Spanische Gurke nicht Auslöser? EHEC-Suche beginnt von vorn
31.05.2011, 17:15 Uhr
Mappe aus dem sächsischen Sozialministerium mit Verhaltensmaßnahmen gegen eine "EHEC"-Infektion.
(Foto: dpa)
Auf der Suche nach der EHEC-Infektionsquelle erleiden die Forscher einen Rückschlag. Der auf spanischen Gurken in Hamburg entdeckte Erreger ist zwar gefährlich, hat offenbar aber nicht die Erkrankungswelle ausgelöst. Die offizielle Verzehrwarnung bleibt bestehen. In Dresden macht sich derweil die EHEC-Angst vor dem Kirchentag mit über 100.000 Besuchern breit.
Die Suche nach der Quelle des EHEC-Erregers muss von vorn beginnen. Die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) teilte vor der Presse mit, dass der auf spanischen Salatgurken entdeckte Erreger offenbar nicht die Quelle für den beispiellosen Ausbruch an Infektionen mit dem Darmkeim ist. Sie trügen einen anderen EHEC-Erreger und könnten damit auch das sogenannte hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) auslösen, das zu akutem Nierenversagen führen kann. Damit sei die Quelle für die Erkrankungen in der Hansestadt Hamburger nach wie vor nicht identifiziert.
Der Sachverhalt sei kompliziert, gab Prüfer-Storcks zu verstehen. Der neue Befund bedeute nicht, dass die spanischen Gurken ungefährlich sind. Sie trügen eindeutig einen EHEC-Erreger und könnten damit auch das sogenannte hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) auslösen, das zu akutem Nierenversagen führen kann. Die Gurken seien damit potenziell gesundheitsgefährlich und hätten aus Verbraucherschutzgründen zwingend aus dem Verkehr gezogen werden müssen, sagte die Senatorin.
Auch die offizielle Verzehrwarnung sei daher richtig gewesen und noch immer richtig. "Es wäre unverantwortlich, bei einer solchen Zahl von Erkrankungen einen begründeten Verdacht zurückzuhalten." Die Hamburger Behörden untersuchen laut Prüfer-Storcks weiter alle denkbaren Ursachen für die EHEC-Infektionen, auch andere Lebensmittel. "Wir beproben sehr weitläufig", sagte die Senatorin. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr und das Robert Koch-Institut (RKI) mahnten die Bürger erneut, Tomaten, Gurken und Blattsalate nicht roh zu verzehren und Hygieneregeln zu beachten.
EHEC-Angst vor dem Kirchentag

Ein Hinweisaufkleber in einem Toilettenraum im RKI gibt Tipps zum richtigen Händewaschen.
(Foto: dpa)
Die Angst vor dem EHEC-Erreger beschäftigt auch die Dresdner Gesundheitsbehörden. Hintergrund ist der am Mittwoch beginnende evangelische Kirchentag, der diesmal in der sächsischen Landeshauptstadt stattfindet. Die Kirchentagsteilnehmer sollten "vor jedem Essen, vor jeder Lebensmittelzubereitung und nach jedem Toilettengang gründlich die Hände waschen", erklärte Sachsens Gesundheitsministerin Christine Clauß (CDU) in Dresden. Zum Kirchentag werden rund 110.000 Dauerteilnehmer in der Elbestadt erwartet. Die Lebensmittelüberwachung des Freistaats kontrolliere nach wie vor landesweit Obst und Gemüse.
Bisher haben sich bundesweit 1400 Menschen mit dem potenziell gefährlichen Darmkeim infiziert oder stehen im Verdacht, sich infiziert zu haben – vor allem in Norddeutschland. 15 Menschen starben bislang nach einer EHEC-Infektion. Erstmals starb auch ein Mensch außerhalb Deutschlands an der gefährlichen Krankheit. Die 50-Jährige Schwedin hatte zuvor Deutschland besucht.
Allein in Hamburg wurden 569 Fälle von EHEC oder EHEC-Verdacht gemeldet. Der Chef des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), Jörg Debatin, berichtete, dass dort jeder blutige Durchfall als EHEC-Infektion diagnostiziert wurde. Demnach würden derzeit 110 Patienten wegen der lebensbedrohlichen Komplikation HUS oder dem Verdacht darauf in Hamburger Krankenhäusern stationär behandelt.
