Leben in einer "Bestzeit" Deutsche sind voller Zuversicht
26.12.2014, 13:27 Uhr
Mit 45 Prozent hat der Anteil der Optimisten im Dezember 2014 einen neuen Höchstwert erreicht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Geld macht nicht glücklich? Sichere Einkommen und steigende Löhne aber offenbar schon. Das persönliche Wohlergehen der Deutschen hat ein Rekordniveau erreicht - und spiegelt sich in der Stimmung wider. So optimistisch wie jetzt war Deutschland schon lange nicht mehr.
Alles wird gut im neuen Jahr - das erwarten laut einer repräsentativen Umfrage so viele Deutsche wie seit langem nicht mehr. Fast jeder Zweite sehe 2015 "mit großer Zuversicht und Optimismus" entgegen, sagt der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Mit 45 Prozent habe der Anteil der Optimisten einen neuen Höchstwert erreicht. Die Pessimisten haben zwar um drei Prozentpunkte zugelegt, sind mit 27 Prozent aber deutlich in der Minderheit. Ihre Zahl unterliege auch größeren Schwankungen, während das Optimistenlager stabiler sei.
Nach der Krise von 2008/9 hat sich die Stimmung seit 2011 immer weiter aufgehellt, wie die alljährliche Studie des Instituts Ipsos zeigt. Hintergrund ist nach Angaben von Opaschowski vor allem die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Rekordzahl der Erwerbstätigen. Schon Ende 2013 hatten viele der Befragten das Gefühl, in einer "Bestzeit" zu leben. Diese Stimmung hat sich laut Opaschowski weiter verfestigt.
Eigenwillige Gewichtung von Gefahren
Ganz geheuer ist das dem Zukunftsforscher nicht: "Es kann nicht unendlich so weitergehen", sagt er. Die Politik kommt bei ihm nicht gut weg. Für den Jetztzustand seien die Deutschen zwar mit ihrer Regierung zufrieden, das Misstrauen mit Blick auf Zukunftsfragen habe jedoch gewaltig zugenommen. Die Bürger nähmen die Politiker als überfordert, als Getriebene wahr, sagt er und spart selbst nicht mit Kritik: "Das beste Beispiel ist die Rente mit 63, die völlig widersinnig ist." Der Vorruhestand war einmal das Lebensziel vieler Deutscher. Heute sei es die lebenslange Beschäftigung - ob bezahlt, um den Lebensstandard zu halten, oder unbezahlt, weil man weiter gebraucht werden will. "Deswegen wird es in Zukunft einen Trend zum länger Tätigsein geben."
Die Deutschen sehen die Welt der Studie zufolge nicht durch die rosa Brille, gewichten die Gefahren aber sehr eigenwillig. "Wir leben geradezu in chronisch unsicheren Zeiten, und zwar weltweit", glaubt Opaschowski. Krisen und Katastrophen würden immer extremer, immer globaler. Es ist aber nicht die Angst vor Krieg oder Terrorismus, die die Menschen umtreibt, sondern in erster Linie die Geldentwertung. Das gaben zumindest 59 Prozent der Befragten an. Ökonomen warnen in der Euro-Krise derzeit eher vor einer Deflation, verbreitet sei jedoch die Furcht vor einer "gefühlten Inflation". "Das ist eine Art Inflationstrauma der 20er Jahre, das bei den Generationen Spuren hinterlassen hat", sagt der Forscher.
Erst auf Platz zwei folgt die Sorge um den Arbeitsplatz, dann die Furcht vor einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und vor Kriminalität. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sind für die meisten Deutschen weit weg. Sie sind relativ krisenresistent, sagt Opaschowski. Es nehme allerdings der Anteil derjenigen stark zu, die sich vor Konflikten zwischen Christen und Muslimen und vor Überfremdung fürchteten.
Single-Gesellschaft war gestern
Es gebe gleichwohl eine wachsende Bereitschaft, gerade um Weihnachten herum, Flüchtlingen zu helfen. Ob es der Politik und der Gesellschaft gelingen wird, dauerhaft ein Klima der Toleranz zu schaffen, werde sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Das Thema hält der 1941 in Oberschlesien geborene Forscher im Übrigen nicht für neu: Schon in den Nachkriegsjahren hätten sich viele von den Flüchtlingen aus den Ostgebieten bedrängt gefühlt.
Worauf verlassen sich die Deutschen? Auf die Familie, lautet Opaschowskis Antwort. 88 Prozent der Befragten setzten ihre Hoffnungen darauf. Dreiviertel der Deutschen wünschten sich die traditionelle Vater-Mutter-Kind-Gemeinschaft, ob mit oder ohne Trauschein. "Die Single-Gesellschaft hat ihren Höhepunkt überschritten." Der Zukunftsforscher sieht sogar Anzeichen für einen "zweiten demografischen Wandel" in den nächsten 20 Jahren und verweist auf den leichten Anstieg der Geburtenzahl.
Wer kinder- oder enkellos ist, dem sind Freundschaften besonders wichtig (84 Prozent), und zwar auch über Generationen hinweg. Die Beziehungen zu Freunden, Nachbarn oder Mitbewohnern bildeten einen "sozialen Konvoi", der die Menschen ein Leben lang begleite. Die Gemeinschaft beruhe auf Gegenseitigkeit. Es gehe um kalkulierte Hilfsbereitschaft nach dem Grundsatz "Ich gebe dir, damit du was gibst", nicht um selbstlose Wohltätigkeit à la Albert Schweitzer und Mutter Teresa. "Die Generationenbeziehungen werden in Zukunft wichtiger als die Partnerbeziehungen", prophezeit Opaschowski.
Quelle: ntv.de, asc/dpa