Panorama

Saufen, fressen, Tiere gucken Die grüne Hölle von Berlin

"Ohne Bayern wär hier gar nix los": Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich zeigt, wie's gemacht wird...

"Ohne Bayern wär hier gar nix los": Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich zeigt, wie's gemacht wird...

(Foto: dpa)

124.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche! Über 100.000 kulinarische Spezialitäten! Die "79. Internationale Grüne Woche" lockt mit einem "Festival der Sinne" - ist aber vor allem Abzocke. Dass es auch anders geht, zeigen die Betreiber der Klein- und Kleinststände.

Das mit dem Trinken am Morgen ist ja so eine Sache. Auf der einen Seite ist es natürlich wahnsinnig entspannend, die Hirnwindungen schon früh um elf in reichlich Alkohol zu marinieren: Auf einmal verschluckt ein wohliger rosa Nebelschleier das nervige Gequäke der Mitmenschen und auch das Winterwetter ist plötzlich nicht mehr so schlimm. Dafür schaltet sich dann das schlechte Gewissen ein und vergällt einem den ganzen Spaß. Bis zu einem gewissen Grad können sich davon meistens nur die frühschoppenden Bayern freimachen. Wie gut, dass es Messen wie die "Grüne Woche" gibt: Hier wird nämlich nicht getrunken, sondern probiert. Und das ist ja bekanntlich ein riesiger Unterschied.

Es ist kurz vor halb elf am Freitag, die "79. Internationale Grüne Woche" hat vor nicht einmal einer halben Stunde ihre Tore für die Besucher geöffnet. In Kanada hängen sie schon schief am Tresen, ein brauner Schnaps namens "Feuerwasser" hat offenbar gehalten, was der Name verspricht - auch wenn die beleibten Herren mit den Cowboyhüten offenbar mehr als ein Glas probieren mussten, um die Qualität des Drinks zweifelsfrei einschätzen zu können. Auch in der Bayern-Halle haben sie die Methode des gepflegten Kaltstarts nahezu perfektioniert: Im stilechten Biergarten spielt die Blasmusik ein "Prosit" und fesche Buben in Krachledernen erklimmen in bester Oktoberfestmanier die Tische, um den Evergreen "Ohne Bayern wär hier gar nix los!" zu schmettern. Mia san mia vom Feinsten, das macht doch Lust auf mehr.

"Ab dem dritten Bier ist sogar Ihre Frau faltenfrei"

Okay, zugegeben, nicht auf jedem der 124.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche kocht die Stimmung dermaßen über. In Mecklenburg-Vorpommern, umweht von Fisch- und Käsegeruch, verfolgt der Einpeitscher der Brauerei Störtebeker eine subtilere Taktik: "Bier ist ja bekanntermaßen gesund. Wenn Sie gleich nach dem Aufstehen einen halben Liter zu sich nehmen, lockert das die Fältchen. Und ich garantiere Ihnen, ab dem dritten Bier ist sogar Ihre Frau faltenfrei", sagt der faltige Mann zu seinem faltigen Publikum, das den gefühlten Messe-Altersdurchschnitt noch einmal um zehn Jahre nach oben irgendwo Richtung Methusalem schraubt. Keiner lacht - es ist aber auch nicht so ganz klar, ob das überhaupt als Witz gemeint war. Schwamm drüber, zur Belohnung für so viel Standfestigkeit spendiert der Störtebeker-Mann seinen Zuschauern einen Schluck Schwarzbier.

So viel Glück wie das Störtebeker-Publikum muss man auf der "Grünen Woche" erst mal haben. Alkoholische Getränke können die Besucher so gut wie gar nicht kostenfrei testen - mit Glück findet sich ein Weinhändler, der die hartnäckigsten Besucher nach zehnminütigem Verkaufsgespräch mal vom Grauburgunder nippen lässt. Von einer Probiermesse, wie die Berliner "BZ" vollmundig schreibt, ist die "Grüne Woche" jedenfalls meilenweit entfernt.

