Politik

Syrien, Tunesien, Ägypten, Jemen Arabischer Frühling kommt wieder

Ein sehr deutliches Plakat auf dem Tahrir-Platz in Kairo: die ehemaligen und amtierenden Despoten Mubarak, sein Sohn Gamal, Saleh, Gaddafi und Assad (r-l) hängen am Galgen.

Ein sehr deutliches Plakat auf dem Tahrir-Platz in Kairo: die ehemaligen und amtierenden Despoten Mubarak, sein Sohn Gamal, Saleh, Gaddafi und Assad (r-l) hängen am Galgen.

(Foto: REUTERS)

Die arabische Welt kommt nicht zur Ruhe. Bei erneuten Protesten werden in mehreren syrischen Städten mindestens 27 Menschen getötet. Es sind die größten Demonstrationen seit Beginn der Aufstände. Derweil gehen in Jordanien, Tunesien, Ägypten und im Jemen Tausende Menschen auf die Straßen. Sie fordern Reformen oder ihre versprochene Umsetzung.

In Syrien sind bei erneuten landesweiten Protesten gegen Präsident Baschar al Assad nach Angaben von Menschenrechtlern mindestens 27 Demonstranten getötet und mehr als 120 verletzt worden. Allein in der Hauptstadt Damaskus seien neun Demonstranten getötet worden, sagte Abdel Karim Rihawi von der syrischen Menschenrechtsliga. Landesweit gingen nach Angaben eines anderen Aktivisten weit mehr als eine Million Menschen auf die Straße. "Das sind die bislang größten Demonstrationen. Sie bereiten dem Staat große Probleme, vor allem in Damaskus, wo zum ersten Mal so viele Menschen demonstriert haben", sagte der prominente Bürgerrechtler Rami Abdelrahman.

Zusammenstöße wurden derweil auch aus dem Nachbarland Jordanien, aus Tunesien und dem Jemen gemeldet. In Ägypten dauern die Proteste ebenfalls an.

Protest gegen Assad in Hama.

Protest gegen Assad in Hama.

(Foto: AP)

Sechs Menschen seien im Hauptstadtviertel Kabun ums Leben gekommen, als die Sicherheitskräfte das Feuer auf eine Demonstration von rund 20.000 Menschen eröffneten, sagte Rihaui. Drei weitere wurden demnach in dem Stadtteil Rukn Eddin getötet. Augenzeugen zufolge versammelten sich an der Moschee Al Hassan im Viertel Midan rund 7000 Menschen. "Die feuern Tränengas auf uns ab, die Leute schreien", berichtete ein Anrufer aus dem Zentrum von Damaskus. Die amtliche Nachrichtenagentur Sana teilte dagegen mit, "bewaffnete Männer" hätten auf Polizei und Zivilbevölkerung geschossen. Die Regierung macht seit Beginn der Proteste nicht näher benannte "bewaffnete Gruppen" für die Gewalt verantwortlich.

"Eine Botschaft an die Regierung"

Nach Angaben Rihawis wurden in der Provinz Idleb im Nordwesten des Landes bei der Auflösung einer Demonstration drei Menschen erschossen. Auch in der südsyrischen Stadt Daraa, wo die Proteste vor genau vier Monaten ihren Ausgang nahmen, hätten die Sicherheitskräfte zwei Demonstranten getötet. Andere Aktivisten sagten, in Duma, einer Vorstadt von Damaskus, seien drei Menschen erschossen und 40 weitere verletzt worden, als die Sicherheitskräfte das Feuer auf eine Demonstration von 35.000 Menschen eröffneten.

Allein in der Ölstadt Deir Essor im Nordosten des Landes und in der Protesthochburg Hama seien mehr als eine Million Menschen auf die Straße gegangen, um den Sturz der Regierung und die Freilassung aller politischen Gefangenen zu fordern, sagte Rami Abdel Rahman von der in London ansässigen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. "Es ist eine bedeutende Entwicklung und eine Botschaft an die Regierung, dass die Proteste immer größer werden."

Alawitische Milizen gebildet

Nach Angaben von Augenzeugen kam es auch in Homs, Aleppo und Rakka sowie einer Reihe kleinerer Städte zu Protesten. In Homs und der Stadt Kiswe seien jeweils 15 Menschen durch Schüsse der Sicherheitskräfte verletzt worden, sagten Oppositionsaktivisten. Neben Polizei und Armee setzt Assad neuerdings auch eine von Alawiten gebildete Miliz ein. Assad und die syrische Oberschicht gehören dieser Glaubensrichtung an, während die Mehrheit der 20 Millionen Syrer Sunniten sind.

In Amman fordern die Demonstranten die Absetzung der Regierung.

