Panorama

"Hier, nimm mein Big Bag" Der Hubschrauber-Kampf an der Elbe

Jeden Tag werden hunderte Tonnen Sand an die Deiche geflogen.

Jeden Tag werden hunderte Tonnen Sand an die Deiche geflogen.

(Foto: Tilman Aretz / n-tv.de)

"Wer diese Scheiße sieht, der freut sich, dass er helfen kann", sagt einer der Freiwilligen an der Sandladestationen Stendal-Borstel nahe der Elbe. Und dann wird es laut. Helikopter von Bundespolizei und Bundeswehr holen die Big Bags und werfen sie am Rande der Elbe ab. Ob es hilft? Egal. Die Botschaft ist wichtig. "Wir sind stärker als das Wasser."

Er hat schon mitgeholfen, Päpste in langen Roben und übergewichtige Kardinäle mit den eigenen Händen aus seinen Hubschraubern zu bugsieren, war 2000 bei den Überschwemmungen in Mosambik dabei und beim Kampf gegen wütende Waldbrände in Südeuropa. Jetzt steht er an der Elbe. "Die Stimmung ist phantastisch" sagt Ralf Schnurr. Damit erst gar kein falscher Eindruck entsteht, fügt er schnell und mit ernster Miene hinzu: "Natürlich ist es für die Betroffenen eine Katastrophe."

Ständiges Kommen und Gehen: Die Hubschrauber der Bundespolizei sind seit dem 3. Juni im Dauereinsatz. Erst in Bayern, Sachsen und Thüringen, jetzt in Mitteldeutschland. In den kommenden Tagen werden sie der Elbe Richtung Nordsee folgen.

Ständiges Kommen und Gehen: Die Hubschrauber der Bundespolizei sind seit dem 3. Juni im Dauereinsatz. Erst in Bayern, Sachsen und Thüringen, jetzt in Mitteldeutschland. In den kommenden Tagen werden sie der Elbe Richtung Nordsee folgen.

(Foto: Tilman Aretz / n-tv.de)

Schnurr, Polizeihauptkommissar der Bundespolizei Fliegergruppe, lehnt am niedrigen Gitterzaun des Flugplatzes Stendal-Borstel. Der sonst verschlafene Start-und Landeplatz ist derzeit das logistische Zentrum zur Absicherung und Stabilisierung der Deiche in Brandenburg und im nördlichen Sachsen-Anhalt. Bundeswehr, Bundespolizei und Technisches Hilfswerk arbeiten hier seit Sonntag Hand in Hand. Die Bundespolizei ist mit zwei sogenannten Superpumas vor Ort, Hubschraubern, die Sandladungen von bis zu 1,5 Tonnen pro Flug transportieren können. Die Bundeswehr ist mit vier großen CH 53 angerückt, die dreimal so viel Sand schleppen können, und mit einem halben Dutzend Bell UH-1D. Sie schaffen jeweils 500 bis 800 Kilogramm Sand an die Deiche. Und sind wahnsinnig laut.

Frisch gemähtes Gras, Dreck und Staub wirbeln auf. Kaum ist der eine Helikopter mit einer Sandladung in die Höhe gestiegen, senkt sich im Rücken bereits der nächste, um keine Zeit zu verlieren und direkt wieder an die Abwurfstellen zurückzukehren. Nur zum Tanken müssen die Hubschrauber auf dem kleinen Flughafen eine kurze Verschnaufpause einlegen. "Wir fliegen hier im Paternoster-Modus, mit dem Ziel, Schlimmeres zu verhindern", erklärt Schnurr und schnippt seine Zigarettenkippe auf die Betonbahn. "Bis zum Einbruch der Dunkelheit", ergänzt er, nicht ohne Stolz. "Und zwar mit einem permanenten, optimistischem Lächeln. Hier gibt es keinen Stress, sondern konzentriertes Arbeiten." Der Rest seiner Worte geht im Dröhnen der Rotorblätter unter.

Alle sind betroffen

Kerstin Doleschel, Martin Draeger (liegend), Roland Schaar bei einer Schipppause.

Kerstin Doleschel, Martin Draeger (liegend), Roland Schaar bei einer Schipppause.

