Wurst, Soja-Schnitzel und veganer Bulette. Es geht um den Verlust einer Produktherkunft. Das wird zu einer riesigen Verunsicherung und Verwirrung bei den Verbrauchern führen. Das wiederum werden die Hersteller zu spüren bekommen.
Inwiefern könnte ein Namensverbot das Angebot von Fleischersatzprodukten auf dem Markt beeinflussen?
Sollte es zu einem Namensverbot kommen, würde dies zu einem Umsatzrückgang führen. Ob es darüber hinaus auch zu einem Produktrückgang kommen würde, hängt von vielen Faktoren ab, ausgeschlossen ist es aber nicht. Entscheidend ist die Kreativität der Hersteller. Zudem spielt das bekannte Design der Verpackung eine Rolle und die Frage, ob der Handel die Produkte weiterhin neben Fleischprodukten präsentiert.
Wie steht es um das sprachliche Argument? Befürworter des Verbots pochen auch auf die traditionelle Bedeutung des "Schnitzels" und "Burgers", die von Landwirten für Fleischprodukte geprägt wurde. Auch Kanzler Merz betonte: "Eine Wurst ist eine Wurst. Wurst ist nicht vegan."
Ich halte das für Unsinn. Die Sprache sollte dem Leben dienen und nicht andersherum. Sprache dient lediglich dazu, dass wir uns im Leben zurechtfinden, sie hat keinen Eigennutz, etwa besonders rein zu sein. Außerdem richtet sich unsere Sprache im Alltag ja gerade nicht nach Logik, sondern nach unserem Verständnis, unseren Konnotationen. Wir nutzen den Begriff Bank für etwas, auf das wir uns setzen und etwas, wo wir unser Geld hinbringen. Das ist nicht logisch, aber für alle verständlich. Für genau diese Verständlichkeit im Alltag waren Begriffe wie Veggie-Wurst und Co. gut. Ein Verbot würde nun zu erzwungenen sprachlichen Verrenkungen führen. Damit steht weniger echte Sorge um die Sprache hinter dieser Debatte als vielmehr ein anderer Punkt.
Worauf wollen Sie hinaus?
Es sind die konservativen Parteien, die das Verbot vorantreiben. Wie beschrieben, steht ein großer Teil der Landwirte hinter ihnen. Die fleischfreie Ernährung gilt hingegen als politisch linkes Thema, "Veggie" als "woke". Damit steht auch ein kleiner Kulturkampf hinter der EU-Debatte. Denn um Verbraucherschutz, wie von den Konservativen behauptet, geht es ja eben nicht.
Die große Mehrheit der Befragten einer neuen Umfrage sieht keine Notwendigkeit dafür, dass sich die EU mit der Umbenennung von Veggie-Burgern befasst. Welchen Effekt hat die Entscheidung für ein Verbot auf Verbraucher?
Für die Verbraucher wirkt es, als würde die EU versuchen, ein Problem zu lösen, das es überhaupt nicht gibt. Aus Sicht der Verbraucher wird nicht nur ein nicht vorhandenes Problem nicht gelöst, sondern ihr Leben wird aktiv und ohne Sinn oder Zweck gestört. Damit macht sich die EU mit Sicherheit nicht beliebt. Für viele wird die Debatte leider zu einem weiteren kleinen Mosaikstein in der Ablehnung der EU.
Mit Hans-Georg Häusel sprach Sarah Platz
Quelle: ntv.de