Politik

Wurde der Palästinenchef vergiftet? Arafats Leichnam exhumiert

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Für die Palästinenser ist Jassir Arafat noch immer eine Ikone.

(Foto: REUTERS)

Wie kam der frühere PLO-Chef Jassir Arafat zu Tode? Um dieses Frage zu klären, werden nun seine sterblichen Überreste untersucht. Am Morgen haben Experten schon Prben entnommen. Viele Palästinenser und Arafats Witwe glauben: Der Palästinenserführer wurde vergiftet.

Acht Jahre nach dem Tod des früheren Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat sind in Ramallah im Westjordanland dessen sterbliche Überreste exhumiert worden. Zur Untersuchung, ob der Politiker womöglich vergiftet wurde, entnahm ein palästinensischer Arzt im Beisein von Experten aus Frankreich, Russland und der Schweiz Proben aus Arafats Grabstätte. Anders als geplant, verblieben seine Gebeine an Ort und Stelle. Das Grab wurde wieder verschlossen, eine zweite Beisetzungsfeier fand nicht statt.

Die Arbeiten in der Mukataa, dem Hauptsitz der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah, wo sich das Mausoleum Arafats befindet, begannen um 5.00 Uhr Ortszeit und waren binnen weniger Stunden abgeschlossen. Anwesend war auch der Mufti von Jerusalem, Mohammed Hussein. Die entnommenen Proben wurden in die Moschee der Mukataa gebracht.

Eigentlich war für den Nachmittag eine neue Beisetzung mit militärischen Ehren geplant. Nach Angaben von Taufik Tirawi, Chef der palästinensischen Kommission, die Arafats Tod untersucht, entschieden die anwesenden Experten jedoch gemeinsam, die Proben direkt aus der Grabstätte zu entnehmen. An der Exhumierung nahm auch ein französischer Untersuchungsrichter teil.

Im Sommer hatte Arafats Witwe Suha nach einem Fernsehbericht über Spuren des hochgiftigen Stoffs Polonium, die an persönlichen Gegenständen Arafats gefunden worden waren, in Frankreich Anzeige erstattet. Daraufhin wurden Mordermittlungen eingeleitet. Die Palästinenser verdächtigen Israel seit Jahren, ihren früheren Präsidenten vergiftet zu haben, was das Land jedoch zurückweist.

Arafat-Witwe erstattet Anzeige

Die Giftmordaffäre um den Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko ist bislang noch völlig ungeklärt. Einige Namen tauchen immer wieder auf.

Die Giftmordaffäre um den Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko ist bislang noch völlig ungeklärt.

Ausgelöst wurde die Aktion durch Untersuchungen in der Schweiz. Experten des "Institut de radiophysique" der Universitätsklinik in Lausanne fanden im Juli erhöhte Werte des radioaktiven Stoffes Polonium-210 an Arafats Unterhose. Mit derselben Substanz war der frühere KGB-Agent Alexander Litwinenko 2006 in London vergiftet worden.

Allerdings eilt es mit der Untersuchung, denn Polonium-210 zerfällt schnell. "Das macht nur bis Oktober oder November Sinn", sagte der Sprecher der Universitätsklinik, Darcy Christen. Später wären mögliche radioaktive Spuren im Knochengewebe Arafats nicht mehr nachweisbar.

Dass die Zeit nun so knapp wird, liegt vor allem an der Brisanz der Exhumierung. Arafat ist in der Erinnerung vieler Palästinenser inzwischen fast so etwas wie ein Volksheiliger und auch die mögliche Verletzung religiöser Gefühle verzögerte die Erlaubnis zur Graböffnung immer wieder. Die Strafanzeige der Arafat-Witwe Suha in Frankreich wegen Giftmordes machte die Entscheidung auch nicht einfacher, weil die Exhumierung nun auch noch mit den französischen Ermittlungsbehörden abgestimmt werden musste.

Polonium-210 eigentlich kaum zu übersehen

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Marie Curie

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Am schwersten aber wog wohl, dass viele Palästinenser die Aufregung ohnehin für überflüssig halten. Für sie steht fest, dass Erzfeind Israel ihren "Führer" vergiftet hat. Daran würde sich wohl auch nichts ändern, wenn die Experten aus der Schweiz und aus Russland gar kein Polonium-210 finden sollten.

Der französische Strahlenmediziner Roland Masse hält die Suche nach der radioaktiven Substanz aus anderen Gründen für vergeblich. Es sei "absolut unmöglich", dass Arafat mit Polonium-210 vergiftet wurde, sagte er kürzlich. Das hätte kein Arzt damals übersehen können, meint der Mitarbeiter des Krankenhauses bei Paris, in dem Arafat starb.

Der prominenteste Anhänger der Giftmordtheorie ist Arafats Neffe Nasser Kudwa. Kudwa, Mitglied der Fatah-Führung und Leiter des Arafat-Instituts in Ramallah, ist überzeugt, dass es auch ohne die neue Untersuchung schon erdrückende Beweise für die Vergiftung seines Onkels durch Israel gebe. Deshalb müsse niemand Arafats Grab antasten. Viel wichtiger findet er, Israel für Arafats Ableben zur Rechenschaft zu ziehen. Die Israelis haben jedoch stets dementiert, irgendetwas mit dem Tod ihres langjährigen Gegners zu tun zu haben.

Von Marie Curie entdeckt

Gründe, den alternden Patriarchen und Palästinenserpräsidenten ins Jenseits zu befördern, könnten indes auch andere gehabt haben. Die Intrigen innerhalb der Palästinenser lassen viel Raum für Verschwörungstheorien. Mit seinem autoritären Führungsstil aus der Guerilla-Zeit hat sich Arafat, der auch mal einen Minister ohrfeigte und einen Sicherheitschef mit vorgehaltener Pistole entließ, wohl nicht nur Freunde gemacht. Zudem wucherte unter seiner Führung die Korruption und Hilfsmillionen wurden nicht nur in Aufbauprojekte, sondern auch auf Konten in fernen Steuerparadiesen gelenkt.

Das stark radioaktive Element Polonium ist für den Menschen schon in kleinen Dosen tödlich. Der Stoff wird dann gefährlich, wenn er über Mund, Nase oder offene Wunden in den Körper gelangt, wo er irreparable Schäden an Nieren, Leber und Milz anrichtet.

1898 hatte die Wissenschaftlerin Marie Curie das neue Element entdeckt und benannte es nach ihrem Heimatland Polen. Polonium gehört zu den seltensten Elementen überhaupt: In zehn Gramm Uran ist maximal ein Milliardstel Gramm Polonium eingebunden. Zur Gewinnung von Polonium ist ein Atomreaktor notwendig, weltweit werden Schätzungen zufolge pro Jahr weniger als 100 Gramm hergestellt. Wegen seiner Alphastrahlung wird Polonium häufig in der Forschung und Medizin eingesetzt.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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