Rassismus oder notwendig? Kinderarztpraxis behandelt Patienten nur auf Deutsch
31.07.2024, 07:12 Uhr Artikel anhören
Eine Praxis am Bodensee soll angefragt haben, ob sie das Schild übernehmen darf.
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Kleines Schild, große Wirkung: Eine Kinderarztpraxis behandelt nur Patienten mit Deutschkenntnissen oder Dolmetscher. Viele Menschen wittern Rassismus, die Praxis verteidigt sich mit dem Wohl der Kinder und einem Verweis auf die Realität: "Wir müssen uns rechtlich absichern."
Eine Kinderarztpraxis in Kirchheim unter Teck behandelt nur noch Patienten, die Deutsch sprechen oder mit Dolmetscher kommen. "Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch!" steht auf einem Schild am Empfang der Praxis unweit von Stuttgart. Die Regel sorgt für hitzige Diskussionen im Netz und auch Rassismusvorwürfe.
Diese Vorwürfe weist Kinderarzt Ulrich Kuhn zurück: Notfälle würden auch ohne Dolmetscher behandelt werden, sagt er. "Wir schicken niemanden weg, der nicht Deutsch spricht, darum geht es gar nicht." Allerdings wolle man Patienten gefahrenfrei, sicher und vernünftig behandeln, sagt der 60-Jährige. "Das war die Motivation, dieses Schild aufzustellen." Es seien immer mehr Eltern mit Kindern gekommen, die kein oder so gut wie kein Wort verstanden hätten. So sei weder eine Behandlung noch eine Diagnose möglich gewesen, sagt Kuhn. "Wir konnten den Patienten und ihren Eltern einfach nicht vermitteln, was zu tun ist."

"Eltern mit migrantischem Hintergrund haben nicht negativ reagiert", sagt Kinderarzt Ulrich Kuhn.
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"Jedes Mal eine kleine Körperverletzung"
Seit etwa zwei Monaten steht das Hinweisschild am Empfang der großen Kirchheimer Kinderarztpraxis. Darauf heißt es auch: "Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung - außer in Notfällen - zukünftig ablehnen."
Warum, erläutert Kuhn an einem Beispiel. Man habe keine Fragen stellen können, etwa nach Allergien oder der medizinischen Vorgeschichte, die natürlich das therapeutische Vorgehen beeinflusse, sagt der Kinderarzt. "Beim Thema Impfung begehen wir jedes Mal eine kleine Körperverletzung, im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches und auch im Sinne des Strafgesetzbuches. Wir müssen uns rechtlich absichern."
Durchwachsene Reaktionen
Rund 3500 Kinder und Jugendliche werden laut Kuhn pro Quartal in der Praxis behandelt. Seit rund 23 Jahren praktiziere er mit seinem Kollegen vor Ort. Inzwischen habe etwa jeder zweite Patient einen Migrationshintergrund.
Anders als unbeteiligte Personen im Netz empfinden diese das Schild dem Arzt zufolge nicht als Rassismus - im Gegenteil, sagt Kuhn. Die Praxis sei in ihrem Vorgehen sogar bestärkt worden. "Eltern mit migrantischem Hintergrund haben nicht negativ reagiert, sondern die haben einfach umgesetzt, was wir wollten. Sie bringen jetzt Dolmetscher mit." Eine Praxis am Bodensee habe angefragt, ob sie das Schild übernehmen dürfe, berichtet der Mediziner weiter.
Schild soll trotz Kritik bleiben
Außerhalb der Praxisräume fielen die Reaktionen durchwachsener aus. Neben Verständnis gab es auch deutliche Kritik an dem Vorgehen. "Ich bin absolut entsetzt", kommentiert eine Nutzerin im Netz. Eine andere beschreibt das Schild als "bodenlos, respektlos und rassistisch."
Die Mediziner kennen die Rassismusvorwürfe, das Schild soll trotzdem bleiben. "Wir wissen, dass das nicht unsere Motivation ist", sagt Kuhn. "Meinungen von Menschen, die mit unserer Praxis nichts zu tun haben, interessieren mich nicht extrem."
Übersetzungsapps "suboptimal"
Laut der Landesärztekammer Baden-Württemberg können Ärzte die Behandlung von Patienten tatsächlich abbrechen, wenn es grundlegende Verständigungsprobleme gibt. Berufsrechtlich werde der Ärztin oder dem Arzt ein erheblicher Ermessensspielraum zugestanden.
Die Kassenärztliche Vereinigung in Stuttgart teilt mit, dass eine Situation mit mangelnden Sprachkenntnissen für Ärzte kaum lösbar sei. "Auf der einen Seite möchten sie Patienten behandeln, auf der anderen Seite müssen sie Patienten aufklären", erklärt der Verband. Dafür sei ein Mindestmaß an Kommunikation erforderlich. Anwendungen wie Google Translate seien da nur suboptimal und würden viel Zeit kosten, die dann nicht für andere Patienten zur Verfügung stünde.
Rechtlicher Graubereich
Dass eine rechtskonforme Aufklärung über Impfungen bei Sprachbarrieren nahezu unmöglich ist, sieht auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Berlin so. "Hier den geeigneten Mittelweg zu finden, ist tägliches Brot einer Kinder- und Jugendpraxis."
Für die Praxis in Kirchheim unter Teck steht unterdessen fest: "Dieses Schild hat keine diskriminierende Aussage", sagt Kinderarzt Kuhn. Es habe nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit der Realität. "Wenn kein Dolmetscher da ist und die Patienten uns nicht verstehen, dürfen wir sie eigentlich nicht behandeln. Wenn wir das trotzdem tun, bewegen wir uns ständig in einem rechtlichen Graubereich."
Quelle: ntv.de, chr/dpa