"Einmal arm, immer arm" Armut wird zur Falle
11.10.2011, 19:29 Uhr
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"Die soziale Mobilität in Deutschland nimmt ab", heißt es bei der Vorstellung des Sozialberichts 2011. Das heißt, wer arm ist, hat es immer schwerer, dem zu entfliehen. Dabei hängt Armut vom Bildungsniveau aber auch vom Elternhaus ab. Acht Prozent der Deutschen sind auf Sozialleistungen angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Ein Ausstieg aus der Armut wird in Deutschland immer schwerer. Zugleich gelingt es immer mehr Wohlhabenden, ihre einmal erreichten Spitzeneinkommen auch dauerhaft zu sichern. Dies belegt der "Datenreport 2011 - Sozialbericht für Deutschland", der vom Statistischen Bundesamt gemeinsam mit namhaften Sozialforschern herausgegeben wird.
"Der Satz: 'Einmal arm, immer arm' gilt. Die soziale Mobilität in Deutschland nimmt ab", sagte die Soziologin Jutta Allmendinger bei der Präsentation des Berichtes in Berlin. Mit ihrem umfangreichen Zahlenwerk aus amtlichen Daten und jüngstem Mikrozensus ("kleine Volkszählung") zeigen die Autoren einen engen Zusammenhang zwischen Bildung, Erwerbsarbeit und Einkommen sowie Gesundheit und Lebenserwartung auf: Wer gut gebildet und vermögend ist, klagt auch viel seltener über Krankheiten und lebt im Schnitt bis zu zehn Jahre länger.
Alleinerziehende häufig von Armut betroffen
15,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland galten laut Bericht 2009/2008 als "armutsgefährdet". Im Jahr zuvor waren es noch 15,2 Prozent. Als "armutsgefährdet" wird bezeichnet, wer einschließlich Sozialleistungen und Mietbeihilfen weniger als 929 Euro im Monat zur Verfügung hat. Dabei gilt: Mit steigendem Bildungsniveau sinkt das Risiko, in Armut abzugleiten. Von denjenigen in Deutschland, die über keinen oder lediglich über den Hauptschulabschluss verfügen, sind dem Bericht zufolge 23,2 Prozent "armutsgefährdet". Besonders häufig betroffen sind Alleinerziehende (37,5 Prozent).
Fast jeder dritte Armutsgefährdete (30 Prozent) war eigenen Angaben zufolge nicht in der Lage, zumindest jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit zu bekommen. 16 Prozent klagten darüber, ihre Wohnung nicht angemessen warm halten zu können, berichtete der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler.
Flucht aus der Armut immer schwerer
Zugleich gelingt es immer weniger Menschen, der Armut wieder zu entrinnen. Während in den 80er Jahren 57 Prozent der Betroffenen auch dauerhaft im untersten Einkommensbereich der Gesellschaft verharrten, sind es heute 65 Prozent. "Das heißt, weniger Menschen gelingt es, ihre Einkommenssituation wieder zu verbessern", erläuterte der Sozialforscher Roland Habich vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).

Fast zwei Drittel der Betroffenen gelingt es nicht, aus der untersten Einkommensklasse aufzusteigen.
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Dagegen sind für Reiche im gleichen Zeitraum die Chancen gestiegen, ihre Spitzeneinkommen und den einmal erreichten Wohlstand auch dauerhaft zu sichern - und zwar von 38 Prozent in den 80er Jahren auf heute 51 Prozent.
Nach Angaben des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, belegt der Report zudem die Abhängigkeit junger Menschen von Ausbildungsstand ihrer Eltern. 2009 kamen demnach nur zehn Prozent der Gymnasiasten aus Familien, in denen die Eltern einen Hauptschulabschluss oder gar keinen Schulabschluss gemacht hatten. Dagegen besuchten 60 Prozent der Kinder das Gymnasium, deren Eltern selbst über das Abitur verfügten. Diese "enge Verzahnung" zwischen den Bildungsbiografien von Eltern und ihren Kindern müsse sich verändern, forderte Krüger.
Mehr Frauen verdienen Lebensunterhalt selbst
Während die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ab 15 Jahren (50 Prozent) 2010 ihren Lebensunterhalt überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit finanzierte, waren 8 Prozent auf Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Hartz IV oder Bafög angewiesen. Laut dem Mikrozensus, der für Statistiker wie Sozialwissenschaftler als "kleine Volkszählung" gilt, lebten 27 Prozent primär von Renten, Pensionen oder eigenem Vermögen. 15 Prozent wurden hauptsächlich von Angehörigen unterstützt.
Dabei finanzieren immer mehr Frauen heute ihren Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit selbst. 2010 waren dies im Westen 42 Prozent, im Osten 45 Prozent. Zehn Jahre zuvor lagen diese Quoten noch bei 38 Prozent (West) und 41 Prozent (Ost). 2009 waren bereits über die Hälfte (51 Prozent) der erfolgreichen Hochschulabsolventen Frauen.
Positive Einstellung zur Familie nimmt zu
Die Zahl der Ehepaare ist im vergangenen Jahrzehnt gesunken, die der Alleinstehenden und Lebensgemeinschaften ohne Trauschein hingegen gestiegen: 2010 lebten in Deutschland 18,2 Millionen Ehepaare - 1,3 Millionen oder sieben Prozent weniger als im Jahr 2000, wie ebenfalls aus dem Sozialbericht hervorgeht. Laut der vom Statistischen Bundesamt vorgestellten Studie stieg im selben Zeitraum die Zahl der Lebensgemeinschaften unverheirateter Partner um 24 Prozent auf 2,6 Millionen und die Zahl der kinderlosen Alleinstehenden um 18 Prozent auf 17,4 Millionen.
Roland Habrich vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung warnte angesichts des Rückgangs bei Eheschließungen und Geburten sowie der hohen Scheidungszahlen davor, auf einen generellen Bedeutungsverlust der Familie in der Bevölkerung zu schließen. Vielmehr sei für 70 bis 80 Prozent der Menschen die Familie wichtig für ihr Glück: "Seit 1988 hat diese positive Einstellung zur Familie sogar zugenommen." Allerdings sei ein längeres Zusammenleben für Jüngere weniger ein Heiratsgrund als für Ältere.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP