Panorama

Undercover gegen Cybergrooming Wie Ermittler sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen

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In den Chats kommen die Täter meist schnell auf das für sie Wesentliche.

In den Chats kommen die Täter meist schnell auf das für sie Wesentliche.

(Foto: picture alliance/dpa)

Sie geben sich als Kinder aus und chatten mit den Tätern im Netz: Spezialisten des Landeskriminalamts leiten so innerhalb von zwei Wochen 93 Ermittlungsverfahren ein. Sie blicken online in die Abgründe.

Sophie ist ein hübsches, braunhaariges Mädchen. Sie mag Tiere und Taylor Swift, wie sie in ihrem Profil bei Instagram schreibt. Heute ist Sophie krank, liegt im Bett und ist deshalb an diesem Vormittag nicht in der Schule. Das schreibt sie zumindest einem Mann, der wenig später fragt, ob sie ein Nacktfoto von ihm sehen wolle.

Sophie antwortet: "Ich bin doch erst 12." Das ist gelogen - zum Glück. Denn "Sophie" ist eine erwachsene Frau, die für das Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf arbeitet und sich im Netz als Kind ausgibt - auf der Suche nach Tätern.

"Cybergrooming" nennt sich das Phänomen, das die LKA-Experten sich online als Undercover-Ermittler vornehmen. Das bedeutet, dass Erwachsene - meist Männer - sich über Chatforen oder Soziale Medien an Kinder heranmachen. Sie versuchen vor allem Mädchen zu überreden, Nacktfotos zu senden oder sie sogar zu einem echten Treffen zu bewegen. Manchmal benutzen die Täter auch Erpressung: Wenn die Kinder erst mal ein freizügiges Foto geschickt haben, drohen sie: Das verrate ich deinen Eltern - es sei denn ...

LKA-Spezialisten geben sich als Kinder aus

Bei einer konzertierten Aktion haben die LKA-Spezialisten sich über zwei Wochen als sogenannte "Scheinkinder" ausgegeben. Das Ergebnis: 93 Ermittlungsverfahren. "Die Zahlen zeigen deutlich, wie groß und dreckig der Sumpf ist, in dem meine Ermittlerinnen und Ermittler hier fischen", so LKA-Chef Ingo Wünsch.

Mehrere LKA-Spezialisten chatten gleichzeitig in einem Großraumbüro.

Mehrere LKA-Spezialisten chatten gleichzeitig in einem Großraumbüro.

(Foto: picture alliance/dpa)

An diesem Vormittag sitzen acht Kolleginnen und Kollegen in einem Großraumbüro des LKA. Teilweise Polizisten, teilweise sogenannte Regierungsbeschäftigte - also Angestellte mit einem ganz anderen Hintergrund: IT-Fachleute, Kommunikationsexperten. Zwischen Laptops, Netzwerkkabeln und Kaffeetassen liegen auch zahlreiche Smartphones. Die Kameras der Handys sind abgeklebt. Der Hintergrund: Oft schlagen die Männer den Scheinkindern vor, zu Whatsapp rüberzuwechseln. Die Ermittler machen mit - wollen aber nicht, dass ihre Smartphone-Kamera zum Beispiel gehackt wird und sie enttarnt werden.

Manchmal chatten auch mehrere "Scheinkinder" im Raum gleichzeitig mit dem gleichen Internetnutzer. Alle Ermittler haben ohnehin parallel mehre Profile offen. "Daher versuche ich auch schon, mein Scheinkind immer relativ konstant zu halten. Ich bin immer so und so alt, ich habe ein paar Geschwister, meine Eltern sind beide arbeiten, ich wohne in Duisburg, ich habe einen Hund. Also immer dieselben Informationen zu teilen", so eine der LKA-Expertinnen. Ihr echter Name soll - wie bei allen hier im Großraum - geheim bleiben.

