Erster Stimmungstest 2024 550.000 Berliner wählen Bundestag neu


Gröhler-Plakat im Berliner Wahlkampf.
(Foto: IMAGO/Stefan Zeitz)
Die Bundestagswahl 2021 war ein Desaster für Berlin. Die Organisation versagte stellenweise - es fehlten Wahlzettel, es durfte teils länger als erlaubt gewählt werden. An diesem Sonntag dürfen Hunderttausende Berliner noch einmal an die Urnen. Eine Gefahr für die Ampel ist das nicht, aber spannend wird es trotzdem.
Bundestagsdebatten, lange Sitzungen, Streit mit SPD und Grünen - für Klaus-Dieter Gröhler war all das Vergangenheit. 2021 verlor der CDU-Politiker sein Bundestagsmandat und prüft seitdem wieder angehende Juristen im Juristischen Prüfungsamt der Länder Berlin und Brandenburg, seinem alten Beruf. Doch dann kam der 13. Dezember 2023: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Bundestagswahl in Berlin umfangreicher wiederholt werden muss als gedacht. In 455 Wahlbezirken sollen die Menschen gewissermaßen nachsitzen.
"Natürlich habe ich mich gefreut", sagt Gröhler am vergangenen Montag ntv.de über die zweite Chance. 2021 hatte er den Wahlkreis nach acht Jahren an die SPD verloren. Er steht auf der Mainzer Straße in Berlin-Wilmersdorf und macht Straßenwahlkampf vor einem Supermarkt. Es reize ihn, noch einmal diesen Wahlkreis vertreten zu können. "Hier bin ich geboren und aufgewachsen." Allerdings lebt er seit 25 Jahren in einem anderen Bezirk, so wie manch andere Kandidaten auch.
Dass er nun im Winter um Stimmen wirbt, hat er dem Berliner Debakel am Wahltag, dem 26. September 2021, zu verdanken. Massenhaft fehlten die richtigen Wahlzettel, teils wurden noch Stunden nach offiziellem Ende der Wahl Stimmen abgegeben. Doch für die Verlierer von damals heißt es jetzt auch: Neue Wahl, neues Glück. Als Termin stand schnell der 11. Februar fest.
Ampel wird ihre Mehrheit halten
Es ist bereits die zweite Wahlwiederholung für die Menschen in der Hauptstadt. Vor einem Jahr wurde die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt. Mit einem Sieg der CDU: Deren Spitzenkandidat Kai Wegner löste die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey von der SPD ab. So dramatisch wird es dieses Mal aber nicht zugehen. Die Mehrheit der Ampelkoalition beispielsweise ist nicht in Gefahr. Auch die Linke muss nicht um ihre beiden Direktmandate in der Hauptstadt zittern.
Dennoch ist diese Wahl interessant. Immerhin 550.000 Menschen sind wahlberechtigt, das sind mehr als bei einer Bürgerschaftswahl in Bremen. Vor der Europawahl am 9. Juni und den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im September ist das ein erster Stimmungstest. Berlin tickt zwar anders als der Rest des Landes, aber statt Umfragen wird es am Wahlabend handfeste Ergebnisse geben. Bekommt die Ampel einen Denkzettel? Münzt die AfD ihre guten Werte in ein Ergebnis um? Und: Schafft es die CDU, SPD oder Grünen Wahlkreise abzujagen?
Letzteres sieht Gröhler als seine Mission an. Denn sein Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf ist einer der Schwerpunkte der Nachwahl. 42 Prozent der Urnenwahlbezirke nehmen dort daran teil. In Pankow sind es sogar 85 Prozent, in Reinickendorf rund ein Drittel. Die ersten beiden Wahlkreise sind in Ampelhand: In Pankow gewann der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar, in Charlottenburg-Wilmersdorf Michael Müller von der SPD, der zuvor Regierender Bürgermeister der Hauptstadt gewesen war. In Reinickendorf kam die CDU-Kandidatin Monika Grütters auf Platz eins. "Für die Berliner CDU ist es ein wichtiger Faktor, der Ampel ein oder zwei Wahlkreise abzunehmen", sagt Gröhler. Darüber werde am Montag berichtet werden, erwartet er.