In Amman fordern die Demonstranten die Absetzung der Regierung.

(Foto: REUTERS)

Wie jeden Freitag seit Beginn der Proteste Mitte März hatten Oppositionsaktivisten auf der Facebook-Seite "Syrian Revolution 2011" zu Demonstrationen nach dem Mittagsgebet aufgerufen. Nach Angaben Rahmans wurden 1419 Zivilisten und 352 Sicherheitskräfte getötet.

Deutschland forderte derweil von Syrien im UN-Sicherheitsrat klare Aussagen über dessen angebliches Atomprogramm. "Es ist an der syrischen Regierung, den eingegangenen internationalen Verpflichtungen zu entsprechen und der IAEA vollen Zugang zu gewähren", sagte Berlins UN-Botschafter Peter Wittig nach einer Sondersitzung in New York. Bei der Tagung hatten Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA das Gremium informiert.

Proteste in Jordanien, Jemen, Tunesien

In der jordanischen Hauptstadt Amman ging die Polizei mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor, die für Reformen protestierten. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt. Die Opposition fordert die Ablösung der Regierung, ist aber König Abdullah ergeben, der die Ministerrunde ernennt.

In Bahrain, wo im Frühjahr auch saudiarabische Truppen eine Erhebung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit unterdrückt hatten, demonstrierten Zehntausende für demokratische Reformen. Ihr Anführer erklärte, die schiitische Wefak-Partei werde am Sonntag über einen Ausstieg aus dem von den sunnitischen Herrschern angestoßenen politischen Dialog entscheiden. Die Opposition fühlt sich benachteiligt, weil sie zu den Gesprächen nur 35 von 300 Vertretern entsenden konnte.

Im Jemen gingen Zehntausende Demonstranten auf die Straße und forderten den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh. In der südjemenitischen Stadt Tais starben nach Berichten von Augenzeugen sieben Menschen, 30 seien verletzt worden. Regierungstruppen seien mit Panzern gegen die Menschenmenge vorgegangen. Der Präsident war Anfang Juni bei einem Anschlag auf eine Moschee neben seiner Residenz schwer verletzt und danach in Saudi-Arabien operiert worden. An diesem Sonntag will er nach Medienberichten zurückkehren.

Freitagsgebet auf dem Tahrir-Platz.

Freitagsgebet auf dem Tahrir-Platz.

(Foto: AP)

Die tunesische Polizei ging in der Hauptstadt Tunis mit Tränengas gegen Proteste vor dem Regierungssitz vor, berichteten Augenzeugen. Seit dem Morgen hatten sich hunderte Demonstranten vor dem Regierungssitz versammelt. Diese forderten den Rücktritt des Innen- und des Justizministers sowie die Bestrafung der Verantwortlichen der Gewalt während des Volksaufstands Anfang des Jahres. Die Polizei setzte Tränengas ein, als nach dem Freitagsgebet hunderte weitere Menschen zum Platz zogen, wie die Augenzeugen sagten. Die Opposition ist unzufrieden über die langsame Umsetzung der von ihnen verlangten Reformen nach dem Sturz von Staatschef Zine Al Abidine Ben Ali im Januar.

Kairoer Tahrir-Platz wieder besetzt

In Ägypten forderten Demonstranten in Kairo, Alexandria, Suez und anderen Städten öffentliche Verfahren gegen den früheren Präsidenten Husni Mubarak und seine Unterstützer sowie eine rasche Umsetzung der versprochenen Reformen durch den Militärrat. Mitglieder der früheren Regierungspartei müssten aus öffentlichen Ämtern entfernt werden. In der Hauptstadt Kairo versammelten sich tausende Menschen auf dem Tahrir-Platz, der seit einer Woche von Demonstranten besetzt ist.

Während des Mittagsgebets rief der Imam dazu auf, die Polizisten rasch vor Gericht zu stellen, die während der Proteste Anfang des Jahres für den Tod von Demonstranten verantwortlich waren. Ein Sprecher des Militärrats, der sich lange nicht zu den Forderungen der Demonstranten geäußert hatte, erklärte am Mittwoch im Fernsehen, der Rat unterstütze die Revolution und ihre Ideale. Innenminister Mansur Issawi gab zudem die Entlassung von mehr als 650 hochrangigen Polizisten, darunter zahlreiche Generäle, bekannt. Demnach handelte es sich um die "größte Umbildung in der Geschichte der Polizei".

Mubarak und zwei seiner Söhne sollen Anfang August vor Gericht gestellt werden. Der frühere Staatschef war nach Massenprotesten am 11. Februar von der Armeeführung entmachtet worden. Er lebt derzeit als Untersuchungshäftling in einem Krankenhaus in dem Sinai-Badeort Scharm el-Scheich.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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