Bilanz für Afghanistan 2000 Zivilisten getötet
17.02.2009, 10:34 UhrDer gewaltsame Konflikt in Afghanistan hat im vergangenen Jahr über 2000 Zivilisten das Leben gekostet - mehr als je zuvor seit dem Sturz der Taliban vor gut sieben Jahren. Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) teilte in Kabul mit, die Zahl der zivilen Opfer sei 2008 im Vergleich zum Vorjahr um fast 40 Prozent auf 2118 gestiegen.
Für 55 Prozent der getöteten Zivilisten seien Aufständische wie die Taliban verantwortlich gewesen. 39 Prozent der Opfer seien von afghanischen oder internationalen Truppen besonders bei Luftangriffen getötet worden. Die restlichen sechs Prozent seien keiner Seite eindeutig zuzuordnen gewesen, da sie etwa im Kreuzfeuer umgekommen seien.
"Die Schuldigen klar benennen"
NATO-Sprecher James Appathurai sagte dagegen in Brüssel: "Die Taliban und deren Helfer sind für etwa 80 Prozent der zivilen Todesopfer verantwortlich." NATO-eigenen Zahlen zufolge seien 97 Menschen durch die Afghanistan-Schutztruppe ISAF getötet worden, etwa 130 durch US-Soldaten der "Operation Enduring Freedom".
987 Menschen seien jedoch durch Aufständische getötet worden. Die NATO geht allerdings von anderen Bezugszahlen aus: Über Todesopfer durch die afghanische Armee werden dazu keine Angaben gemacht. "Wir haben ein neues Beobachtungssystem, das wir für zuverlässig halten", sagte Appathurai zu den Zahlen.
"Wir sollten die Schuldigen sehr klar benennen", sagte der NATO- Sprecher. "Die Taliban kämpfen aus zivilen Wohngebieten heraus und ziehen sich nach den Angriffen dorthin zurück. Sie setzen Zivilisten ganz bewusst der Gefahr aus und versuchen, sie als menschliche Schutzschilde zu benutzen." Die NATO bemühe sich intensiv, zivile Opfer so weit wie möglich zu vermeiden. "Können wir das noch verbessern? Wir können und sollten das tun", sagte der Sprecher.
Konflikt dehnt sich aus
Auch die Vereinten Nationen riefen die Konfliktparteien erneut dazu auf, zivile Opfer zu vermeiden. Deren wachsende Zahl bereite "große Sorge". Mehr als 40 Prozent der zivilen Opfer seien im umkämpften Süden des Landes registriert worden, gefolgt vom Südosten (20 Prozent), Osten (13 Prozent), Zentralafghanistan (13 Prozent) und dem Westen (9 Prozent).
Der Norden, das Einsatzgebiet der Bundeswehr, wurde in dem Jahresbericht zum "Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten" wegen der vergleichsweise geringeren Zahl der zivilen Opfer nicht gesondert aufgeführt. Im Bericht heißt es jedoch, dass der bewaffnete Konflikt sich unter anderem auf den Norden ausdehne.
Die Zahl der getöteten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen habe sich im Berichtszeitraum verdoppelt, heißt es in dem UN-Bericht. 38 Helfer seien getötet und 147 weitere entführt worden. Die Arbeit von Hilfsorganisationen werde immer schwieriger. Weite Teile des Südens, des Südwestens, des Südostens, des Ostens und Zentralafghanistans würden als "extrem riskante, feindliche Umgebung" für humanitäre Hilfsoperationen eingestuft.
Zwei Zivilisten getötet
Die NATO-geführte Schutztruppe ISAF teilte mit, ihre Soldaten hätten am Dienstag in der südafghanischen Provinz Kandahar versehentlich zwei Zivilisten erschossen. Das Fahrzeug der Opfer habe trotz klarer Signale nicht gestoppt und sei auf eine Fußpatrouille zugerast. Daraufhin hätten die Soldaten das Feuer eröffnet.
Die US-Armee erklärte, bei einem Sprengstoffanschlag in Kandahar seien am Vortag fünf Zivilisten getötet worden. Als US-geführte Koalitionssoldaten und afghanische Polizisten am Anschlagort eintrafen, kam es demnach zu einem Gefecht. Dabei seien zwei Extremisten getötet worden. Das britische Verteidigungsministerium teilte mit, ein britischer ISAF-Soldat sei bei einem Schusswechsel in der südafghanischen Provinz Helmand getötet worden. Nach Angaben der US-Armee wurden in der westafghanischen Provinz Herat bei einem "Präzisionsangriff" ein Anführer der Aufständischen und weitere Extremisten getötet. Bei Gefechten in der Provinz Farah seien fünf Aufständische getötet worden, teilten die US-Streitkräfte weiter mit.
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung erklärte in Madrid, die NATO-Mission in Afghanistan dürfe nicht den Anspruch erheben, in dem Land eine Demokratie nach dem Vorbild des Westens einzuführen. "Unser Interesse ist ein Sicherheitsinteresse", sagte Jung nach einem Treffen mit seiner spanischen Kollegin Carme Chacn.
Quelle: ntv.de