(Foto: Tilman Aretz / n-tv.de)

Damit Bundespolizei und Bundeswehr überhaupt etwas zum Transportieren haben, ist vor einem alten Hangar, auf der anderen Seite des Flugplatzes, eine riesige Sandladestation eingerichtet worden. Woher der Sand und die vielen Säcke eigentlich kommen, weiß von den rund 40 Helfern niemand. Es ist ihnen auch völlig egal. Roland Schaar ist einer der Fleißigen. Schaar ist Mitglied der freiwilligen Feuerwehr Stendal und seit Freitag dabei. Heute will er noch bis 21 Uhr bleiben. Und wie ist die Stimmung? "Großartig", sagt Schaar. Kerstin Doleschel und Martin Draeger nicken kurz, bevor sie sich auf einen Stapel leerer Säcke werfen, die von den Wirbelungen der Helikopter gerade wegzuwehen drohen. "Die Solidarität ist einzigartig", schreit die junge Dame gegen den Wind. Und auch die Verpflegung sei super, ständig würden die Bürger der umliegenden Ortschaften Kuchen und Schnittchen vorbeibringen. "Und noch ganz andere Sachen", murmelt Draeger, will dann aber keine Details nennen. "Und die Müslibude aus Tangermünde hat hier kistenweise angeliefert", ergänzt Schaar. Ob er selbst zu den Müsliriegeln greift, die die Firma Dailycer gespendet hat, verrät sein Blick nicht.

Der Deichbruch bei Fischbeck ist kaum noch zu reparieren.

Der Deichbruch bei Fischbeck ist kaum noch zu reparieren.

(Foto: picture alliance / dpa)

Dann wird es plötzlich ganz ruhig. Gefühlt jedenfalls, weil der Lärm der Hubschrauber abgenommen hat. Nach und nach kehren alle Maschinen zurück auf den Fliegerhorst. "Der Einsatz ist abgebrochen", sagt Schnurr. Warum genau und wie es weitergeht? "Es ist alles sehr dynamisch." Der Deichbruch bei Fischbeck sei sinnvoll eigentlich kaum noch weiter zu reparieren, erläutert die Crew einer Superpuma. Zwar habe das Sandabwerfen bestimmt das weitere Abrutschen des Deiches verhindert. Und auch dafür gesorgt, dass die Menge des ins Hinterland strömenden Wassers nicht immer weiter anschwillt. "Den Deichbruch mit Sand schließen, das geht nicht." Viel zu stark sei die Strömung. Da sei nichts mehr zu machen. Eine Einschätzung, die auch der Laie sofort teilt, wenn er das völlig überflutete Dorf am Rande des Elbebeckens aus der Luft sieht. Und auch weiter nördlich, bei Osterholz, sollen die Helikopter keinen weiteren Sand mehr abwerfen. Der Krisenstab glaubt, dass die Schäden am Deich dort besser vom Land und vom Wasser aus zu beheben sind. Da heißt es für Bundespolizei und Bundeswehr: Warten auf den nächsten Einsatzbefehl.

"Die Harzer": Tobias Ansorge (r) und seine Freunde wollen mit der Flut weiter nach Norden ziehen und anpacken, wo sie gebraucht werden.

"Die Harzer": Tobias Ansorge (r) und seine Freunde wollen mit der Flut weiter nach Norden ziehen und anpacken, wo sie gebraucht werden.

(Foto: Tilman Aretz / n-tv.de)

Eine gute Gelegenheit für die vielen Freiwilligen an den Sandbergen, ebenfalls eine Pause einzulegen. Bernd Buge nutzt diese gerne, um sich einmal den Schweiß von der Stirn zu wischen. Sein Arbeitgeber hat ihn und zwei Kollegen für zwei Tage freigestellt, um bei der Sicherung der Deiche zu helfen. Buge findet das selbstverständlich. "Wir sind doch alle betroffen", sagt er. Fast jeder kenne hier einen, der sein Dorf verlassen musste. Oder dessen Haus sogar unter Wasser stehe. Die Zwangspause nicht so gut finden dagegen "die Harzer", wie die muntere Truppe hier genannt wird und die nach kurzem Suchen in der provisorischen Feldküche im Hangar zu finden ist. Sechs junge Männer, alle Angehörige freiwilliger Feuerwehren aus dem Harz, haben sich Sonntag auf den Weg gemacht und schippen nun Sand. "Wir sind aber zu schnell", sagt Tobias Ansorge. "Daher müssen wir dauernd Zwangspausen einlegen. Wir wollen nur gerne etwas machen." Morgen kämen noch weitere Kameraden aus dem Harz, sagt er beinahe drohend. Und, ja, das Essen sei "wie bei Mutti", der Arbeitgeber mit allem einverstanden – hier wird Ansorges Stimme bedenklich leise – und es sei ein tolles Gefühl, "endlich mal etwas Sinnvolles zu machen".

