Für die Rente mumifiziert Wo sind Japans alte Menschen?
14.08.2010, 11:04 Uhr
Alt und vergessen: Japans Senioren.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Die Japaner erfreuen sich einer hohen Lebenserwartung. Doch gibt es tatsächlich so viele über Hundertjährige? Zwei Todesfälle werfen ein anderes Licht auf ihr Schicksal.
Wie lange Sogen Kato schon tot in seinem Haus lag, weiß niemand. Als Beamte in Tokio ihrem ältesten männlichen Bewohner zu seinem 111. Geburtstag gratulieren wollten, fanden sie nur eine "mumifizierte" Leiche in seinem Bett - Kato ist nämlich schon vor 30 Jahren gestorben. Das zumindest legen Zeitungen nahe, die in seinem Haus gefunden wurden. Die jüngste datiert vom 5. November 1978.
Während die Polizei nun dem Verdacht nachgeht, dass die Angehörigen den Tod all die Jahre verschwiegen, um Katos Rente zu unterschlagen, meldeten nur wenige Tage später japanische Medien einen weiteren mysteriösen Fall: Diesmal wird Tokios älteste Frau vermisst, die 113 Jahre alte Fusa Furuya.
1986 das letzte Mal gesehen
Nach Katos aufsehenerregendem Fall wollten die örtlichen Beamten gleich mal nachschauen, wie es ihrer ältesten Bewohnerin geht. Doch Fehlanzeige. Niemand wisse, wo sie sei, meldeten Medien.
Auch Furuyas 79 Jahre alte Tochter, die als Mitbewohnerin registriert ist, hatte angeblich keine Ahnung. Das letzte Mal, dass sie und ihre Mutter miteinander gesprochen hätten, sei um das Jahr 1986 gewesen, meldeten Medien. Die Tochter habe angenommen, ihre Mutter lebe mit ihrem Bruder in der Nachbarprovinz Chiba. Fälle wieder dieser werfen ein Schlaglicht auf die Lage alter Menschen in Japan.
Jeder Fünfte ist über 65
Keine Industriegesellschaft altert so schnell wie Japan. Die Frauen des Landes erfreuen sich mit 86,4 Jahren weltweit der höchsten Lebenserwartung. Japanische Männer kommen immerhin auf durchschnittlich 79,5 Jahre.
Tomoji Tanabe war bis zum 19. September der älteste Mann der Welt. Und er lebte in: Japan.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Mehr als 40.000 Japaner sind älter als 100 Jahre. Schon jetzt leben fast 30 Millionen Menschen über 65 Jahre in dem ostasiatischen Land. Das ist fast jeder fünfte Bewohner. Da nur wenige Kinder nachrücken, schrumpft Japans Bevölkerung seit 2005 - und somit auch seine Erwerbsbevölkerung. Mittelfristig droht ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.
Medizinischer Fortschritt, Sicherheit und gute Ernährung
Zu der steigenden Lebenserwartung der Japaner tragen wohl viele Faktoren bei. Da wären zum einen die bahnbrechenden Fortschritte der Altersmedizin wie auch bei der Behandlung der in Japan vorherrschenden Todesursachen: Krebs, Herzerkrankungen und Hirnschlag. Dazu kommt aber auch die Tatsache, dass die Japaner in einem der sichersten und zugleich reichsten Länder leben. Außerdem gilt nicht zuletzt die traditionell fettarme Küche als Grund für ein langes Leben. Eine Schattenseite ist jedoch, dass viele Alte in Japan auf sich allein gestellt sind.
Während sich früher die Jüngeren um die Alten kümmerten, geht der Trend heute hin zur Kernfamilie. Viele Senioren leben allein. Wegen der Abwanderung in die Großstädte wie Tokio sterben ganze Landstriche aus. Zurück bleiben meist nur noch die alten Menschen. Während auf dem Land allerdings oft noch die örtlichen Gemeinschaften in Takt sind und die Menschen sich gegenseitig helfen, sieht die Lage in den modernen Großstädten oft anders aus. Zunächst blieben die Umstände der Fälle von Kato und Furuya unklar. Bei Kato hieß es, die Behörden hätten immer wieder versucht, ihn zu besuchen, aber die Angehörigen hätten sie nicht reingelassen.
Viele Senioren leben vereinsamt
Zur Begründung hieß es, Kato habe angeblich niemanden sehen wollen. Er habe sich vor 30 Jahren in sein Zimmer zurückgezogen, um sein Dasein als "lebender Buddha" zu fristen. Was auch immer genau geschah, Tatsache ist, dass viele alte Menschen in Japan isoliert leben. Das Schicksal der beiden über Hundertjährigen sorgte nun für so viel Medienwirbel, dass sich auch die Zentralregierung damit befasste. Die Lage alter Menschen und die Tatsache, dass viele Senioren allein lebten, sei für die Behörden ein schwerwiegendes Thema, wurde Gesundheitsminister Akira Nagatsuma zitiert.
Es sei wichtig zu überlegen, wie alleinstehende Menschen hohen Alters in die Gemeinschaft eingebunden werden können. Seine Regierung wolle nun über Maßnahmen nachdenken, wie sichergestellt werden könne, dass bekannt ist, wo sich die alten Menschen aufhalten.
Täglich namentlich melden
In manchen ländlichen Gegenden nutzen die örtlichen Behörden dazu Lautsprecher für Katastrophendurchsagen. Sie rufen für alle Bewohner laut hörbar die Namen von hochbetagten Mitbewohnern aus, sobald diese vermisst werden. Mancherorts passiert das jetzt fast täglich.
Quelle: ntv.de, Lars Nicolaysen, dpa