Panorama

Erdbeeren in Senfsoße gegen die Elbe Wittenberge trotzt der Flut

Wittenberge kämpft um die Deiche.

Wittenberge kämpft um die Deiche.

(Foto: REUTERS)

Aufregung pur: Der Pegelstand der Elbe in der nordbrandenburgischen Stadt Wittenberge droht mit über acht Metern ein neues Rekordhoch anzusteuern. Doch die Menschen in der Elbstadt nehmen es gelassen. Erstaunlich ruhig stemmt man sich gegen die Fluten. Dabei könnte ein Bruch des Deiches Teile der Altstadt förmlich verschlingen.

Die Lage ist angespannt: Nach Experten-Berechnungen könnte die Elbe einen historischen Höchstwert von 8,20 Meter erreichen.

Die Lage ist angespannt: Nach Experten-Berechnungen könnte die Elbe einen historischen Höchstwert von 8,20 Meter erreichen.

(Foto: Holger Preiss)

Vorsorglich hat man in Wittenberge die 1500 Anwohner der Altstadt, die unmittelbar am Hafen liegt, aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Die Zufahrtsstraßen sind von der Polizei abgeriegelt und nur Anwohner dürfen in diesen Bereich. Bis jetzt noch. "Sollte es ernst werden, müssen alle raus", erklärt einer der Polizisten, die auch die Zugänge zu den Deichen bewachen. Weder Gaffer noch übermütige Helfer sollen den Druck von oben auf die Deiche verstärken. "Das muss jetzt hier so vorbeigehen", so der Beamte und meint die Elbe, deren Hochwasserscheitel sich über fast 40 Kilometer erstreckt.

Wer jetzt doch noch zum Hafen gehen darf, läuft durch einsame Gassen. Die Bewohner haben die Türen und Kellerfenster mit Sandsäcken, großen Plastikplanen und Holzplatten so gut es eben geht vor einer möglichen Überflutung geschützt. Auf dem Weg zu den Elbterrassen kommt man an geschlossenen Arztpraxen, einer Musikschule und einem verwaisten Spielplatz vorbei. Nur die Kirchenglocken läuten, dass man meinen möchte, ihr Klang soll den Herrn dazu bewegen, mit der Stadt ein Einsehen zu haben. Steht man dann nach zehn Minuten Fußweg an der Elbe, glaubt man bei den Wassermassen nicht an einen Fluss, sondern eher an einen See. Man stellt sich beklommen die Frage, ob die Deiche diese Massen wohl über lange Zeit aushalten werden.

Der Deichgraf heißt hier Diete

Das "Kranhaus" von Knut Diete ist geschlossen.

Das "Kranhaus" von Knut Diete ist geschlossen.

(Foto: Holger Preiss)

Mitten am Wasser steht ein Haus, das bewehrt mit Sandsäcken wie eine Trutzburg der Elbe standhält. Über den Barrieren hängen Feuerwehrschläuche, aus denen in einer Tour Wasser sickert. Es ist das "Kranhaus", ein Restaurant, in dessen Eingang der Herr dieses Bollwerkes, Knut Diete, steht. An der Tafel, an der sonst die kulinarischen Besonderheiten des Tages angepriesen werden, steht jetzt: "Wegen Hochwasser geschlossen." Klar, denkt der Betrachter und nähert sich vorsichtig dem Burgherren.

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Haben die Behörden beim Hochwasserschutz versagt?

"Seit Samstag ist hier alles gesperrt", erzählt Diete, ohne dabei wirklich verärgert zu wirken. Dabei ist seine Gaststätte im Moment nicht zu betreten. Das Elbwasser ist in die gute Stube eingedrungen und hat den Dielenfußboden völlig überschwemmt. Noch können die zwei Pumpen in der Küche verhindern, dass es richtig arg kommt. "Dit is jenauso wie ick's mir jedacht habe", so Diete. "Wenn dit vorbei is, muss das Holz raus. Dann wird hier'n Steinfußboden einjesetzt. Der is schick und zeitjemäß", grinst der Wirt. Erstaunlich, mit welcher Gelassenheit der Mann das Unglück hinnimmt.

Immerhin gehen ihm wegen des Hochwassers ordentlich Einnahmen verloren. Weder Touristen noch Einheimische finden derzeit den Weg in die Elbstraße 4a. Auf etwa 15.000 bis 18.000 Euro schätzt Diete die Verluste. Das sind aber nur die Gelder, die die Besucher - vorrangig Radler, die die Wege auf den Deichen zu ausgedehnten Radwanderungen nutzen -innerhalb der nächsten Woche nicht ins Gasthaus bringen. Die Renovierungsarbeiten sind hier noch gar nicht eingerechnet. "Da muss ick wohl an die Kriegskasse", meint der Wirt und zuckt mit den Schultern.

