Politik

Mubarak setzt auf kleine Schritte Ägypter wollen "ganze Revolution"

Der Tahriri-Platz in Kairo ist wieder voll von Regierungsgegnern.

Der Tahriri-Platz in Kairo ist wieder voll von Regierungsgegnern.

(Foto: AP)

Unter dem anhaltenden Druck der Massenproteste bringt Ägyptens Präsident Mubarak eine Verfassungsreform auf den Weg. Der Staatschef ordnet außerdem eine Untersuchung der Gewalt an, der rund 300 Menschen zum Opfer fielen. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo, dem Epizentrum der seit zwei Wochen andauernden Proteste, bieten Zehntausende Mubarak erneut die Stirn.

Auch die Ankündigung einer Machtübergabe hat den Zorn der Ägypter auf die Regierung nicht mildern können. Erneut kamen mehr als 100.000 Demonstranten auf den Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo zusammen, um den Rücktritt des seit 30 Jahren regierenden Präsidenten Husni Mubarak zu erzwingen. Die vorwiegend jungen Demonstranten warfen der Regierung ein Spiel auf Zeit vor. Auf dem Platz wurde der Schwur laut, es nicht bei einer "halben Revolution" zu belassen.

Der 82-jährige Staatschef denkt allerdings weiter nicht an einen sofortigen Rücktritt und setzt auf eine Politik der kleinen Schritte. Mubarak berief einen Ausschuss ein, der in den kommenden Wochen die ägyptische Verfassung überarbeiten soll. Vizepräsident Omar Suleiman sagte, derzeit werde ein Fahrplan für einen friedlichen Machtwechsel mit einem festen Zeitplan erarbeitet. Auch von Seiten der Armeespitze hieß es, der Wandel müsse "geordnet" erfolgen.

Der acht Jahre alte Mohamed Ehab Alnagar soll das jüngste Gewaltopfer der vergangenen Tage sein.

Der acht Jahre alte Mohamed Ehab Alnagar soll das jüngste Gewaltopfer der vergangenen Tage sein.

(Foto: dpa)

Mit der Einberufung des Verfassungsausschusses kommt der geschwächte Präsident einer weiteren Forderung der Opposition nach. Die benannten Richter und Juristen gelten weitgehend als unabhängig und glaubwürdig. Die Opposition will drei Verfassungsparagrafen ändern. Darin geht es um folgende Punkte: Die Bedingungen für eine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl sollen gelockert werden, um auch Oppositionsvertretern die Bewerbung zu ermöglichen. Zweitens soll die Amtszeit des Präsidenten künftig beschränkt werden. Drittens will die Opposition eine bessere Kontrolle der Wahlen durch die Justiz.

Die Massenproteste gegen Mubarak gingen am Dienstag in die dritte Woche. Nachdem die Demonstrationen in den vergangenen Tagen kleiner geworden waren, strömten am Nachmittag erneut zehntausende Menschen zu einer Großkundgebung gegen das Regime auf den Tahrir-Platz in Kairo, um die Reihen der dort campierenden "Dauerdemonstranten" zu verstärken. Auch in Alexandria und in anderen Landesteilen dauerten die Proteste an.

Google-Manager wieder frei

Wael Ghonim war zur Symbolfigur des Protestes geworden.

Wael Ghonim war zur Symbolfigur des Protestes geworden.

(Foto: AP)

Mubarak hatte vor einer Woche angekündigt, bei der Wahl im September nicht mehr antreten zu wollen. Vizepräsident Suleiman sagte im Staatsfernsehen, Mubarak habe versprochen, dass es keine Strafverfolgung der Demonstranten geben werde. Die Behörden sollten untersuchen, wer die Schuld am Tod zahlreicher Demonstranten am vergangenen Mittwoch trägt. Viele der jugendlichen Demonstranten erklärten unterdessen, sie wünschten sich den am Vortag freigelassenen Google-Manager Wael Ghoneim als Sprecher für ihre Bewegung. Ghoneim hatte zu den Organisatoren der ersten Großdemonstration am 25. Januar gehört.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton forderte vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen umfassenden Wandel in Ägypten. Wie für Tunesien gelte auch für Ägypten und andere Länder der Region, dass freie Wahlen allein nicht ausreichten, sagte die Britin in New York. Israel will als Reaktion auf die Unruhen den Bau seiner Grenzanlage zu Ägypten beschleunigen.

In Jordanien marschierten am Dienstag wieder Demonstranten vor der ägyptischen Botschaft in Amman auf, um ihre Solidarität mit der Protestbewegung in Kairo zu bekunden.

Amnesty will klagen

Das Foto des ägyptischen Informationsministeriums vom 19. März 2010 zeigt Mubarak im Heidelberger Universitätsklinikum.

Das Foto des ägyptischen Informationsministeriums vom 19. März 2010 zeigt Mubarak im Heidelberger Universitätsklinikum.

(Foto: picture alliance / dpa)

In der Diskussion um den eventuellen Rücktritt des ägyptischen Staatschefs befürwortete Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn die Idee, Mubarak vorübergehend in Deutschland aufzunehmen. "Das sollte man tun, wenn es notwendig ist", sagte Asselborn dem Berliner "Tagesspiegel" mit Blick auf Spekulationen über eine medizinische Behandlung Mubaraks in Deutschland.

Amnesty International will in diesem Fall die Bundesanwaltschaft einschalten. Die Karlsruher Behörde müsste dann prüfen, ob sie gegen den 82-Jährigen wegen Folter und anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen Ermittlungen einleite, verlangte die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Monika Lüke. "Mubarak steht für ein System, in dem seit Jahrzehnten Menschen in Haft systematisch gefoltert und misshandelt werden."

Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, lehnte bei n-tv ebenfalls Asyl für Mubarak in Deutschland ab: "Wenn er aber nach Deutschland kommt, ist es wichtig, dass die Bundesregierung eine Garantie gibt, dass Mubarak auch ausgeliefert wird, wenn er von der nächsten Regierung in Ägypten strafrechtlich belangt wird."

Mindestens 297 Todesopfer

Nach Angaben von Human Rights Watch kamen bei den Unruhen in Ägypten seit dem 28. Januar mindestens 297 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften ums Leben. Wie die Menschenrechtsorganisation auf ihrer Internetseite mitteilte, starben in Kairo 232 Menschen, 52 weitere in Alexandria und 13 in Suez. Diese Zahlen seien notwendig zur Einordnung der Polizeigewalt in den vergangenen zwei Wochen in Ägypten, hieß es.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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