"Wir sind kampfbereit" Ärzte stimmen für Streik
13.09.2012, 11:34 Uhr
Es soll nun bundesweite Protesttage geben.
(Foto: dpa)
Zwar nimmt nur etwa die Hälfte der niedergelassenen Ärzte an der Urabstimmung teil, doch deren Votum ist eindeutig: Aus Protest gegen die Krankenkassen wollen sie ihre Praxen schließen. Die Ärzte fordern deutlich höhere Honorare. Nur eine Einigung bei den Verhandlungen am Wochenende kann den Ausstand noch abwenden.
Patienten müssen sich bundesweit auf lange Wartezeiten beim Arzt oder verschlossene Praxistüren einstellen. In einer Urabstimmung sprach sich eine Mehrheit von 75 Prozent der befragten 100.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten für Praxisschließungen aus, wie die Organisatoren in Berlin mitteilten. Noch höher fiel mit 96 Prozent die Bereitschaft zu Protestmaßnahmen insgesamt aus. Allerdings gaben nur etwa 50.000 Mediziner ihre Stimme ab. Die Ärzte wollen sich damit gegen die aus ihrer Sicht zu magere Honorarsteigerung zur Wehr setzen.
Kommt es bei einer neuen Verhandlungsrunde mit den Krankenkassen am Samstag zu keiner Einigung, sollen die Aktionen noch im September beginnen. "Wir sind kampfbereit", sagte der Sprecher der Allianz Deutscher Ärzteverbände, Dirk Heinrich. Gleichzeitig zeige sich die Ärzteschaft im Vorfeld der Gespräche kompromissbereit. Krankenkassen, Sozialverbände und der Patientenbeauftragte Wolfgang Zöller mahnten die Ärzte, den Konflikt nicht auf dem Rücken der Patienten auszutragen.
Es war das erste Mal, dass die mehr als 30 Berufsverbände zu einer solchen Urabstimmung aufgerufen hatten. An der Aktion beteiligte sich den Angaben zufolge knapp die Hälfte aller dort organisierten Mediziner (49 Prozent). Gemessen am Rücklauf bei früheren Befragungen sei die Beteiligung sensationell, sagte Heinrich. Die von den Kassen durchgedrückte Anhebung der Honorare um 0,9 Prozent werteten die Ärzte als "Kampfansage".
Bei Hals-Nasen-Ohren-Ärzten, Chirurgen, Urologen und Hautärzten ist die Streikbereitschaft demnach am größten, bei Kinderärzten und Augenärzten mit weniger als der Hälfte am Geringsten. Der Deutsche Hausärzteverband beteiligte sich nicht, denn viele Hausärzte sind von dem Honorarstreit wegen Sonderverträgen mit einzelnen Krankenkassen nicht betroffen.
KBV ist kompromissbereit
Vor zwei Wochen waren die Ärztevertreter im Schlichtungsgremium mit ihrer Forderung nach einem Plus von 3,5 Milliarden Euro für das Jahr 2013 gescheitert. Stattdessen verständigten sich die Kassenvertreter gemeinsam mit den unparteiischen Mitgliedern auf ein Plus von 270 Millionen Euro - was pro Arzt rund 1800 Euro ausmacht. Die Ärzte begründen ihre weitaus höhere Forderung damit, dass es seit 2008 keinen Ausgleich für gestiegene Preise und die Inflation gegeben habe.
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, sagte, die Mediziner seien bereit, bei den anstehenden Gesprächen Kompromisslösungen zu akzeptieren. Es gehe um ein akzeptables Ergebnis. Die ursprünglichen Anträge spielten keine Rolle. Die Kassen müssten aber ihrer Verantwortung gerecht werden. Ihre Aufgabe sei es nicht wie "eine Art Sparkasse" Finanzmittel zu horten. Komme es nicht zu einer Lösung, seien Praxisschließungen und andere Maßnahmen unvermeidlich. Der Notdienst - etwa für Akutfälle und Schmerzpatienten - werde aber sichergestellt, kündigten die Ärztevertreter an.
Laut Heinrich geht es um Praxisschließungen in verschiedener Form. Denkbar sei auch, dass in den Praxen bestimmte Funktionen nicht mehr zur Verfügung stünden oder keine Termine mehr vergeben würden. Ein Unterschied zwischen gesetzlich und privat Versicherten solle nicht gemacht werden. Über das genaue Vorgehen wollen die Verbandschefs im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen am Montag beraten. Ohne substanzielle Erhöhungen der Einnahmen seien ab dem Tag massive Proteste sicher, drohte Heinrich. "Dafür haben wir jetzt nicht nur den Rückhalt, sondern auch das Mandat."
Wie lange die Proteste dauern könnten, sagte Heinrich dagegen nicht. Anders als bei Tarifverhandlungen gibt es bei den freiberuflichen Ärzten keinen festen Streikfahrplan. Der Erweiterte Bewertungsausschuss kann auch gegen die KBV Beschlüsse fassen. Heinrich sagte, neue Entscheidungen seien jederzeit möglich.
Patientenbeauftragte ist "maßlos enttäuscht"
Bei den Verhandlungen soll es allerdings nicht erneut um den für den Preis der ärztlichen Leistung wichtigen Orientierungswert gehen. Im Mittelpunkt stehen andere Parameter, die sich ebenfalls auf die Höhe der Vergütung auswirken. So geht es etwa um eine Verständigung darüber, welche Menge an Leistungen künftig bezahlt werden soll.
Der GKV-Spitzenverband verwies darauf, dass umgerechnet nur jeder vierte der 150.000 Ärzte und Psychotherapeuten für einen Streik gestimmt habe. GKV-Verbandssprecher Florian Lanz kritisierte zugleich, die Debatte über die Höhe des Honoraranstiegs dürfe nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Mit einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen nach Abzug der Praxiskosten von mehr als 160.000 Euro gehörten Ärzte zu den wirklich gut Verdienenden. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, sagte der "Passauer Neuen Presse", er sei von den Ärzten "maßlos enttäuscht".
Nach Ansicht des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte beschädigen die Proteste das Ansehen der Mediziner. "Dass ein Berufsstand, der insgesamt gut verdient, sich so aufführt, ist schädlich für die gesamte Ärzteschaft", sagte der Vorsitzende Wulf Dietrich.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnte, Kranke und ältere Menschen dürften nicht durch Versorgungsengpässe verunsichert werden. Die Patientenorganisation Deutsche Hospiz merkte an, ohne Verordnung eines Arztes gebe es weder ein Pflegebett noch ein hochwirksames Schmerzmittel. Schwerkranke und Sterbende dürften nicht im Stich gelassen werden.
Quelle: ntv.de, rts/dpa