"Nine": Musical ohne Herz und Wärme Nummernrevue mit Staraufgebot
24.02.2010, 08:52 Uhr
Vor der Pressemeute: Guido Continis (Daniel Day-Lewis) neuer Film wird mit Spannung erwartet.
(Foto: Photo Credit: David James)
Für den Nachfolger des Musical-Hits „Chicago“ versammeln sich sechs Oscar-Preisträger vor der Kamera. Sie zeigen viel Haut. Ein guter Film ist trotzdem nicht herausgekommen.
Guido Contini ist verzweifelt! Es will nicht so recht klappen mit dem Drehbuch für seinen neuen Film. Genauer gesagt: Der italienische Erfolgsregisseur hat keins. Dafür gibt es bereits Kulissen und Kostüme, den Filmtitel und die Hauptdarstellerin. Die Presse fordert Details, der Produzent wird nervös. Was tun? Contini macht, was alle Männer in der Midlife-Crisis tun würden: Er ergreift die Flucht durch den Hinterausgang, braust mit seinem Sportwagen davon, versteckt sich in einem Kurhotel und denkt über sein bisheriges Leben nach.
Doch sein Leben, seine Vergangenheit lassen ihn auch hier nicht los: Seine Geliebte reist ihm nach, er telefoniert mit der Ehefrau - sie soll besser nicht nachkommen -, mit dem Geist seiner verstorbenen Mamma führt er Gespräche, eine aufreizende Reporterin will ihn verführen. Er hat Visionen von seiner Kindheit und von seinen Erlebnissen mit Frauen. Schließlich steht der Produzent vor der Tür, mit ihm der gesamte Stab. Doch Contini ist leer, er hat keine Ideen und keine Inspiration mehr, er ist am Ende.
Stars stehen Schlange

Lilli (Judi Dench) ist Guidos langjährige Vertraute und Kostümdesignerin.
(Foto: Photo Credit: David James)
Was wie ein psychologisch ausgefeiltes Drama klingt, ist tatsächlich das neue Musical von Rob Marshall, der mit dem von Kritik und Publikum gefeierten "Chicago" sechs Oscars einheimste, darunter für den besten Film. Für sein neues Werk "Nine" bekam Marshall nun freie Hand, was auch dazu führte, dass die Stars bei ihm Schlange standen. Die Besetzung des mit massenhaft Vorschusslorbeeren versehenen Films ist entsprechend exquisit, sechs Oscar-Preisträger sind darunter: Daniel Day-Lewis, Sophia Loren, Marion Cotillard, Penélope Cruz, Nicole Kidman und Judi Dench. Hinzu kommen Kate Hudson und Stacy Ann Ferguson, vielen besser bekannt als Fergie, die Sängerin der "Black Eyed Peas".
Marshall selbst hatte wohl auch keine Idee für ein Drehbuch. Stattdessen entschied er sich für die filmische Umsetzung eines erfolgreichen Musicals, das auf dem oscarprämierten Film "8 ½" von Frederico Fellini basiert. Auch dieser handelt von einem Regisseur in der Schaffenskrise und trägt autobiographische Züge. Fellini hatte zur Zeit der Dreharbeiten keine Idee für eine Handlung - und machte eben dies zur Grundlage des viel gelobten Streifens.
Ohne roten Faden

Guidos Ehefrau Luisa (Marion Cotillard) muss sich ihren Mann mit vielen Frauen teilen.
(Foto: Photo Credit: David James)
Doch was bei Fellini radikale Selbstanalyse in Form von Tagträumereien ist, trotz grotesker Züge mit Leichtigkeit erzählt, verkommt bei Marshall zur langweiligen Nummernrevue, zur lustlosen Aneinanderreihung von Liedern. Jeder der Hauptdarsteller darf sein Lied singen, einen roten Faden vermisst man dabei jedoch weitestgehend. Die Darbietungen ergeben sich meist nicht aus der Handlung, es sind viel eher Musikvideos, die den Filmfluss unterbrechen. Einige der Stücke können durchaus überzeugen, durch eine gute Choreographie, durch Rhythmus oder Ausstattung, vor allem aber durch Erotik. Doch der Funke springt nicht über, eine Melodie bleibt nicht in Erinnerung.
Day-Lewis, der zu den fähigsten Schauspielern seiner Generation gehört, wirkt eigenartig deplatziert, italienisch an ihm ist vor allem die Sonnenbrille. Vielleicht wäre Javier Bardem, der wegen Erschöpfung absagte, doch die bessere Besetzung gewesen. Die tiefe Lebenskrise, in die seine Figur Guido Contini rutscht, mag man Day-Lewis nicht abnehmen. Dass er auf Knien rutschend den Geist seiner Mutter um Hilfe anfleht, wirkt kitschig und lächerlich.
Strapse und Seile
Day-Lewis steht ein namhaftes Divenensemble gegenüber, das jedoch nur in zwei Fällen überzeugen kann: Marion Cotillard, die für ihre Darstellung Edith Piafs in "La vie en Rose" einen Oscar erhielt, spielt Continis betrogene und vernachlässigte Ehefrau Luisa. Es ist die einzige Figur, die an charakterlicher Tiefe gewinnt und dies in ihren Liedern, vor allem im voller Wut vorgetragenen zweiten Song, auch ausdrückt. Auf der anderen Seite steht Penélope Cruz als Continis etwas naive Geliebte Carla. Cruz macht ihren Song zu einem erotischen Tanz, indem sie sich in Strapsen auf dem Boden räkelt, an Seilen hangelt und "Guido" ins Telefon haucht. Hier brennt tatsächlich die Luft, Cruz ist die einzige Darstellerin des Ensembles, die für einen Oscar nominiert ist.
Sophia Loren als italienische Mamma bleibt blass, Judi Dench, die eine Kostümbildnerin spielt, überzeugt schauspielerisch, ihre musikalische Darbietung zeigt dagegen keinen Zusammenhang zur Handlung. Nicole Kidman hat einen Auftritt als langjährige Hauptdarstellerin und Muse Continis, doch beider Beziehung kratzt nur an der Oberfläche. Wo die Stars nicht glänzen, überzeugen immerhin Ausstattung und Kostüme, letztere sind zu Recht für den Oscar nominiert.

Claudia Jenssen (Nicole Kidman) soll die Hauptrolle in Guidos neuem Film spielen.
(Foto: Photo Credit: David James)
Auf der diesjährigen 60. Berlinale wurde der Film im Rahmen eines "Birthday Special" gezeigt. Doch die Party fiel ins Wasser, Regisseur und Hauptdarsteller sagten ihren Auftritt kurzfristig ab. Vielleicht wussten sie, dass der mit Spannung erwartete Film nicht an die Qualität von "Chicago" anknüpfen kann. Es bleibt ein buntes, gut ausgestattetes Starvehikel, dem es jedoch an Wärme, an Spannung und mitreißenden Songs mangelt.
"Nine" läuft ab dem 25. Februar 2010 in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de