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Angriff auf Nationalküche? Der Nutri-Score bringt Italiener in Rage

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Auch Pizza hat keinen so tollen Nutri-Score.

Auch Pizza hat keinen so tollen Nutri-Score.

(Foto: imago images/Future Image)

Die EU möchte, dass sich ihre Bürger gesund ernähren. Ein Aufdruck mit Nährstoffen, Fett- und Zuckergehalt soll dabei helfen. Italien ist aber gegen das vorgeschlagene Modell. Denn das würde begehrte Käse- und Schinkenprodukte zu Junkfood deklassieren.

Die mediterrane Diät zählt seit 2010 zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO, 2017 kam die Pizza hinzu. Vorigen Dezember kündigte Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida offiziell an, er werde sich dafür einsetzen, dass auch die italienische Küche in diese Liste aufgenommen wird, denn "die italienische Küche ist unsere Visitenkarte in der Welt", hob er hervor. Und wehe dem, der versucht, sie anzugreifen.

Doch gerade ist ein solcher Angriff aus Brüssel im Gang, das zumindest ist man geneigt zu vermuten, wenn man derzeit in italienische Medien schaut. Und die Befürchtungen kommen nicht nur von Lollobrigida, der zu den Gründern der rechten Forza Italia gehört, sondern auch vom Landwirtschaftsminister vor ihm, der Mitglied der Fünf-Sterne-Bewegung war.

Auslöser dieser Aufregung ist die Ausarbeitung neuer EU-Richtlinien zur Lebensmitteletikettierung und Auflistung der Nährwerte. Eine Maßnahme, deren Ziel es ist, EU-weit eine gesündere Ernährung zu fördern. 2020 wurde das Vorhaben angekündigt, 2022 hätten die neuen Vorschriften in allen 27 Mitgliedsstaaten in Kraft treten, beziehungsweise in die Umsetzungsphase starten sollen. Die Zeittafel erwies sich aber als zu optimistisch. Mittlerweile konkurrieren nicht nur zwei Etikettenmodelle - das eine nennt sich Nutri-Score, das andere NutriInform Battery -, sondern auch zwei Lager.

Pommes frites gesünder als Olivenöl?

Die Franzosen legten als Erste das Nutri-Score-Modell vor. Dieses fußt auf fünf Buchstaben, von A bis E, und auf fünf Farben, von Dunkelgrün bis Dunkelrot. Buchstaben und Farben weisen auf die gesundheitsfördernden oder gesundheitsschädlichen Zutaten hin: A und Dunkelgrün stehen für sehr gesund, E und Dunkelrot für sehr schädlich. Bewertet werden dabei Zucker-, Fett-, Ballaststoff- und Salzgehalt pro 100 Gramm Produkt.

Italien protestierte sofort und lauthals dagegen. Mit so einer Berechnung, hieß es, würden einige seiner weltweit bekanntesten und beliebtesten Produkte, darunter Parmesan-Käse, Rohschinken und Natives Olivenöl Extra, beinahe an Junkfood grenzen. Und zu beweisen, dass man die Nährstoffe nicht, wie es Nutri-Score macht, über Algorithmen bestimmen kann, wird immer wieder gerne das Beispiel der Pommes frites zitiert. Anhand der Nutri-Score-Berechnung sind diese weniger schädlich als Natives Olivenöl Extra. Mittlerweile wurden die Berechnungen beim Nutri-Score ein wenig adjustiert, doch im Kern hat sich nichts geändert.

Neben dem angeschlagenen Nationalstolz geht es Italien auch um den wirtschaftlichen Schaden. Wie man den Daten des italienischen Statistikinstituts ISTAT entnehmen kann, exportierte Italien 2023 Käse im Wert von 4,1 Milliarden Euro, der Exportwert von Salami und Schinken belief sich auf über 2 Milliarden Euro. Nutri-Score könnte der Sparte einen nicht unerheblichen Schaden zufügen.

Um sich dem System der Franzosen zu widersetzen, wurde unter der damaligen Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Demokratischer Partei ein Modell entworfen, das sich NutrInform Battery nennt. Dieses System berechnet für jedes Lebensmittel nicht nur die Nährstoffe, sondern gibt auch die wissenschaftlich empfohlene Tagesmenge für jede dieser Zutaten an. Dieses Etikett mag weniger intuitiv als das Nutri-Score Etikett sein, räumt man ein, dafür aber wahrheitsgetreuer.

Die Konkurrenz zwischen den zwei Modellen hat auch zur Bildung von zwei Lagern geführt. So unterstützen Deutschland, Belgien, Spanien, Luxemburg und Niederlande das französische Modell (wobei es aber immer wieder zu Änderungen kommt). In diesen Ländern läuft auch schon eine Testphase. Hinter dem italienischen Modell NutrInform Battery stehen Griechenland, Zypern, Tschechien, Rumänien und Ungarn.

Küche und Staatsräson

Dass die Italiener auf ihre Küche stolz sind, diese zu ihren Identitätsfaktoren zählen, ist nachvollziehbar. Ob sie deswegen allerdings zur Staatsräson aufsteigen und in die Verfassung aufgenommen werden soll, könnte aber doch übertrieben sein.

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Genau das will Lollobrigida, Minister für Landwirtschaft und Nahrungssouveränität, wie das Amt unter der jetzigen Regierung umbenannt wurde, jedoch erreichen. Ende April kündigte er in einem Zeitungsinterview an, den Antrag stellen zu wollen, in Artikel 32 der Verfassung folgenden Satz hinzuzufügen: "Die Republik sichert den Bürgern eine gesunde Ernährung und verfolgt das Prinzip der Nahrungssouveränität und des Schutzes der Produkte, die für die nationale Identität stehen."

Sollte er dieses Vorhaben durchsetzen, was aber nicht von heute auf morgen geschehen könnte, denn Verfassungsänderungen sind langwierig, würde das Nutri-Score-Etikett nie auf italienische Lebensmittel kommen. Im Hinblick auf die anstehenden EU-Wahlen ist der Nutri-Score auf jeden Fall ein willkommenes Thema, um damit Wahlkampf zu machen.

Quelle: ntv.de

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