Panorama

Karneval bis zum Erbrechen Endstation Wurst-Willy II

Irgendein Kostüm finden die "Jecken" immer. Ist ja auch egal - Hauptsache verkleidet.

Irgendein Kostüm finden die "Jecken" immer. Ist ja auch egal - Hauptsache verkleidet.

(Foto: dpa)

Jedes Jahr aufs Neue zwängen sich Millionen von Menschen in schlecht sitzende Einheitskostüme und ertränken Kölns Straßen in einem Meer aus Kölsch und Pisse. Für Philosophie, verbale Drogen und schöne Muschis.

"Bababadalgharaghtakamminarronnkonnbronntonnerronntuonnthuuntrovarrhounawnskawntoohoo
hoordenenthurnuk."

Die gesamte Menschheitsgeschichte in hundert Zeichen, onomatopoetisch zusammengefasst in zehn verschiedenen Sprachen - genial. Wer so fehlerfrei die Kernthese aus James Joyce' Monumentalwerk "Finnegans Wake" zitieren kann, muss ein echter Literaturfreund und Feingeist sein.

Oder total besoffen.

Am Tag danach gibt's was zu tun.

Am Tag danach gibt's was zu tun.

(Foto: picture alliance / dpa)

Jack Sparrow, der gerade das Erbrochene aus seinem falschen Bart kratzt und sich dann wieder an die stieräugige Pocahontas neben ihm heranschmeißt, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Letzteres. Alles andere wäre auf der Zülpicher Straße am Rosenmontag aber auch ganz schön merkwürdig. Ist schließlich Karneval. Und da sind die Menschen in Köln eben Jeck.

Verrückter, Irrer, Spinner, Freak und noch mehr Synonyme spuckt "Wikipedia" aus, wenn der Rheinfremde sich wundert, was "Jeck" eigentlich bedeutet. Fragwürdige Definitionen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der klassische Spinner zwar wie manch gewöhnlicher Karnevalist bisweilen Aluhelme zum Schutz vor Außerirdischen oder der NSA trägt - aber wohl kaum auf die Idee kommen würde, sich frierend in die Schlange vor einer Saufkneipe einzureihen, nur um dann Stunden später zehn Euro Eintritt bezahlen zu dürfen und auf Tischen stehend "Viva Colonia" zu grölen.

"Da ist noch etwas in uns drin"

Was bewegt Millionen von Deutschen in der fünften Jahreszeit trotzdem dazu, sich alljährlich wieder in ihre immer gleichen Kratz-Kostüme aus feinstem chinesischen Polyester zu zwängen? "Sie sind feierfreudige Menschen mit einem Schuss Melancholie", sagt der Kölner Psychologe Wolfgang Oelsner in einem bemerkenswerten Interview mit der "Welt". Mit den richtigen Worten kann man eben alles erklären.

Jack Sparrow weiß genau, was Oelsner meint. Der Plastik-Pirat wischt sich einen letzten Rest Melancholie aus dem Bart und wankt zurück in das dräuende Halbdunkel - angezogen vom hypnotischen Sound von "Wini wini, wana, wana", dem der Betrunkene so wenig widerstehen kann wie ein 08/15-Seefahrer den Sirenen. Der bärbeißig dreinguckende Türsteher lässt Jack anstandslos passieren: Sauer riechen tut es in der Pinte ohnehin schon und Sparrow hat in seinem Magen zumindest schon mal Platz für den Kölsch-Nachschub geschaffen. Außerdem soll man Reisende nicht aufhalten, ganz besonders, wenn sie "Wini, wini, wana, wana" tadellos mitsingen können.

"Dieses Gebetsmühlenartige, das hat eine verbale Drogenwirkung. Und bei Nanana, Lalala und Trallerallera können alle Bevölkerungsschichten mitmachen", sagt Oelsner und schlägt gleich noch die Brücke zum Schamanismus: "Ab und zu wird uns bewusst: Da ist noch etwas in uns drin und das möchte manchmal raus." Dumm nur, dass das millionenfache Heer der Hobbyschamanen ausgerechnet Alkohol zum bewusstseinserweiternden Katalysator der Wahl auserkoren hat.

Wildpinkler kriegen Strafzettel

Vor allem deswegen zählen die Ordnungshüter in der Kölner Innenstadt bis zum Einbruch der Dunkelheit über 200 Einsätze - und sprechen von einem ruhigen Rosenmontag. Nicht in der Rechnung enthalten ist die Vielzahl der minderschweren Prügeleien, die ohne gravierende Verletzungen und anschließenden Notarzteinsatz auf Kölns scherbengepflasterten Straßen angezettelt wird. Oder die Flut von Strafzetteln, die das Ordnungsamt an die Wildpinkler verteilt, die Kölns Innenstadt innerhalb von wenigen Tagen in die wahrscheinlich größte Kloake der Welt verwandeln.

Um sieben Uhr morgens ist in der Hornstraße knapp außerhalb des Grüngürtels - eigentlich noch mitten im Einzugsbereich der Karnevals-Vorhölle - allerdings nichts mehr von der stinkenden Apokalypse zu erahnen. Die Vögel zwitschern der aufgehenden Sonne entgegen, ein Kirschbaum reckt seine rosa Blüten gen Himmel und ein müder Zuhälter mampft schweigend Pommes Rot-Weiß mit zwei seiner lederstiefelbewehrten Angestellten. In der Ferne wummert schwach der Bass von einem ehemaligen Schrottplatz her. Es herrscht Frieden in Köln. Endlich.

"Tächno", sagt Willy und deutet Richtung Schrottplatz. "Die sind okay, machen keinen Stress. Aber essen wollen die nie was." Im Hintergrund murmelt der Lude: "Große Hirne, kleine Hände, schöne Muschis." Willy runzelt die Stirn und zuckt dann mit den Achseln. Manches bleibt Außenstehenden eben für immer ein Rätsel: Quantenphysik zum Beispiel. Oder Zuhälter. Oder James Joyce. Vielleicht also sollte man ganz einfach fest daran glauben, dass die Kölner Karnevalisten "Finnegans Wake" verstehen wollen - und nicht einfach nur besoffen sind. Ändern kann man am Ergebnis sowieso nichts.

Quelle: ntv.de

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