"In der Not sind alle da"

Man mag meinen, dass die Einstellung von Diete Resignation ist. Mitnichten. Genau diese Gelassenheit begegnet einem in dieser angespannten Situation auch in der Stadt. Über die Jahre hinweg wurde die Elbstadt immer wieder vom Hochwasser bedroht. Am schlimmsten war es 2002. "Da waren die Pegelstände mit 7,34 Metern fast genauso hoch wie heute", erzählt Frauke Spiller, die in ihrem Büro der Touristeninformation sitzt. Danach wurden die Deiche erhöht und befestigt. Insofern wundert es nicht, dass die Hochwasser im Jahr 2006 und 2011 von der Öffentlichkeit und den Medien gar  nicht mehr wahrgenommen wurden. "2011 ging der Pegel auch über die Siebenmetermarke", so Spiller. Insofern gehört das Hochwasser schon immer zum Alltag der Menschen in Wittenberge. Nur, dass die Abstände, in denen die Stadt heimgesucht wird, immer kürzer werden. "Aber wissen Sie was", meint Spiller, "das Schöne an dieser Stadt ist, dass wenn Not am Mann ist, alle da sind."

Deiche wohin das Auge blickt.

Deiche wohin das Auge blickt.

(Foto: Holger Preiss)

Und tatsächlich: Innerhalb von zwei Tagen haben freiwillige Helfer, Feuerwehr, Polizei und Bundeswehr entlang der Elbe die Deiche mit Sandsäcken so verstärkt, dass das Wasser theoretisch bis auf eine Höhe von 8,45 Metern steigen könnte. Das ist nicht mehr das Problem. Gefährlich ist diesmal die Zeit, in der das Wasser auf die Deiche drücken wird. Experten rechnen mit mindestens einer Woche, bi s der Scheitelpunkt an Wittenberge vorbeigeflossen ist. Genau kann das aber nicht bestimmt werden. Drückt beispielsweise die Nordsee in die Elbe, kann sich der Zeitraum auch deutlich verlängern und der Druck auf die Wälle bleibt bestehen. Die drohen aufzuweichen und könnten dann doch brechen. Was dann passiert, wäre nicht auszudenken.

Wittenberge ist mit fast 18.000 Einwohnern die größte Stadt in der Prignitz. Wie viele Städte im Nordwesten Brandenburgs lebt auch sie vom Tourismus. Schon jetzt macht sich deren Ausbleiben bemerkbar. "In Zahlen ist es noch nicht zu fassen", so Spiller, "aber der Rückgang an Besuchern seit dem Hochwasser ist deutlich zu spüren." Bereits jetzt hat sich die Elbe vor den Toren der Stadt ihren Weg gebahnt. Mehrere Dörfer in der Nähe von Fischbeck in Sachsen-Anhalt mussten evakuiert werden, nachdem auf einer Länge von etwa 100 Metern das Wasser in die Niederungen zwischen Elbe und Havel geflossen ist.

"Allet wird jut"

Am Sonntag wurden auch die Polder an der Havel geflutet. Stück für Stück hat man in Quitzöbel (Sachsen-Anhalt) an der Landesgrenze die Wehre ähnlich wie Garagentore heruntergelassen. Dadurch fließt das Wasser der Elbe in die Havel, sagte Kurt Augustin, Abteilungsleiter Wasser beim Landesumweltministerium. Das komplette Herunterlassen der Tore ist seit Montagnachmittag abgeschlossen. Jetzt schießen pro Sekunde rund 300 Kubikmeter Elbewasser in die Havel und die angrenzenden Polderflächen.

Mit der Flutung soll der auf Wittenberge zurollende Hochwasserscheitel gekappt werden. Am Dienstag werden am Pegel Wittenberge 8,10 Meter erwartet. Zuletzt war das Wehr in Quitzöbel beim Hochwasser 2002 geöffnet worden. Bei sinkendem Pegelstand wird der Vorgang wieder rückgängig gemacht: das Wasser wird aus der Havel in die Elbe zurückgeleitet. Doch jetzt droht erst einmal dem westlichen Havelland Unbill. Grund sei eine mögliche Gefährdung des Gebietes trotz geöffneter Polder durch unsichere Elbdeiche, betonte Landrat Burkhard Schröder.

Auch die Gefahr für Wittenberge ist wie gesagt noch nicht gebannt. Doch die Stadt ist hochwassergeprüft. In der Chronik steht zu lesen, dass bereits im Jahr 1888 ein Pegelstand von 7,41 Metern erreicht wurde. "Bis jetzt hat man hier alle Hochwasser überstanden", so Diete und drückt mir ein Rezept in die Hand. "Dit hab ick schon für Brad Pitt, Angelina Jolie und Bridney Spears jemacht. Und wenn es mal schlecht jeht, hält man es einfach in den Himmel und allet wird jut!" Sie wollen wissen, was es ist? Frische Erdbeeren in Senfsoße mit einer Kugel Vanilleeis.

Quelle: ntv.de

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