Alle wollen "etwas tun"

Klaus Fritz (m) und seine Crew besprechen den nächsten Einsatz.

Klaus Fritz (m) und seine Crew besprechen den nächsten Einsatz.

(Foto: Tilman Aretz / n-tv.de)

"Endlich einmal das machen, was ich gelernt habe", sagt auch Klaus Fritz. Der Bundesmechanikerfeldwebel hat nicht viel Zeit, denn jetzt soll es weitergehen. Und gerade ist noch Schichtwechsel. Die Bundeswehr-Helikopter operieren in der Frühstaffel von 9 bis 21 Uhr, in der Spätstaffel von 16 bis 2 Uhr nachts. Ausgerüstet mit allen erdenklichen Nachtsichtgeräten sei das gar kein Problem, versichert Fritz. Der im niedersächsischen Faßberg stationierte Bundeswehrangehörige war auch schon beim Hochwasser 2002 dabei. Fast. Er sei damals krank gewesen, sagt Fritz und man merkt ihm an, dass er dies bis heute bedauert. Nachts habe er damals aber die Seilwinden der Helikopter kontrolliert und wo nötig geflickt, sagt Fritz. Das habe er von zu Hause aus machen können. Auch er zeigt sich überwältigt vom Miteinander der Menschen. "Da buddeln Leute ihre Beachvolleyballfelder aus, um Sand zur Verfügung zu stellen. Irre", sagt Fritz.

Neben der Bundeswehr hat auch die Bundespolizei ihre Mannschaften inzwischen wieder startklar bekommen. Über 70 Angehörige der Bundespolizei – aus allen Teilen Deutschlands, darunter Piloten, Flugmechaniker und natürlich die Frauen und Männer vom Wartungspersonal – sind seit Beginn der Flutkatastrophe im Einsatz. "Besonders schlimm war es in Deggendorf", sagt Schnurr, er wirkt nachdenklich. "Alles komplett abgesoffen". Frustrieren lassen sich der 57-Jährige und seine Mitstreiter davon aber nicht, auch nicht von Deichbrüchen wie dem in Fischbeck. "Nein, ein Rückschlag ist das nicht. Wie haben es versucht, es hat nicht geklappt. Das passiert. Natürlich tut es uns leid, aber ändern können wir es nicht. Das ist die Natur."

Die wichtige Ost-West-Verbindung, die ICE-Strecke zwischen Berlin und Hannover, ist in den Fluten versunken.

Die wichtige Ost-West-Verbindung, die ICE-Strecke zwischen Berlin und Hannover, ist in den Fluten versunken.

(Foto: Tilman Aretz / n-tv.de)

Und, ja, irgendwie gegen die Natur werfen jetzt die Hubschrauber wieder ihre Motoren an. Einer nach dem anderen lässt seine Haken dicht über der Sandladestation hängen, wo Helfer die Haken mit den Big Bags in verschiedener Größe bestücken. Gabelstapler haben zuvor die Sandpakete an die richtige Stelle gehievt, Angehörige von Bundeswehr und Bundes polizei wuchten die Big Bags an die Haken, während ihnen links und rechts das halbe Feld um die Ohren fliegt. Zehn Minuten später läuft es wieder wie am Schnürchen. Kaum hat ein Helikopter abgehoben, verlangt schon der nachfolgende nach einer Ladung Sand.

Ralf Schnurr ist zufrieden. Der Pegel der Elbe schiebt sich langsam nach Norden. Bis jetzt ist man mit einem blauen Auge davongekommen, meint er. Und Donnerstag ist für Schnurr, der in Sankt Augustin bei Bonn zu Hause ist, Schluss. Da beginnt sein Urlaub. 2002 sei die Lage schlimmer gewesen, vermutlich, weil die Leute die Flut damals nicht ernst genommen hätten, sagt Schnurr. Bei der Jahrhundertflut hätten sie über 200 Menschen von Dächern, aus Autos und von Brücken mit ihren Helikoptern aus den Wassermassen herausholen müssen. In diesem Jahr war es nur einer. "Wir haben alle dazugelernt", sagt Schnurr. Übrigens auch, was die Päpste angeht. Um nicht noch einmal in eine so peinliche Lage zu kommen, sind die Superpumas inzwischen mit leichten und gut verstaubaren Aluminiumtreppen ausgestattet. Um ein würdevolles Ein- und Aussteigen zu gewährleisten. Wie gesagt, Ralf Schnurr ist zufrieden.

Quelle: ntv.de

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