Schnelltest könnte bei Quellen-Suche helfen
Unterdessen haben Wissenschaftler der Uniklinik Münster einen Schnelltest zum Nachweis des EHEC-Erregers entwickelt. Mit dem molekularbiologischen Verfahren könnten schon kleinste Mengen von EHEC-Erregern in wenigen Stunden nachgewiesen werden, sagte ein Sprecher.
Das Gute an dem Test: Er kann auch bei der Suche nach der Quelle des gefährlichen Erregers eingesetzt werden. Der Schnelltest stehe "natürlich auch den entsprechenden Stellen für Lebensmittelüberwachung zur Verfügung, so dass es auch dort eingesetzt werden kann", sagte ein Sprecher des Universitätsklinikums. Nötig sei jedoch ein spezielles molekularbiologisches Labor. "Das ist jetzt nicht so ein Test, mit dem man über den Markt gehen kann und hier etwas dranhalten kann wie bei einem Schwangerschaftsstreifen." Wie sehr der Schnelltest die Suche nach dem Ursprung der Infektion beschleunigen kann, müssten zuständige Behörden beurteilen.
Deutsche bleiben entspannt
Nach einer aktuellen Umfrage haben knapp zwei Drittel der Deutschen keine besondere Angst vor dem EHEC-Erreger. Rund ein Drittel macht sich allerdings Sorgen, wie eine repräsentative Umfrage des Kölner Meinungsforschungsinstituts YouGov ergeben hat. Die Warnungen vor dem Durchfallerreger hält eine Mehrheit von 61 Prozent für angemessen. Nur rund jeder Vierte (27 Prozent) empfindet sie als übertrieben, elf Prozent wollten das nicht beurteilen. Die Hälfte der Befragten (50 Prozent) will wegen EHEC vorübergehend auf rohes Gemüse verzichten. Das Institut hatte von Donnerstag bis Montag 1075 Menschen im Alter von mindestens 18 Jahren in ganz Deutschland befragt.
Bauern können Hilfe beantragen
Von den Erkrankten abgesehen, haben vor allem die Bauern unter der EHEC-Krise zu leiden. Sie können bei Umsatzeinbußen verbilligte Kredite beantragen. Die Landwirtschaftliche Rentenbank stelle kurzfristig Darlehen zu besonders günstigen Konditionen zur Verfügung, teilte das Landwirtschaftsministerium in Berlin mit. Die EU schloss Hilfen für Gemüsebauern auch in anderen europäischen Ländern nicht aus. Nach der Warnung vor dem Verzehr von frischen Gurken, Salat und ungekochten Tomaten war der Absatz massiv eingebrochen – nicht nur in Deutschland.
Eine der größten Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse bundesweit, die Mecklenburger Ernte, stellte unterdessen die Gemüseernte ein. Obwohl alle Salate und Gemüse nachgewiesenermaßen frei von dem gefährlichen EHEC-Darmkeim seien, nehme der Handel immer weniger ab, sagte der Geschäftsführer der Organisation, Klaus-Dieter Wilke. Der Absatz von frischem Gemüse sei um deutlich mehr als die Hälfte eingebrochen. Der Organisation gehören sechs Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein an.
Auch die niederländischen Landwirte etwa exportieren nach Angaben von Landwirtschaftsminister Henk Bleker so gut wie keine Gurken, Tomaten oder Salate mehr nach Deutschland. Die Ausfuhren haben demnach einen Wert von 1,1 Milliarden Euro im Jahr. Auch Gemüse aus Spanien bleibt in den Regalen liegen. Die spanische Landwirtschaftsministerin Rosa Aguilar schimpfte bei einem Treffen mit ihren europäischen Kollegen in Ungarn über das deutsche Krisenmanagement. Die Behörden hätten "unangebracht" reagiert, indem sie spanische Gurken als eine Quelle des EHEC-Erregers benannten, ohne "verlässliche Daten" zu haben, sagte sie.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP