Katastrophe in Haiti Weite Landesteile betroffen
17.01.2010, 15:56 Uhr
In Leogane steht fast kein Haus mehr. Die Opfersuche scheint aussichtslos.
(Foto: dpa)
Nach dem Jahrhundert-Erdbeben kämpfen Millionen Menschen ums Überleben und warten auf Wasser, Lebensmittel und Medikamente. Vor allem Ärzte fehlen. Das Ausmaß der historischen Katastrophe wird derweil immer deutlicher.
Neben der zerstörten Hauptstadt Port-au-Prince sind auch im Süden und Westen des Karibikstaats Städte fast vollständig verwüstet. "Jacmel ist kaputt, viele Häuser liegen in Trümmern", sagte Haitis Botschafter Jean Robert Saget. Helfer berichteten über einen logistischen Alptraum, die Hilfsgüter erreichen die Menschen nur schleppend.
Der Länderdirektor des Kinderhilfswerks Plan International, Rezene Tesfamariam, beschrieb die Situation in Jacmel im Süden des Landes: "60 Prozent der Gebäude in Jacmel sind zerstört, 24 Schulen sind eingestürzt oder stark beschädigt, die Krankenhäuser haben keinen Strom."
In Leogane, westlich von Port-au-Prince, sprach ein Reporter der britischen BBC von apokalyptischen Szenen. Fast jedes Gebäude sei zerstört, nach UN-Angaben sind 90 Prozent der Häuser dem Erdboden gleichgemacht. "Hier ist das Epizentrum und viele Tausende sind tot", erklärte UN-Vertreter David Orr. Ein Überlebender sagte: "Wir haben keine Hilfe, nichts. Kein Essen, kein Wasser, keine Medizin, keine Ärzte."

Noch immer sind nicht alle Leichen aus der Stadt gebracht. Die Angst vor Krankheiten greift um sich.
(Foto: dpa)
Für die Helfer ist die Lage schwierig. Der Flughafen wird mittlerweile von den USA kontrolliert, um Hilfslieferungen effizienter abzuwickeln. Die Maschinen müssen wegen des verstopften Airports oftmals über Stunden Warteschleifen fliegen. "Wir hoffen, dass wir bald eine Kapazität von 90 Maschinen pro Tag haben", erläuterte PJ Crowley, Sprecher des US-Außenministeriums. Der US-Flugzeugträger "USS Carl Vinson" liegt mit Elite-Einheiten an Bord vor der Küste des Karibikstaats vor Anker, weitere US-Kriegsschiffe plus ein riesiges Lazarettschiff sind auf dem Weg.
USA versprechen langfristige Hilfe
US-Außenministerin Hillary Clinton hatte die Krisenregion am Samstag besucht. Die Politikerin versprach langfristige Hilfe. "Wir sind hier, um Euch zu helfen (...). Wir sind heute hier, wir werden morgen hier sein und in der Zeit, die vor uns liegt." Zugleich begannen die ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und Bill Clinton mit einer großangelegten Spendensammlung für die Erdbebenopfer. Präsident Barack Obama, der seine Vorgänger mit der Koordination der Spendenhilfe beauftragt hatte, empfing beide im Weißen Haus. "Vor uns liegen schwierige Tage", sagte Obama.
"Es gibt nichts, worauf wir bauen können", sagt Michael Kühn, Repräsentant der Deutschen Welthungerhilfe in Haiti. Das UN- Kinderhilfswerk und weitere Organisationen begann mit der Verteilung von Trinkwasser. Einsatzkräfte aus Israel bauten innerhalb weniger Stunden ein Krankenhaus auf, in dem sie täglich bis zu 500 Patienten behandeln können. Die Vereinten Nationen errichteten 15 Zentren inner- und außerhalb von Port-au-Prince zur Verteilung von Hilfsgütern.
Viele schwere Verletzungen
In einem Wettlauf gegen die Zeit operierten Mediziner der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" Verletzte. Erfahrene Mitarbeiter sagten nach Angaben der Organisation, sie hätten noch nie so viele schwere Verletzungen auf einmal gesehen. "Innerhalb der nächsten 24 Stunden müssen etwa ein Drittel der Patienten hier unbedingt operiert werden, sonst sterben sie", sagte Jennifer Furin dem Nachrichtensender CNN. Die Medizinerin arbeitet in einem provisorischen Krankenhaus am Flughafen von Port-au-Prince.
Auf den Straßen der Hauptstadt sind unzählige Menschen unterwegs. Oft tragen sie einen Mundschutz, der gegen den Leichengeruch helfen soll. Viele sind traumatisiert. Tausende haben Zuflucht in Parks gesucht - aus Angst vor Nachbeben. Die Menschen stehen nach Wasser und Lebensmitteln an. An einigen Stellen gibt es wieder Obst und Gemüse zu kaufen. Nachts waren vereinzelte Schüsse zu hören, es gab Berichte über Gewalt und Plünderungen. Ein heftiges Nachbeben löste am Samstag Panik in der zerstörten Hauptstadt aus.
Gebet für die Opfer
Papst Benedikt XVI. rief zum Gebet für die Opfer auf. Solche traurigen Ereignisse zeigten, "dass wir allein diese Welt nicht gut machen können", sagte Benedikt beim Angelusgebet in Rom. Ihn habe die Nachricht erreicht, dass neben Erzbischof Joseph Serge Miot in Haiti auch viele Priester, Ordensleute und Seminaristen durch das Erdbeben ums Leben gekommen seien. Der Papst ermutigte alle karitativen Organisationen, die sich um die immensen Bedürfnisse Haitis kümmern. Er bete für die Verletzten und die Obdachlosen sowie für alle, die umgekommen sind.
Kaum noch Hoffnung
Noch Überlebende zu finden, wurde immer unwahrscheinlicher. Nach einer ersten provisorischen Bilanz starben laut Haiti Press Network bei den Erdstößen der Stärke 7,0 am Dienstag mehr als 50.000 Menschen. Etwa 250.000 wurden verletzt. Etwa eine Million Menschen seien obdachlos. Haitis Regierung geht davon aus, dass mehr als 100.000 Menschen starben.

Hédi Annabi wurde 65 Jahre alt.
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Die Vereinten Nationen informierten über den Tod des Leiters der UN-Mission in Haiti, Hédi Annabi. Die Leichen des Tunesiers sowie seines Stellvertreters, des Brasilianers Luiz Carlos da Costa, und des amtierenden UN-Polizeichefs in Haiti, Doug Coates, seien unter den Trümmern des früheren UN-Hauptquartiers gefunden worden.
Auch ein junger Mann aus Hamburg ist unter den Opfern. Das teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit. Die "Bild am Sonntag" berichtete, der 28-Jährige habe für eine Hamburger Exportfirma in dem Karibikstaat gearbeitet. 30 Deutsche wurden noch vermisst. Die Bundesregierung stockte ihre Erdbebenhilfe für Haiti um sechs Millionen auf 7,5 Millionen Euro auf.
Der UN-Sicherheitsrat kommt an diesem Montag in New York zu Beratungen über die Lage in Haiti zusammen. Initiiert wurde das Treffen von der mexikanischen Regierung in Zusammenarbeit mit China, das zur Zeit die Präsidentschaft des Rates innehat. An dem Termin werde auch der UN-Generalsekretär teilnehmen, berichteten mexikanische Medien. Ebenfalls am Montag soll nach Informationen von Haiti Press bei einer ersten Konferenz über die Koordination der europäischen Hilfe für das vom Erdbeben zerstörte Land beraten werden. Die EU-Entwicklungshilfeminister beraten in Brüssel in einer Sondersitzung über Erdbebenhilfe für Haiti.
Quelle: ntv.de, dpa