Mission in Osttimor Identität braucht Geschichte
29.05.2008, 08:12 UhrWenn Jesuitenpater Ruedi Hofmann kichert, steckt das richtig an. Er kichert gerne. Zeichentrick ist seine Leidenschaft, zumindest beruflich. Der 70-Jährige Schweizer lebt und arbeitet seit acht Jahren in Osttimor. Er hat eine große Mission: Pater Hofmann will den Einwohnern des durch Jahrhunderte lange portugiesische Kolonisation und brutale indonesische Besatzung drangsalierten Landes ihre Geschichte wiedergeben.
Seit vier Jahren flimmert jeden Mittwoch und Sonntagabend zur besten Sendezeit sein Programm "Istoria ba Futuru" - Geschichte für die Zukunft - über den osttimoresischen Bildschirm. "Wir bringen immer eine osttimoresische Sage und eine Begebenheit aus der Geschichte", erzählt Hofmann in der Hauptstadt Dili. Wie das Stück über den Jungen Duan, der zu Hause ungeliebt ist und davonläuft, eine magische Halskette findet, ein von einem Drachen terrorisiertes Königreich befreit und selbst zum König wird. Oder das Stück über den 1998 verstorbenen Nationalhelden Nino Konis Santana, der trotz Jahren im Dschungel Gedichte schrieb und das Bildungsideal hochhielt. Vergnügt zeigt Pater Hofmann die Episoden auf einem alten Computer in seinem Büro in der Jesuitenmission in Dili.
Die Programme sind höchst populär. Wenn Hofmann in dem Minivan mit dem Logo der Produktionsgesellschaft - einer aufgehenden Sonne - durch Osttimor fährt, laufen schnell die Fans zusammen, berichtet er. Im vergangenen Jahr bekam er mehr als 800 Briefe. Die Zuschauer kommentieren die Geschichten und ziehen Parallelen zur heutigen Politik. "Zu Anfang der zweiten Sendung zeigen wir Schlüsselszenen noch mal und lesen dann die Kommentare vor - da brauchen wir selbst gar nichts mehr hinzuzufügen", sagt Hofmann, dann lacht er wieder verschmitzt. Was, meint er, ist besser, als dass die Zuschauer aus Sagen und Geschichten über Gewalt von Mächtigen oder Ausbeutung von Schwachen selbst Verbindungen zur Politik der Gegenwart herstellen?
Traumatische Vergangenheit
Osttimors Gesellschaft ist nach der Gewalt geladenen Geschichte schwer traumatisiert. Kaum eine Million Einwohner, aber viele Gräben: zwischen West und Ost, zwischen denen, die den Widerstand unterstützten und denen, die für den Anschluss an Indonesien waren, zwischen solchen, die Portugiesisch als Landessprache wollen und anderen die Indonesisch vorziehen. Jahrzehnte war Gewalt das einzige Mittel, um sich durchzusetzen.
Vor zwei Jahren geriet das Land an den Rand eines Bürgerkriegs, nachdem die Regierung hunderte desertierende Soldaten entließ. Marodierende Banden lieferten sich Straßenkämpfe, einige Dutzend Menschen starben, hunderte Häuser wurden in Brand gesteckt. Mehr als 150.000 Menschen wurden vertrieben. Bis heute leben hunderte in Flüchtlingszelten in der Hauptstadt Dili.
"Wie sollen die Menschen ihre Gegenwart verstehen, wenn sie ihre Geschichte nicht kennen?", sagt Hofmann, dessen Programm von Misereor finanziert wird. Weil das Land Jahrhunderte von Ausländern dominiert war, ist viel verschütt' gegangen. "Unter den Portugiesen lernten die Kinder portugiesische Geschichte in der Schule, unter den Indonesiern indonesische", sagt Hofmann. Die fremden Fesseln wurden erst zur Jahrtausendwende abgeworfen. Seit 2002 ist das Land unabhängig. Im plötzlichen Frieden ist die Suche nach der nationalen Identität aber oft schwierig und schmerzhaft.
"Das ist alles Gerede", sagt Präsident Jos Ramos-Horta zwar. "Wir haben eine gemeinsame Sprache (Tetum), einen gemeinsamen Glauben (Katholizismus), und unsere Geschichte zusammen durchlebt", sagt er. Doch nach den Jahren des Kampfes gegen fremde Besatzer ein positives Wir-Gefühl und Nationalstolz zu entwickeln, braucht Arbeit, sagt Hofmann. "Ohne Geschichte gibt es keine Identität", sagt er.
Fernsehen bestes Mittel
Weil viele Menschen gar nicht lesen können, sah Hofmann das Fernsehen als bestes Mittel. Er heuerte 28 junge Leute an, die unermüdlich neue Zeichnungen für die Trickfilme fertigen. Das Material geht Pater Hofmann nicht aus. "Ich lese viel, und wenn ich in Europa bin, besuche ich in Portugal Historiker, die sich mit der Geschichte Timors befasst haben." Und schon zieht er ein altes Buch aus dem vollgestopften Regal, erzählt so begeistert über seinen Fund in einem obskuren alten Archiv, als wolle er diesen Schatz am liebsten sofort nach neuen trickfilmreifen Szenen durchkämmen.
Natürlich spricht der Pater Portugiesisch, und Tetum, die osttimoresische Umgangssprache, dazu Indonesisch, weil er seit 1964 im Nachbarland lebte, und Javanisch, für sein Studium auf der indonesischen Insel Java. Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch gehören zu seinem Grundrepertoire.
Von Christiane Oelrich, dpa
Quelle: ntv.de