Schweres Erdbeben in Ostanatolien Opferzahl in der Türkei steigt
24.10.2011, 15:23 Uhr
Fieberhaft suchen die Helfer nach Überlebenden.
(Foto: dpa)
Nach dem verheerenden Erdbeben im Osten der Türkei steigt die Zahl der Toten auf mehr als 270. Die Behörden befürchten insgesamt bis zu 1000 Todesopfer. Mehr als 1300 Menschen werden verletzt. Die Rettungskräfte suchen fieberhaft nach Überlebenden. Experten kritisieren mangelhaftes Material und schlechte Bauweise vieler Häuser.
Einen Tag nach dem schweren Erdbeben im Osten der Türkei haben die Rettungskräfte verzweifelt nach Überlebenden gesucht. Durch den Erdstoß der Stärke 7,2 in der Provinz Van an der Grenze zum Iran wurden mindestens 272 Menschen getötet und mehr als 1300 Menschen verletzt, zitierten türkische Fernsehsender Innenminister Idris Naim Sahin vor Ort. Sahin sagte aber, die am Vortag von der Istanbuler Erdbebenwarte Kandilli befürchtete Zahl von 1000 Toten werde nicht erreicht.
Am stärksten betroffen war der Distrikt Ercis. Dort und in Van stürzten dutzende Hochhäuser ein. Die Stromversorgung brach zusammen. Aus Angst vor Nachbeben verbrachten viele Bewohner die Nacht bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt im Freien. Aus der gesamten Türkei wurden hunderte Such- und Rettungstrupps in die Katastrophenregion entsandt. Sie setzten auch schweres Räumgerät ein, um Verschüttete aus Trümmern zu bergen.
Das Deutsche Rote Kreuz rief zu Spenden für die Opfer auf. Seit den Erdstößen habe die Schwesterorganisation Türkischer Roter Halbmond mehr als 6000 Zelte, 16.000 Decken, Brot, Wasser und andere Lebensmittel auf den Weg ins Katastrophengebiet gebracht, berichtete das DRK. Für Betroffene, die in den kalten Nächten im Freien ausharrten, seien Suppenküchen eingerichtet worden. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland rief zu Spenden auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach der türkischen Regierung ihre Anteilnahme aus.
2400 Retter im Einsatz
Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatte in der Nacht gemeinsam mit sechs Kabinettsmitgliedern die Katastrophenregion besucht. Er versprach, die Rettungs- und Sucharbeiten würden ununterbrochen fortgesetzt. Er versprach auch einen verstärkten Hilfseinsatz der Armee. Retter waren mit von Generatoren angetriebenen Scheinwerfern im Einsatz, um in den Trümmern nach Überlebenden zu suchen. Hubschrauber und Flugzeuge brachten Zelte, Lebensmittel und Medikamente in die Unglücksregion. Insgesamt mobilisierte die Türkei 2400 Retter aus 45 Städten.
Auch der Iran entsandte einen ersten Rettungstrupp von 20 Mann in die Region Van. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Irna unter Berufung auf den iranischen Roten Halbmond meldete, wurden auch Krankenwagen, ein Feldlazarett, 50 Zelte und Lebensmittel geschickt. Auch aus Aserbaidschan und Bulgarien waren Helfer vor Ort. Die Regierung in Athen bot der Türkei ebenfalls ihre Hilfe an. Allerdings wurden die Rettungsarbeiten durch das Fehlen von Strom und Wasser behindert.
In der Nacht hatten Helfer berichtet, aus mehreren Gebäuden seien Hilferufe Verschütteter zu hören gewesen. Viele Opfer versuchten, die Helfer mittels des Internetdienstes Twitter zu rufen. Eine der Botschaften lautete: "Alkanat-Straße, Wohnung Vural, Ercis: Zwei Lehrerinnen sind verschüttet." Ein 19-Jähriger rief mit seinem Mobiltelefon um Hilfe.
Fast 1000 Gebäude eingestürzt
Bis in den Morgen gab es mehr als 20 stärkere Nachbeben in der Region, wie das Deutsche Geoforschungszentrum Potsdam berichtete. Die Provinz Van wird mehrheitlich von Kurden bewohnt. Sie liegt im Südosten des Landes und grenzt an den Iran. In Ercis leben fast 74.000 Menschen. Dort wurden zahlreiche Studenten vermisst, weil mehrere Studentenwohnheime einstürzten. Auch in Van, wo 380.000 Menschen leben, wurden zahlreiche Studenten vermisst.
Nach Angaben der türkischen Regierung stürzten 970 Gebäude ein. Die meisten der betroffenen Häuser waren mehrstöckig. Ein Experte machte dafür im Fernsehsender NTV mangelhaftes Material und eine schlechte Bauweise verantwortlich. Einstöckige Gebäude hielten dem Erdbeben zumeist stand.
Nach Einschätzung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sind viele Häuser in der Türkei schweren Erdbeben nicht gewachsen. Die Quote der erdbebensicheren Häuser sei zumindest im Osten des Landes "auf sehr niedrigem Niveau", sagte Professor Friedemann Wenzel. Als Beleg nannte er Berichte vom Zusammenbruch siebenstöckiger Bürohäuser. Wenzel ist Sprecher des Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) am KIT. Wenzel rechnete aber damit, dass die Zahl der Todesopfer niedriger liegt als ursprünglich vermutet.
Aus einem Gefängnis in der Provinz Van flüchteten laut Medienberichten 200 Häftlinge, als eine Mauer bei dem Beben einstürzte. 50 von ihnen seien später freiwillig zurückgekehrt, nachdem sie sich vergewissert hätten, dass ihre Familien wohlauf seien.
In der Türkei sind Erdbeben keine Seltenheit, da das Land auf mehreren Verwerfungslinien liegt. 1999 kamen bei zwei starken Beben im dicht besiedelten Nordwesten des Landes rund 20.000 Menschen ums Leben. In Van starben 1976 bei einem Beben 3840 Menschen.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts