"Tag der Rache" in Irland Alles bleibt anders
26.02.2011, 14:23 Uhr
Das irische Wahlsystem ist kompliziert - entsprechend lange dauert die Auszählung.
(Foto: dpa)
Die Faustregel der irischen Politik lautet: Fianna-Fáil-Regierungen werden so lange im Amt bestätigt, bis Korruption und Unfähigkeit das Fass zum Überlaufen bringen. Dann übernimmt Fine Gael. So ist es auch dieses Mal. Für einen echten Neuanfang fehlte den irischen Wählern und Parteien der Mut.
Das sich abzeichnende Wahlergebnis ist eine Revolution, und doch bleibt alles beim Alten. Vom Thron gestoßen ist die langjährige Regierungspartei Fianna Fáil, die über Jahrzehnte fest auf die Macht abonniert war. Ihr folgt, wie immer nach einem Machtverlust, Fine Gael, die bislang kleinere der beiden irischen Volksparteien. Taoiseach, wie der Premierminister in Irland heißt, wird nun der Grundschullehrer Enda Kenny. Zur absoluten Mehrheit reicht es nicht. Koalitionspartner wird aller Voraussicht nach die Labour-Partei sein, der zweite Wahlsieger.
Mehr als drei Millionen Wähler konnten sich zwischen insgesamt 566 Kandidaten entscheiden. Fine Gael erreicht den Prognosen zufolge mit 36,1 Prozent das beste Ergebnis seit mehr als 28 Jahren. Die sozialdemokratische Labour-Partei ist erstmals zweitstärkste Kraft, sie kommt auf 20,5 Prozent. Das ist zwar Rekord für die Partei. Doch noch vor wenigen Monaten konnte Labour hoffen, den Regierungschef zu stellen. Mit ihrer unentschlossenen Haltung in der Frage des Hilfspakets und einem Wahlkampf gegen den einzig möglichen Koalitionspartner Fine Gael hat Labour seine Chance jedoch verspielt.
Gewinne für Sinn Féin
Sinn Féin, die anders als in Nordirland in der Republik bislang ein unbedeutender Außenseiter war, ist erneut aufgewertet worden. Die Partei lehnt die Bankengarantie kategorisch ab und fordert, das Hilfspaket zu kündigen.
Nach 6,9 Prozent 2007 kommt Sinn Féin jetzt auf 10,1 Prozent. Wegen des komplizierten irischen Wahlsystems ist allerdings noch unklar, wie viele Sitze die Links-Nationalisten erobert haben. Gleiches gilt für die Unabhängigen und die anderen kleinen Parteien, die Grünen und die United Left Alliance. Klar ist, dass die Grünen ihre sechs Sitze verloren haben - die Quittung für ihre Koalition mit Fianna Fáil.
Von der Volks- zur Kleinpartei
Fianna Fáil selbst stürzte von 41,6 auf 15,1 Prozent. Es war der "Tag der Rache", den irische Medien angekündigt hatten. Als Parteichef war Premierminister Brian Cowen bereits Anfang Februar abgesetzt worden. Spitzenkandidat Micheál Martin hatte keine Chance. Ihm bleibt die Aufgabe, eine traditionsreiche Partei neu aufzubauen.
Das wird ein hartes Stück Arbeit werden, denn die Wahlbeteiligung, die höher war als 2007, legt nahe, dass viele Fianna-Fáil-Wähler nicht zuhause geblieben sind, sondern sich für eine andere Partei entschieden haben. Kein leichter Schritt, denn das irische Parteiensystem folgt nicht dem üblichen Muster europäischer Parlamente.
Welche der beiden Parteien man wählte, hing lange davon ab, auf welcher Seite die Familie im irischen Bürgerkrieg stand. Damals, 1922/23, ging es darum, ob der Freistaat den Kompromiss mit der einstigen Kolonialmacht Großbritannien akzeptiert und auf die sechs Grafschaften im Norden der Insel verzichtet. Den Krieg gewannen die Befürworter des Freistaats, sie sammelten sich bei Fine Gael. Die Gegenseite hatte zwar den Bürgerkrieg verloren, dafür gewann ihre Partei Fianna Fáil seit den 1930er Jahren die weitaus meisten Wahlen. Denn bislang lautete die Faustregel der irischen Politik: Fianna-Fáil-Regierungen werden so lange im Amt bestätigt, bis Korruption und Unfähigkeit das Fass zum Überlaufen bringen. Dann übernimmt Fine Gael, wird aber bei nächster Gelegenheit wieder von Fianna Fáil ersetzt.
Zwei konservative Volksparteien
Der Feindschaft zum Trotz sind die politischen Unterschiede zwischen Fianna Fáil und Fine Gael klein. Fine Gael gehört zur Europäischen Volkspartei, zu der auch CDU und CSU gehören. Die Vertreter von Fianna Fáil im Europaparlament sitzen in der Fraktion der Liberalen, was dem Anspruch der Partei, die alles überstrahlende Volkspartei zu sein, nicht recht entspricht.
Dass es damit zumindest vorerst vorbei ist, liegt an der Bankenkrise. Im September 2008 erklärte die Regierung in Dublin eine unbegrenzte Bankengarantie - die Basis für den Staatsbankrott, der im November 2010 nur mit Hilfe von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds abgewendet werden konnte. Die irische Öffentlichkeit sieht in diesem Hilfspaket nicht die Rettung aus der Not, sondern die Aufgabe der nationalen Souveränität - ein schwerer Schlag für ein Land, das seit gerade 90 Jahren unabhängig ist.
85 Milliarden Euro schwer ist das Rettungspaket von EU und Internationalem Währungsfonds. Neben den Zinsen in Höhe von 5,8 Prozent wurde dem Land ein dramatischer Sparkurs aufgezwungen. Wirtschaftlich droht Irland sich damit tiefer in die Krise zu sparen, während gleichzeitig Sozialleistungen gekürzt oder gestrichen werden. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 13.4 Prozent. Längst ist die Auswanderung, die mit dem Aufstieg des "keltischen Tigers" nach Jahrhunderten zum Erliegen gekommen war, wieder angelaufen.
Merkel half im Wahlkampf
Fine Gael will die Konditionen des Hilfspakets neu verhandeln. Um zu zeigen, dass er dies kann, hat Parteichef Kenny bereits diverse EU-Regierungschefs besucht. Auch in Berlin hat er sich fotografieren lassen, Bundeskanzlerin Angela Merkel ist schließlich eine Parteifreundin. Im Wahlkampf mag ihm das geholfen haben - mehr als eine minimale Senkung der Kreditzinsen dürfte Kenny für Irland kaum erreichen. Das Hilfspaket sei nicht mit der irischen Regierung, sondern mit der Republik Irland abgeschlossen worden, sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn einen Tag vor der Wahl. "Das Programm, das verhandelt wurde, muss umgesetzt werden." Kenny will der Nation Mut machen und die Frustration überwinden. Das könnte schwierig werden.
Quelle: ntv.de