Panorama

Jakarta muss umziehenIndonesiens neue Hauptstadt Nusantara mutiert zur Geisterstadt

14.12.2025, 18:20 Uhr c-ammeVon Caroline Amme
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Nusantara ist noch eine gigantische Baustelle - der Präsidentenpalast ist weithin zu sehen. (Foto: REUTERS)

Indonesiens Hauptstadt Jakarta versinkt langsam im Meer. Deshalb baut die Regierung eine neue Hauptstadt - mitten in den Regenwald. Das Milliardenprojekt Nusantara droht aber zur Geisterstadt zu werden.

Indonesiens Hauptstadt Jakarta wächst rasant. Sie ist inzwischen die größte Megacity der Welt und hat damit Tokio überholt. In der Metropolregion Jakarta leben unfassbare 42 Millionen Menschen, haben die Vereinten Nationen Ende November bekannt gegeben. Über die Hälfte der Megastädte liegen in Asien. In 25 Jahren wird die Hauptstadt von Bangladesch bei der Bevölkerungszahl ganz vorn liegen. Dhaka hat heute fast 40 Millionen Einwohner.

Jakarta ist ein chaotisches Durcheinander aus herumliegendem Müll, Smog, offenen Abwasserkanälen, lauten Baustellen, hupenden Autos und Motorrädern. Täglich befahren über 20 Millionen Fahrzeuge die Straßen. Hier leben die reichsten und die ärmsten Menschen des Landes. Eine überbevölkerte Stadt - die dazu noch langsam im Wasser versinkt.

Jedes Jahr sackt sie bis zu 25 Zentimeter ab. Zum Vergleich: Venedig hat mit zwei Millimetern zu kämpfen. Um an Trinkwasser zu kommen, pumpen die Stadtbewohner Grundwasser ab. Nur etwa die Hälfte der Bevölkerung ist an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen. Gerade in den armen Wohngebieten müssen die Menschen selbst Brunnen bohren. Auch Großkonzerne, Luxus-Malls, Hotels, Büro- und Apartment-Türme holen teils illegal Wasser aus der Erde.

"Jakarta hält Druck nicht mehr stand"

Der Grundwasserspiegel der Stadt ist deshalb niedrig. Die Folge: der sandige Boden unter Jakarta sackt immer weiter ab. Inzwischen liegt die Metropole teils unter dem Meeresspiegel. 2050 könnte ein Drittel von Jakarta durch den steigenden Meeresspiegel überflutet sein.

Zudem sind 80 Prozent der Fläche Jakartas zubetoniert. Regenwasser kann nur schwer abfließen. Teile der Stadt sind regelmäßig überschwemmt. Nur eine teils undichte Mauer schützt die Stadtviertel am Meer vor den Wellen. Die Bewohner leiden unter den Überschwemmungen - und haben gleichzeitig nicht genügend Trinkwasser.

"Fast keine Stadt auf der Welt versinkt so schnell wie Jakarta. Unsere Stadt hält diesem ganzen Druck nicht mehr stand", beschreibt Sofian Sibarani die dramatische Lage in einer Arte-Dokumentation. "Es wäre sehr riskant, wenn die Regierung hierbliebe." Der Architekt plant die neue Hauptstadt für Indonesien: Nusantara. Mitten im Regenwald von Borneo.

Nusantara als "Waldstadt"

Seit 2022 wird auf Jakartas Nachbarinsel an einer nachhaltigen, grünen Stadt gebaut - rund 1200 Kilometer entfernt von der jetzigen Hauptstadt. Das Risiko von Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüchen ist hier relativ gering. Die jetzige Hauptstadt soll damit entlastet werden - so hat es sich Ex-Präsident Joko Widodo vorgestellt. Die Stadt im dichten Dschungel ist sein Herzensprojekt. Über allem thront der Präsidentenpalast, seine Form erinnert an Garuda, den mythischen Nationalvogel Indonesiens.

Nusantara sei als eine "Waldstadt" geplant, sagt Ex-Präsident Widodo. Bäume sollen gepflanzt und die Gebäude begrünt werden. Die Häuser würden erhöht gebaut, "damit sich darunter Wind, Wasser und Menschen frei bewegen können. Das sorgt für eine natürliche Belüftung", sagt Stadtplaner Sibarani in der Dokumentation. Die Stadt solle für den Klimawandel gerüstet sein.

Im August 2024 wurde Nusantara offiziell eingeweiht. Auch das Regierungskabinett hat dort schon getagt. In der Realität ist die Stadt aber noch eine riesige Baustelle. Dort häuft sich - genau wie in Jakarta - Müll an, Ratten haben sich auch schon breitgemacht. Es gibt Prostitution, Hahnenkämpfe und Glücksspiel.

