Panorama

Eine für alle Merkel, Männer, Moneten und die Massen

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Dreht momentan nochmal am Rad (aber nicht dem der Geschichte): Angela Merkel.

Dreht momentan nochmal am Rad (aber nicht dem der Geschichte): Angela Merkel.

(Foto: picture alliance/dpa/Deutsche Presse-Agentur GmbH)

Angela Merkel war, ist und bleibt ein Phänomen. Und ob sie nun was Neues erzählt in ihren Memoiren - die erstaunlicherweise nicht "Es war nicht alles schlecht" heißen, sondern "Freiheit", sei dahingestellt. Unbestritten ist, dass sie uns nachhaltig fasziniert. Die Kolumnistin versucht, der Merkel-Mania auf die Spur zu kommen.

Endlich die Kanzlerin kennenlernen, dachten sich die Menschen, als sie am Mittwoch vor dem Kulturkaufhaus Dussmann Schlange standen. Denn Ihre Majestät höchstpersönlich saß da drinnen und unterschrieb ihr Werk, fast wie eine ganz gewöhnliche Autorin, die eine Buchlesung abhält. Ganz kurzer Exkurs zum Wort Kulturkaufhaus, das recht gut zusammenfasst, wo in Berlin demnächst der Engpass entstehen wird, bei der Kultur nämlich: Denn natürlich kann man Kultur kaufen, im Sinne von Eintritt zahlen, Produkt (CD, Buch, Bild) kaufen und Tschüss, schon hat man Kultur, aber das ist zu kurz gedacht. Die Kultur muss entstehen, und das hat in der Regel nicht im engsten Sinne mit Geld zu tun, aber mit Freiheit.

Und damit ist der Exkurs schon wieder beendet, denn die kulturelle Freiheit ist in Berlin ob der krassen Sparmaßnahmen* des Senats extrem bedroht, man verlässt sich wahrscheinlich auf den ach so typischen "Underground" ("Dit is' Berlin") der dann wieder erblühen soll, und mit "Freiheit" kommen wir auch zurück zu Angela Merkel, denn so heißt ihr neues Buch. Mit dem sie Millionen verdienen dürfte. Am ersten Tag waren es, um genau zu sein, 35.000 Bücher à 42 Euro, die der Verlag verkauft hat, das macht nach Adam Riese 1,47 Millionen. Chapeau!

Ich will Ihnen nun gar nicht erklären, ob Sie das lesen sollten oder nicht, ein Schmöker für's Bett ist das Werk eh nicht, über 700 Seiten, da haben Sie ja blaue Flecken, wenn so ein Klopper Ihnen beim Einschlafen auf die Nase fällt, und ob sich das lohnt, haben schon andere Kollegen herausgefunden und feinsäuberlich aufbereitet.

Those were the days, my friends ... we thought they'd never end. Oder?

Those were the days, my friends ... we thought they'd never end. Oder?

(Foto: REUTERS)

Ich mache mir eher Gedanken darum, warum die "Muddie" immer noch eine solche Beliebtheit erfährt, dass die Menschen sich auf der Friedrichstraße vor dem eingangs erwähnten Kulturkaufhaus Dussmann stapeln, um sie einmal zu sehen. Die Kanzlerin "in echt". Die Ex-Kanzlerin. Immerhin eine der wenigen Frauen, und dann auch noch "aus dem Osten", die das geschafft hat, was Frauen wie Kamala Harris oder Hillary Clinton bisher verwehrt blieb. Die Frau, die inzwischen für ihren Mann kocht (dafür macht er die Wäsche) und gern Arztserien zur Entspannung sieht, ist weiterhin ein Faszinosum.

Schaffen wir das?

Ich erinnere mich so lebendig an 2015 und ihr "Wir schaffen das", und ich gestehe: Ich fand es gut. Ich fand es richtig. Ich schaffe einfach auch gerne was. Selbst in der Geflüchtetenhilfe aktiv mit dem Versuch, den Angekommenen, die zu Tausenden in Deutschland eintrudelten, ein bisschen Deutsch beizubringen (und dazu gehört nicht nur die Sprache, sondern auch das, was uns Deutsche so ausmacht, mag es nun gut sein oder nicht), musste ich schnell feststellen: "So einfach schaffen wir das vielleicht doch nicht."

So darf man sich das vielleicht vorstellen, wie im Film: Miss Merkels Ehemann Joachim Sauer (Thorsten Merten) sitzt nachdenklich auf dem Sofa und wird von seiner Ehefrau (Katharina Thalbach) beruhigt, da er befürchtet, dass seine Ehefrau während des Ruhestandes nicht zur Ruhe kommen wird.

So darf man sich das vielleicht vorstellen, wie im Film: Miss Merkels Ehemann Joachim Sauer (Thorsten Merten) sitzt nachdenklich auf dem Sofa und wird von seiner Ehefrau (Katharina Thalbach) beruhigt, da er befürchtet, dass seine Ehefrau während des Ruhestandes nicht zur Ruhe kommen wird.

(Foto: RTL+)

Es fing damit an, dass man den kleinen Jungs erklären musste, dass sie ihren Müll vom Fußboden allein aufheben müssen, dass wir Frauen, die in dem entsprechenden Geflüchtetenheim für Essen, Sprache, Spielzeug, Zeitvertreib, Klamotten und zu findende Wohnungen anrückten, das auf keinen Fall erledigen würden. Wir sagten den Jungs also, dass wir ja wieder nach Hause gehen nach ein paar Stunden, sie hingegen dortblieben und es immer mehr Dreck werden würde. Ihre Mütter würden das aufräumen, sagten die kleinen Jungs, und so brachten wir den Müttern bei, ihren kleinen Söhnen beizubringen, ihren Müll selbst aufzuheben. Dachten wir.

Ich glaube, es hat nicht bei allen funktioniert, aber bei vielen. Im übertragenen Sinn, Sie verstehen schon - die Integration ist leider überwiegend gescheitert. Außerdem jagt eine Krise die nächste, die Helfenden sind müde. Und die, die damals gleich gesagt haben: "Wir schaffen das übrigens nicht", weil sie vielleicht überfordert waren, die sagen heute: "Siehste!", und: "Kein Wunder, dass Pegida und AfD entstanden sind, zu viel Mitte-Merkel, zu viel rechter Rand, der eingenommen werden konnte."

Merkel und ihre Männer: "Angelas-Night-Sessions" waren berühmt-berüchtigt.

Merkel und ihre Männer: "Angelas-Night-Sessions" waren berühmt-berüchtigt.

(Foto: REUTERS)

Spannend, aber not in a good way

Doch zurück zu "Mutti": Warum interessiert es uns noch immer so sehr, was sie zu allem Möglichen denkt und meint? Es ist zum einen die Erinnerung an eine bessere, einfachere Zeit (hätten wir das damals doch bloß auch so gesehen), denn es ist, wie ein altes Foto von vor zehn Jahren zu betrachten. Man denkt sich: "Hey, da seh' ich ja super drauf aus", weiß aber, dass man damals schon dachte: "Naja." So, wie man es mit aktuellen Fotos handhabt: Man findet sich höchstens "geht so". In zehn Jahren werden Sie sagen: "Mensch, da sah ich doch noch top drauf aus!" Ob dieses Prinzip in Zukunft nun für die allgemeine Lage der Welt anzuwenden sein wird, wage ich zu bezweifeln. Meine beschissenste Überschrift diese Woche (am 28.11.2024) lautet übrigens: "BND: Russland bereitet sich auf Krieg mit Westen vor." Ich bin sehr gespannt, not in a good way, was am 28.11.2034 los ist, wenn ich dann zehn Jahre zurückblicke!

Ich schweife ab, Verzeihung, und damit wieder zurück zu Angela Merkel, die ja etwas dinosaurierhaftes an sich hat (lieb gemeint). Also, meine Damen und Herren, warum interessiert uns, was sie sagt? Weil wir ihr - mehrheitlich - innerlich immer noch zustimmen. Ein Beispiel: Ihr spontaner Gedanke beim Anblick der Auseinandersetzungen zwischen Scholz und Lindner im Zuge des Ampel-Endes entlockte ihr, laut eigener Aussage, nur ein trockenes: "Männer!" Auf die Frage, was ihr denn so typisch männlich vorgekommen sei an dem Ampel-Ende-Brimborium, sagte Merkel dem "Spiegel": "Zum Beispiel, Dinge persönlich zu nehmen. Das sollte man in der Politik tunlichst vermeiden."

Emotionen bitte dahin, wo sie hingehören.

Emotionen bitte dahin, wo sie hingehören.

(Foto: imago images/Emmanuele Contini)

Die Krisen-Kanzlerin

Es ist dieses Coole mit dem gewissen Mutter-Witz, den sie hat, denn sind sonst nicht Frauen immer die Emo-Tierchen? Merkel hat vieles falsch gemacht, gewiss, und sie hätte noch mehr falsch machen können. Ihr wurde vieles schräg ausgelegt, was Männern traditionell verziehen wird - oder glauben Sie, dass ein Olaf Scholz jetzt wie ein Ausbund an Empathie, sagen wir mal, auf ein kleines Flüchtlingsmädchen zugehen würde? Merkel hätte damals aber auch machen können, was sie will: Das Mädchen nicht beachten - Häme. Und: "Kein Wunder, die hat ja keine eigenen Kinder." Zu sehr beachten: "Wie distanzlos von ihr!" Sie so mittel beachten: Naja, können wir gerade noch gelten lassen.

Angela Merkel führte unser Land übrigens durch viele Krisen, wir haben sie aktuell nur ein bisschen vergessen: Finanz-, Wirtschafts-, Migrations- und Corona-Krise. Wie hat sie das geschafft? Unter anderem sicher dadurch, weil sie immer unterschätzt wurde. Dabei ist sie nur ein recht klarer Charakter: Erst nachdenken, dann handeln. Erst beraten, dann entscheiden. Emotionen? Eher wenig, jedenfalls nicht nach außen.

"Moderat" ist das Adjektiv, das Sie suchen, stimmt's? Ja, moderat war sie, und pragmatisch. Eigenschaften, die in Krisen auf jeden Fall besser wirken, als mit dem Finger auf andere zu zeigen und nachzutreten. Dabei streng, aber an den richtigen Stellen locker. Das Moderierende, Pragmatische ermöglichte es ihr, Deutschland durch zahlreiche Krisen zu lenken. Hat sie alle Krisen gelöst? Sicher nicht. Aber haben wir uns besser gefühlt? Sicher ja, denn zu ihren Regierungszeiten schien es, als würde unser Land alles schaffen können.

Was wäre gewesen, wenn ...?

Während ich diesen Text schreibe, kommt folgende Nachricht im Ticker rein: "Putin droht mit Angriff mit neuer Oreschnik-Rakete auf Kiew." Mal abgesehen von der "mit ... mit"-Formulierung, die mir aufstößt, frage ich mich zum wiederholten Male: Wäre das alles so gekommen, wenn Merkel noch Kanzlerin gewesen wäre vor rund drei Jahren?

Eine Frage, die sicher nicht nur mich beschäftigt. Anfangs gab es ja dieses gewisse Bemühen zwischen Merkel und Putin, sie verhandelte hier, taktierte da, aber es war klar, dass das russischsprechende Mädchen (Kohls Mädchen) von einst inzwischen eine Politikerin war, die selbst als mächtige Kanzlerin nicht in der Lage gewesen wäre, jemanden wie Putin zu stoppen. (Das ist übrigens auch schon alles, was sie mit ihrem Vorgänger Gerhard Schröder gemein hat, der seinen Gas-Buddy auch von nichts abhalten konnte und kann.)

Vorgeworfen werden ihr seit einiger Zeit also hauptsächlich die Entscheidungen, die sie in ihrer Amtszeit spontan gefällt hat. War es gut, den Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe in Japan 2011 zu forcieren? 2015 die Grenzen für Geflüchtete, die aus Ungarn nach Deutschland kamen, geöffnet zu lassen? Im Nachhinein: schwierig. Damals: nachvollziehbar. Die Frau von der CDU steht heute noch zum Atomausstieg. Dass sie keine Visionärin war, passte den meisten aber, wenn wir mal ehrlich sind, doch ganz gut in den Kram, denn uns ging's ja Gold. Never change a Winning Team.

Sie haben Durchhaltevermögen!

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Apropos, Winning Team, Sie und ich, wir sind auf jeden Fall ein Match, denn wenn Sie es bis hierhin durchgehalten haben, dann empfehle ich Ihnen die Lektüre von "Freiheit", denn Sie haben auf jeden Fall Marathon-Qualitäten! Und damit ein schönes Wochenende unter der Leselampe!

*Am 1. Dezember findet der eintrittsfreie Museumssonntag in Berlin zum letzten Mal statt, abgeschafft, nicht mehr drin; und tschüss, kulturelle Teilhabe für viele BerlinerInnen, die sich jetzt sicher überlegen werden, ob sie sonntags mit den Kindern noch ins Museum gehen können, wenn sie für alle Eintritt zahlen müssen.

Quelle: ntv.de

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