Täter auch bei Instagram unterwegs

Früher hat die Polizei sich vor allem in Chatforen bewegt, wo die Täter schon nach Sekunden zur Sache kommen. "Willst du mich nackt sehen?", fragt im Schutz der Anonymität ein User im zweiten Satz. "Quick and dirty" nennen das die Ermittler. Für die Aktionswochen haben sie sich bewusst auch Profile auf Instagram angelegt. Bei dem populären Sozialen Netzwerk hat man noch wenig Erfahrung. Schnell wird klar: Hier lassen sich die Täter zwar mehr Zeit als im Chat - aber die Strategien sind genauso perfide.

"Teilweise geben die sich selber auch als Kinder aus", so eine Online-Ermittlerin: "Also wenn wir die dann fragen, wie alt bist du denn? Und wir sagen zum Beispiel 11 oder 13, dann schreiben die oft, ja ich auch - oder: Ja, ich bin 15, ist das schlimm? Also es gibt auch welche, die ganz offen schreiben: Ich bin aber schon 48, schlimm?" Auf solche oder krassere Fragen ("Soll ich dir ein Bild von meinem Penis schicken?") muss die Ermittlerin defensiv antworten: "Wir dürfen da eben nicht in die Rolle des Agent Provocateur treten, sondern müssen uns passiv verhalten und gucken, ob da was passiert." Alles andere wäre nicht rechtssicher.

Wenn ein Täter tatsächlich ein Nacktfoto schickt oder das "Scheinkind" zu sexuellen Handlungen auffordert, wird alles gesichert. Nun muss der Verdächtige aus der Anonymität geholt werden. Ein Polizist, der mit im Raum sitzt, ist heute für die entsprechende Unterstützung zuständig. Er sucht zum Beispiel mit Fotos von Gesichtern nach den echten Namen, vergleicht die dann mit internen Datenbanken. Gerade ist der Beamte so auf einen Mann gestoßen, der dem "Scheinkind" bei seinem Heimatort sogar die Wahrheit gesagt hatte. Er lebt außerhalb von NRW, der Fall wird der dortigen Staatsanwaltschaft geschickt.

"Kein Täter soll sich im Netz je sicher fühlen dürfen"

Inzwischen helfen die Betreiber der Plattformen auch oft mit IP-Adressen oder Namen von Nutzern aus - auch, wenn das Soziale Netzwerk in den USA sitzt. Jeder Täter, der so gefunden wird, macht das LKA-Team stolz. "Und es gibt unserer Arbeit einen Sinn", so eine beteiligte Polizistin. Denn natürlich sei es belastend, den ganzen Tag in diese Abgründe zu blicken - "wobei man bis zum Abend 20 Penisse gesehen hat", so eine Kollegin.

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Sie betont: "Das ist nur die Spitze des Eisbergs." Und: "Da könnte man Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen mit beschäftigen." Der Teamleiter, ein erster Kriminalhauptkommissar, sagt: "Der Sinn dieser Aktionswoche waren drei Gesichtspunkte: einmal Prävention. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass es Cybergrooming überall dort gibt, wo Kinder digital unterwegs sind. Zweitens möchten wir zu mehr Medienkompetenz aufrufen und dafür werben, dass in Schulen und Elternhäusern das Thema angesprochen wird. Drittens wollen wir natürlich auch eine symbolische Nachricht in Richtung der Täter schicken: Wir sind eben auch unterwegs im Bereich der digitalen Medien - auf allen Plattformen. Wir gehen gegen Cybergrooming vor und werden euch erwischen."

Eben das ist auch LKA-Chef Ingo Wünsch wichtig: "Kein Täter soll sich im Netz je sicher fühlen dürfen." Das wird auch der Mann bald merken, der angibt, aus Duisburg zu sein und gerade mit einem der "Scheinkinder" via Instagram chattet: Er sei ja schon ein gutes Stück älter, schreibt er dem vermeintlichen Mädchen: "Schlimm?"

Quelle: ntv.de, Oliver Auster, dpa

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