Panorama

Offenbar mehrere Ursachen Was wir über das Fischsterben in der Oder wissen

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Teilweise sind an der deutsch-polnischen Grenze Bagger im Einsatz, um die Fisch-Kadaver aus der Oder zu holen. Labore auf beiden Seiten des Flusses versuchen herauszufinden, warum es zu der Umweltkatastrophe kam. Womöglich aber gibt es den einen entscheidenden Auslöser gar nicht.

Tonnenweise werden die toten Fische derzeit aus der Oder gezogen. Das Massensterben in dem Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen setzte bereits vor Wochen ein, deutsche Behörden wurden aber erst viel später informiert. Was die Umweltkatastrophe ausgelöst hat, ist weiter unklar.

Wann gab es erste Hinweise?

Bereits Ende Juni hatten polnische Behörden nach Regierungsangaben Hinweise, dass in der Oder massenweise verendete Fische treiben. Ende Juli sollen erstmals Wasserproben entnommen worden sein. Regierung und Behörden stehen in der Kritik, Informationen nicht rechtzeitig weitergegeben zu haben. Am Freitagabend entließ Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki deshalb die Leiter der Wasserbehörde und der Umweltbehörde. Er selbst habe erst am Mittwoch von dem massiven Fischsterben erfahren, so Morawiecki. Deutsche Behörden hatten am vergangenen Dienstag erste Hinweise auf ein ungewöhnliches Fischsterben erhalten. Nach Aussage des Brandenburger Umweltministers Axel Vogel hätte das bereits am 28. Juli passiert sein müssen.

Welche Ursache wurde zuerst vermutet?

Die polnische Regierung hatte gemutmaßt, große Mengen chemischer Abfälle seien in die Oder gelangt. Eine mögliche Verunreinigung des Flusses mit Quecksilber passte zu dieser Annahme und war als Ursache für das Fischsterben immer wieder geäußert worden.

Lässt sich etwas ausschließen?

Erste toxikologische Untersuchungen ergaben nach polnischen Angaben, dass das Quecksilber als Ursache für das Massensterben ausgeschlossen sei. Das sieht auch die deutsche Seite so: Bei einer einzigen Messung wurde ein Quecksilbergehalt außerhalb der Skala festgestellt, bei vielen anderen aber habe sich der Wert im Toleranzbereich bewegt, so Umweltminister Vogel am Mittag bei einer Pressekonferenz in Lebus. Es gebe teils erhöhte Werte, als Todesursache komme das Quecksilber aber nicht infrage, weil es so langsam wirke.

Neben dem Quecksilber scheint sich ein weiterer Verdacht nicht zu erhärten: Hinweise aus Polen, dass der hochgiftige Stoff Mesitylen in die Oder gelangt sei, hätten sich für Brandenburg nicht bestätigt, sagte Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel am Morgen im RBB-Inforadio. Der Stoff wird in der Industrie unter anderem als Lösungsmittel verwendet. Der Grünen-Politiker weiter: "Von polnischer Seite wird signalisiert, dass sie keine Schwermetalle in den Fischen gefunden haben." Auch die deutschen Untersuchungen hätten noch keine Rückstände in den toten Fischen ausmachen können.

Was könnte sonst der Grund für das Massensterben sein?

Vogel hält eine Kombination mehrerer Faktoren wie Hitze, geringe Wasserführung und Giftstoffe möglicherweise für den Auslöser der Katastrophe: "Es kann durchaus sein, dass es sich hierbei um Stoffe handelt, die lange schon in die Oder eingebracht wurden, aber normalerweise bei Mittelwasser überhaupt kein Problem darstellen".

Der Brandenburger wies an anderer Stelle auch auf einen erhöhten Salzgehalt des Flusses hin. Polnische Analysen hätten das bestätigt, sagte Umweltministerin Anna Moskwa der Nachrichtenagentur PAP: "Der hohe Salzgehalt der Oder hat möglicherweise andere giftige Stoffe im Wasser oder im Bodensediment aktiviert."

Unerklärlich seien die erhöhten Sauerstoffwerte, sagte Vogel. Bei den derzeitigen Temperaturen komme es normalerweise zu Problemen durch zu wenig Sauerstoff in Gewässern. "Deshalb gehen wir davon aus, dass es einen Stoff geben muss, der das verursacht hat", so der Brandenburger Umweltminister.

Wie wird ermittelt?

Auf polnischer Seite untersucht das staatliche Veterinärinstitut in Polawy verendete Fische - laut Vogel auf rund 300 Stoffe. Auch Insektizide oder Pestizide im Wasser und in den Fischen stünden auf der Fahndungsliste. Auf deutscher Seite ist das Landeslabor Berlin-Brandenburg zuständig. Am Dienstag treffen sich Experten beider Länder um Untersuchungsergebnisse zusammenzutragen.

Die Landrätin des Kreises Uckermark, Karina Dörk, sagte am Freitag, das Gebiet entlang der Oder werde zusätzlich mit Drohnen überflogen, um zu sehen, wie sich das Fischsterben weiter entwickle.

Wie groß ist der Schaden?

Die Bürgermeisterin von Schwedt an der Oder, Annekathrin Hoppe, bezeichnete das Fischsterben als Umweltkatastrophe nie dagewesenen Ausmaßes. Vertreter des Nationalparks Unteres Odertal befürchten, dass sich die Auswirkungen noch Jahre hinziehen könnten. Der polnische Regierungschef sieht das ähnlich: Das Ausmaß der Verschmutzung sei "sehr groß. Groß genug, um sagen zu können, dass die Oder Jahre brauchen wird, um zu ihrem Naturzustand zurückzufinden", sagte Morawiecki. Der BUND-Gewässerexperte Sascha Maier schätzt die Menge der in den vergangenen Tagen verendeten Fische in der Oder auf bis zu 100 Tonnen.

Im Nationalpark an der Oder zwischen Polen und Deutschland sind normalerweise Paddler, Angler und auch Vogelkundler unterwegs. Doch jetzt dürfte der Naturtourismus stark leiden, so die Befürchtungen. Vor jeglichem Kontakt mit dem Flusswasser wird gewarnt. Die Umweltministerinnen Deutschlands und Polens betonten in Stettin aber, dass in beiden Ländern weder die Qualität des Grundwassers noch des Trinkwassers beeinträchtigt sei.

Laut dem RBB sieht Brandenburgs Umweltminister Hinweise darauf, dass die Giftwelle inzwischen vorübergezogen ist: Salzgehalt und pH-Wert seien zwar weiter außergewöhnlich hoch, aber bereits im Fallen begriffen. Zudem wies Vogel auf kleinere Fische hin, die aus anderen Flüssen schon wieder in die Oder schwimmen würden, um sich dort über die Fischkadaver herzumachen.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 15. August 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de, lwe/dpa

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