Andere Stimmung als 2021
Wenn es denn gelingt. Denn in Pankow kam die CDU-Kandidatin vor zwei Jahren nur auf 12,7 Prozent, halb so viel wie der der Gewinner von den Grünen hatte. Der müsste schon eher die SPD fürchten. Doch die leidet unter dem Vertrauensverlust der Ampel weitaus stärker als die Öko-Partei. In Charlottenburg-Wilmersdorf kann sich Gröhler hingegen Hoffnungen machen. Immerhin hat er den Wahlkreis schon zweimal gewonnen. 5000 Stimmen müsste er aufholen, um direkt gewählt zu werden. Bei 82.000 Wahlberechtigten sei das erreichbar, sagt er.
Und im Straßenwahlkampf merkt er, dass sich im Vergleich zu 2021 die Stimmung gedreht hat. "Die Leute haben uns gar nicht mehr ernst genommen", erzählt er. "Die haben nur das Bild von Armin Laschet gesehen und sind weiter gegangen." Jetzt sei das anders. "Die Leute sind einfach frustriert. Ich höre ganz oft: 'Wo ist dieser Kanzler?' Die Menschen beklagten mangelnde Zuverlässigkeit der Politiker, etwa beim Klimageld oder der Elektromobilität. "Da sind viele Leute inzwischen richtig angenervt."
Nicht nur das frühere SPD-Stadtoberhaupt Müller ist dabei ein profilierter Gegner für den CDU-Kandidaten. Auch Familienministerin Lisa Paus kandidiert in Charlottenburg-Wilmersdorf. Sie kam 2021 vor ihm auf den zweiten Rang. Man kennt sich, mit der Grünen-Politikerin ist Gröhler sogar per Du. "2017 haben wir die Handynummern ausgetauscht, damit wir uns entschuldigen konnten, falls sie oder ich zu spät zu einer Podiumsdiskussion kamen."
CDU-Abgeordnete könnte Leidtragende sein
Gröhlers erneute Kandidatur könnte aber auch parteiintern Konsequenzen haben. Sollte er den Wahlkreis gewinnen, kann es sein, dass die bisherige CDU-Abgeordnete Ottilie Klein ihren Sitz im Bundestag verliert. Das ist eine der Kuriositäten dieser Nachwahl und hat mit dem Wahlrecht zu tun. Demnach bestimmt das Zweitstimmenergebnis einer Partei, wie viele Sitze sie im Bundestag bekommt. Die direkt gewählten Kandidaten haben ihren Platz sicher. Die restlichen Plätze werden über die Landesliste vergeben. Gibt es also eine Direktwahlsieger mehr, rücken alle anderen in der Liste einen Platz nach unten.
Klein zog 2021 über den letzten abgesicherten Platz in den Bundestag ein. Gewinnt Gröhler, wäre sie also in Gefahr. "Das ist aber nur so, wenn die CDU in Berlin ein schlechtes Ergebnis einfährt und ausgerechnet ich den Wahlkreis gewinne", meint Gröhler. Er fiel 2021 selbst einer ähnlichen Konstellation zum Opfer. Als der spätere CDU-Generalsekretär Mario Czaja überraschend den Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf im Osten der Stadt gewann, musste Gröhler auch deswegen den Bundestag verlassen - weil sein Listenplatz damit nicht mehr hoch genug war. "Ich kann ja nichts dafür", meint er zur aktuellen Situation.
Hat er Glück, kann Gröhler sich schon Ende Februar von Friedrich Merz in der CDU-Fraktion begrüßen lassen. Den findet er besser als erwartet, wie er ntv.de sagt. Bis dahin kann er sich überlegen, wie er dem Fraktionschef erklärt, warum er einst Werbung für Norbert Röttgen als Parteichef machte.
Quelle: ntv.de