Scholz reist nach Warschau Antrittsbesuch aus dem "Vierten Reich"
11.12.2021, 17:35 Uhr
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Bundeskanzler Olaf Scholz kennen sich bereits persönlich, so trafen sie sich etwa im Januar dieses Jahres als der Pole Berlin besuchte. Am Sonntag kommt Scholz nach Warschau.
(Foto: imago images/photothek)
Nachdem Außenministerin Baerbock Polen bereits besucht hat, kommt am Sonntag Bundeskanzler Scholz zum Antrittsbesuch nach Warschau. Doch trotz aller Freundlichkeiten dürften die Themen Reparationen und Europa für Spannungen sorgen.
Dass die deutsch-polnischen Beziehungen für die neue Bundesregierung eine besondere Bedeutung haben, steht sogar im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Doch heißt das nicht, dass sie auch besonders gut wären. Im Gegenteil, derzeit liegt einiges im Argen.
Das offenbarte beispielsweise eine Plakataktion in Warschau. Die Motive zeigen Ex-Kanzlerin Angela Merkel, Ex-Außenminister Heiko Maas, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Botschafter Arndt Freytag von Loringhoven, dessen Akkreditierung 2020 wegen seines Vaters, von regierungsnahen Medien in Polen historisch ungenau als "Hitlers Adjutant" bezeichnet, von der polnischen Regierung verzögert worden war, zusammen mit Hitler und dem NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Wenn nun nach Außenministerin Annalena Baerbock auch Kanzler Olaf Scholz am Sonntag in die polnische Hauptstadt kommt, gibt es viel zu besprechen.
Solche antideutschen Motive, mit denen Reparationszahlungen für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gefordert werden, sind nicht neu. Bereits in den vergangenen Jahren waren ähnliche Werke in der polnischen Hauptstadt zu finden. Neu ist jedoch der Hintergrund dieser vom nationalkonservativen Künstler Wojciech Korkuc konzipierten Poster. Als einer der Förderer ist das polnische Kulturministerium abgebildet. Wenn man dann noch bedenkt, dass auf den Plakaten auch regierungsnahe Medien, deren Haupteinnahmequelle Werbepartnerschaften mit staatlichen Unternehmen sind, und ein vom polnischen Staat gefördertes Institut zu finden sind, kann man davon ausgehen, dass die Aktion zum größten Teil aus Steuermitteln finanziert wurde.
Nicht von Harmonie täuschen lassen
Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für vertrauensvolle deutsch-polnische Beziehungen. Doch der Antrittsbesuch Baerbocks am Freitag hat gezeigt, dass man in Warschau zumindest momentan den Ampel-Koalitionären freundlich gegenübertritt. Staatspräsident Andrzej Duda, der noch im September bei Merkels Abschiedsbesuch in Warschau keine Zeit für die damals scheidende Bundeskanzlerin fand, empfing die neue deutsche Außenministerin in seinem Amtssitz.
Polens Außenminister Zbigniew Rau bedankte sich wiederum bei Baerbock herzlichst für ihren Besuch, die damit eine "gute Tradition" ihrer Vorgänger fortsetzt, nach Paris und Brüssel auch die polnische Hauptstadt unmittelbar nach dem Amtsantritt zu besuchen. "Symbole sind ein wichtiger Bestandteil der Politik. Und ich verstehe ihren Besuch als Ausdruck ihrer Absicht, unserer Partnerschaft eine besondere Priorität zu geben, die auf gegenseitigem Respekt sowie auf Nachbarschaft und gutem Willen beruht", sagte Polens oberster Diplomat.
Ebenso freundlich wie der Antrittsbesuch von Baerbock, bei dem auch kritische Themen wie Nord Stream 2 und Rechtsstaatlichkeit besprochen wurden, dürfte auch der von Bundeskanzler Scholz ablaufen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man sich von der Harmonie täuschen lassen sollte. Denn zukünftig dürften vor allem zwei Themen für Diskussionen zwischen Berlin und Warschau sorgen.
Da wären einerseits die bereits erwähnten Reparationsforderungen. Die Regierungspartei PiS hat vernommen, dass die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die deutsche historische Verantwortung gegenüber Polen betont. Der PiS-Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk, der den Parlamentarischen Ausschuss für Reparationsforderungen leitet, hat daher bereits vor dem Besuch Baerbocks in einem Interview mit dem PiS-nahen Portal wPolityce erklärt, dass in Berlin nun "eine neue Truppe regiert, die bei diesem Thema sensibler ist als die CDU".
Von Reparationen keine Rede
Auch Paweł Jabłoński, Parlamentarischer Staatssekretär im Außenministerium, meint nach der Visite aus Deutschland erkannt zu haben, dass mit der neuen Bundesregierung ein diesbezüglicher Dialog möglich sei. Und es bleibt auch festzustellen, dass die nationalkonservative Regierung bei diesem Thema, trotz eines nun entstehenden Instituts für Kriegsschäden, nicht auf Eskalation setzt. Außenminister Rau sprach bei seiner Pressekonferenz mit Baerbock bewusst von der Rückgabe während des Krieges geraubter Kulturgüter und nicht von der Zahlung horrender Summen für Kriegsschäden.
Zu heftigen Spannungen dürfte jedoch die Europapolitik der neuen Bundesregierung führen. Vor allem die im Koalitionsvertrag niedergeschriebene Vision von der EU als einem "föderalen Bundesstaat", löste in Warschau ein wahres Erdbeben aus. "Die Deutschen haben ihre Karten offengelegt. Sie wollen das Vierte Reich errichten", erklärte vergangene Woche der allmächtige PiS-Chef Jarosław Kaczyński während einer Fraktionssitzung. Szymon Szynkowski vel Sęk, Staatssekretär im Außenministerium, kündigte wiederum an, dass man Scholz bei seinem Antrittsbesuch um eine Erklärung bitten werde, was man sich unter diesem Bundesstaat vorstellen soll.
Es ist eine heftige verbale Reaktion, die nicht nur auf die antideutschen Ängste der PiS und ihre Pläne zurückzuführen ist, ein Bündnis nationalkonservativer und rechter Parteien auf europäischer Ebene auf die Beine zu stellen. Sie offenbart auch die in Polen weitverbreitete Sorge vor dem Verlust der eigenen Souveränität. Denn so sehr die Polen auch EU-begeistert sind, die historischen Erfahrung, als Land für über ein Jahrhundert von der Landkarte verschwunden zu sein, ist in der Bevölkerung tief verwurzelt. Dies muss die neue Bundesregierung, so edel ihre Zukunftsvorstellungen von Europa auch sein mögen, auch bedenken.
Quelle: ntv.de