Großinvestor abgesprungen - Finanzierung unklar

Der Bau geht nicht voran. Das liegt unter anderem an der unklaren Finanzierung. Der neue Präsident Prabowo Subianto glaubt weniger an das Projekt als sein Vorgänger - und will deshalb weniger Geld ausgeben. Joko Widodo hatte umgerechnet fast vier Milliarden Euro für Nusantara ausgegeben. Die jetzige Regierung hatte ursprünglich umgerechnet rund 2,5 Milliarden Euro im Staatshaushalt eingeplant. In diesem Jahr sollen nur noch knapp 800 Millionen Euro in den Aufbau der Stadt fließen, nächstes Jahr sogar nur rund 340 Millionen Euro, berichtet der Guardian.

Insgesamt soll das Projekt rund 32 Milliarden Euro kosten. Davon übernimmt der Staat bloß rund 20 Prozent. Den Rest sollen Investoren aus dem In- und Ausland sowie staatliche Unternehmen bezahlen. Die privaten Investoren sind aber, wie es aussieht, sehr zurückhaltend - große Geldgeber fehlen. 2022 war einer der Hauptinvestoren - die japanische Softbank - abgesprungen.

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Die Stadtplaner setzen bei Nusantara auf viel Grün und haben sich von der Natur inspirieren lassen. (Foto: REUTERS)

Das Projekt sei zu kostspielig für ein Land wie Indonesien, erzählt der Leiter des Wirtschaftsressorts des unabhängigen indonesischen Nachrichtenmagazins "Tempo" in der Arte-Doku. "Wir befürchten eine horrende Staatsverschuldung durch dieses Projekt." Zudem würden nur gewisse Geschäftsleute profitieren. Das Land um Nusantara gehöre sehr regierungsnahen Kreisen.

Großteil der Stadt noch Baustelle

Nusantara soll 2045 fertig sein, zum 100. Geburtstag der Republik Indonesien. Rund zwei Millionen Menschen sollen hier einmal leben. Das ist nur ein Bruchteil der Millionen-Bevölkerung von Jakarta. Der Umzug wird die jetzige Hauptstadt kaum entlasten, sagen Experten - und auch nicht das Überschwemmungs-Problem lösen.

Die künftige Hauptstadt mutiert zur Geisterstadt: Derzeit leben in Nusantara gerade mal etwa 8000 Bauarbeiter und 2000 Beamte - unter anderem sind schon Mitarbeiter von Polizei, Militär und Nachrichtendienst dorthin umgezogen. Erst ein kleiner Teil der grünen Stadt ist fertig: einige Wohnblöcke, Regierungsgebäude, Krankenhäuser, Straßen, Wasserversorgungssysteme, das Stromnetz, Hotels und ein Flughafen.

Das gigantische Projekt ist eine zusätzliche Gefahr für das Ökosystem. Millionen Hektar der Regenwälder auf Borneo sind schon durch die Palmölproduktion zerstört worden. Für die Häuser und Straßen Nusantaras werden weitere Bäume abgeholzt. Bisher sind über 2000 Hektar Mangrovenwald verschwunden.

"Regierung bringt uns langsam um"

Die Abholzung gefährdet auch die vom Aussterben bedrohten Orang-Utans. Das Gebiet der neuen Stadt ist eine ihrer letzten Rückzugsorte. Rücksicht wird anscheinend auch nicht auf indigene Gemeinschaften genommen. Sie müssen umgesiedelt werden. Für ihr Land bekommen sie keine angemessene Entschädigung. "Das ganze Land wurde für die neue Hauptstadt beschlagnahmt. Es fühlt sich an, als würde uns die Regierung langsam umbringen", berichtet eine verzweifelte Anwohnerin.

Auch wenn Nusantara in der Bevölkerung umstritten ist, wird sie weitergebaut. 2028 soll sie politische Hauptstadt Indonesiens sein. Regierung, Parlament und Gerichte sollen bis dahin umziehen, der indonesische Vizepräsident nächstes Jahr umsiedeln, der Präsident dann 2028.

Das bedeutet, dass Indonesien in den nächsten drei Jahren zwei Hauptstädte haben wird. Jakarta wird den Status erstmal behalten - es wird das wirtschaftliche, geschäftliche und kulturelle Zentrum bleiben. Viele Regierungsbüros werden dann leer stehen. Sie könnten vermietet oder verkauft werden. Das spült dann Geld in die leeren Kassen, für den Bau der "Smart-City" Nusantara.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Quelle: ntv.de

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