Positives Aha-Erlebnis: In der Brandenburg-Halle dürfen die Besucher fast alles probieren.

Positives Aha-Erlebnis: In der Brandenburg-Halle dürfen die Besucher fast alles probieren.

(Foto: imago/Raimund Müller)

Aber was ist denn mit dem Essen - bei 1650 Ausstellern aus 70 Ländern müsste doch für jeden was dabei sein, oder etwa nicht? Ganz klares Jein: Zwar überzeugen vor allem die nationalen und europäischen Spezialitäten mit teilweise hervorragen der Qualität. Wirklich probieren dürfen die Besucher dabei aber nur einen verschwindend geringen Teil der Ware. Bei teilweise absurden Preisen von 4,90 Euro für eine Leberkässemmel, 2 Euro für eine winzige Scheibe Weißbrot mit Lachskaviar oder 13 Euro für ein kleines Stück Krustenbraten grenzt das beinahe an Frechheit - zumal der Eintritt zur Messe mit 13 Euro auch nicht ganz billig ist.

Nun könnte man durchaus argumentieren, dass die Betriebe ihre teuren Qualitätsprodukte nicht einfach so verschenken können. Es sind aber ausgerechnet die kleinsten Stände, bei denen die Gäste am meisten naschen dürfen - allen voran die winzigen Familienunternehmen in der Brandenburg-Halle. Mit Erfolg: Nach der Probegurkenscheibe zückt ein großer Teil der Besucher das Portemonnaie, um ein Glas der Spreewälder Delikatesse in den mitgebrachten Hackenporsche zu befördern. Gleiches gilt für Wildschweinsalami, Kräuterkäse & Co.

"Automatische Melkstation mit Kotklappe und Zitzenreiniger"

Wer hofft, seinen kulinarischen Horizont auch über die Grenzen Europas hinaus zu erweitern, ist auf der "Grünen Woche" indes völlig fehl am Platz. Die geltende Regel scheint zu lauten: Je exotischer das Land, desto konventioneller die Speise - vielleicht, um die zahlungskräftigen Besucher nicht abzuschrecken. Anders jedenfalls ist nicht zu erklären, warum man bei jedem beliebigen Berliner Libanesen einen besseren Schawarma-Teller als auf der Messe bekommt. Absoluter Tiefpunkt ist aber wohl der Glutamat-Chinese, der inklusive identischer Speisekarte genau so auf diversen deutschen Bahnhöfen zu finden ist.

Überwältigt vom kulinarischen Überangebot und Messehallen voller Haushaltsgeräte geraten die restlichen Attraktionen der "Grünen Woche" derweil fast in Vergessenheit. Auf einem "ErlebnisBauernhof" können die Besucher neben zweifelhaften Errungenschaften wie einer "Automatischen Melkstation mit Kotklappe und Zitzenreiniger" durchaus informativ aufbereitete landwirtschaftliche Produktionsketten nachvollziehen - und treten sich dabei nicht ständig wie in den Fresshallen gegenseitig auf die Füße.

Nur einen Steinwurf davon entfernt ebbt das nervöse Geschnatter, das sonst die gesamte Messe erfüllt, plötzlich ab. In der Luft hängt ein betörender Geruch, Dutzende verschiedener Nutztierrassen äsen bedächtig in einem gewaltigen Indoor-Stall vor sich hin. Gerade eben noch haben die Besucher mit Zahnstochern scheibchenweise die toten Artgenossen der ausgestellten Viecher von Papptellern genascht, jetzt lassen sich alle wie auf ein geheimes Zeichen hin von der Ruhe der Tiere anstecken. Die scheint das Gegaffe wenig zu interessieren: Eine westafrikanische Zwergziege mümmelt genüsslich an einer Dekotanne, der gewaltige Uckermärker Bulle dreht den Zuschauern demonstrativ den Rücken zu. Dann hebt er leicht den Schwanz und gibt sein ganz eigenes Statement zur grünen Hölle von Berlin ab - in Form eines Fladens.

Quelle: ntv.de

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