Politik

Frühere Bundestagspräsidentin Annemarie Renger ist tot

Von Was Annemarie Renger nicht alles war: Die Frau an der Seite von Kurt Schumacher. Die erste Präsidentin des Deutschen Bundestags. Die Große Dame der SPD. Und viele Jahre lang die beliebteste Politikerin der Bundesrepublik. Am Montag ist sie mit 88 Jahren gestorben, an den Folgen einer "langen, schweren Krankheit", wie das in solchen Fällen dann immer heißt. Die letzte Zeit ihres Lebens musste sie in einer Klinik verbringen. Aber sie starb in ihrem Haus, bei ihrer Enkelin, in Oberwinter, hoch über dem Rhein, ganz in der Nähe von Bonn.

Geboren wurde Renger - ohne jeden Zweifel eines der prägenden Gesichter der "Bonner Republik" - am 7. Oktober 1919 in eine ursozialdemokratische Familie in Leipzig. Ihre Mutter Martha Wildung war eine der ersten SPD-Frauen überhaupt. Vater Fritz Wildung, ein Tischler, saß für die Sozialdemokraten im Stadtrat und war Mitbegründer der Arbeitersportbewegung. Und über einige Ecken war sie mit dem sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe verwandt.

Bald nach ihrer Geburt zog die Familie nach Berlin, wo Renger später eine Verlagslehre absolvierte und als Stenotypistin arbeitete. Früh kamen die ersten Schicksalsschläge: Im Zweiten Weltkrieg fielen ihr erster Mann und drei von vier Brüdern. Mit nicht einmal 25 Jahren war sie Witwe.

Gleich 1945 kam Renger mit Kurt Schumacher in Kontakt, dem ersten SPD-Vorsitzenden nach dem Krieg. Bald wurde sie die Privatsekretärin des kriegsversehrten und schwer kranken Politikers, seine engste Vertraute und schließlich seine Lebensgefährtin. Als Schumacher 1952 starb, ging Renger dann selbst in die Politik. Stets fühlte sie sich als Hüterin seiner Ideale. Dazu gehörte die deutsche Einheit ebenso wie die Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit Kommunisten.

Dem Bundestag gehörte sie von 1953 bis 1990 an, 37 Jahre lang. Nur zwei Abgeordnete waren länger Mitglied des Parlaments. Zu Zeiten der sozialliberalen Koalition erreichte sie dann ihr wichtigstes Amt: Von 1972 bis 1976 war sie als erste Frau Präsidentin des Bundestags. Als sie den Posten aufgeben musste, sagte sie: "Ich habe in dieser Zeit erreicht, was ich wollte: Es ist bewiesen, dass eine Frau das kann!"

Damals war Renger die populärste Politikerin des Landes. Als ihre Partei sie aber 1979 zur Bundespräsidentin machen wollte, hatte sie keine Chance. Renger unterlag dem CDU/CSU-Kandidaten Karl Carstens deutlich. Fast zehn Jahre saß sie dann noch im Parlament. Erst mit der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 zog sie sich zurück.

In den Monaten der Wiedervereinigung tat sie sich schwer mit der SPD, betonte gern die "alten Tugenden": "Dazu gehört Disziplin statt eines chaotischen Individualismus und Egoismus.". Und sie war wirklich eine "Grande Dame", die neben dem ihr eigenen Durchsetzungswillen stets auch Charme und Eleganz ausstrahlte. Nie wollte ihr jemand widersprechen, wenn sie sagte: "Ich bin ein Stück Sozialdemokratie."

Die letzten Jahre verbrachte Renger zusammen mit ihrer Enkelin Claudia Schick. Ihr zweiter Ehemann, ein jugoslawischer Diplomat, starb schon 1973, ihr einziger Sohn 1998. Trotzdem sei ihre Großmutter "immer gut drauf, optimistisch und nicht unterzukriegen" gewesen, erinnert sich die 39-jährige Enkelin. "Sie war stur, ehrlich und selbstständig. So wie man halt sein muss, wenn man in diesem Beruf etwas erreichen will."

Sebastian Döring, dpa

Quelle: ntv.de

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