Taliban-Rolle unklar Auch zweite Geisel krank
24.07.2007, 07:55 UhrDie Bundesregierung bemüht sich weiterhin intensiv um die Freilassung der in Afghanistan entführten deutschen Geisel und steht in engem Kontakt zur Regierung in Kabul. Nach unbestätigten Angaben der radikal-islamischen Taliban soll auch dieser Mann sehr krank sein.
Konkrete Angaben zum Stand der Verhandlungen macht das Auswärtigen Amtes in Berlin nicht. Auch ARD-Informationen, wonach Bundeswehr-Tornados zur Lokalisierung der Geisel-Gruppe um den deutschen Bauingenieur geholfen haben, wollten weder das Außen- noch das Verteidigungsministerium bestätigen. Am Mittag will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem UN-Sonderbeauftragten Tom Koenigs nach Gesprächen mit verschiedenen Ministerien zur aktuellen Lage äußern.
Der Leichnam des in Geiselhaft gestorbenen Bauingenieurs Rüdiger D. soll nun am Mittwoch aus Afghanistan nach Deutschland übergeführt werden. Der Obduktionstermin ist für Donnerstag angesetzt. Die Untersuchung soll Aufschluss über die genauen Umstände des Todes geben. Ob der Mann durch Schüsse starb oder bereits tot war, als auf ihn geschossen wurde, ist unklar. Rüdiger D. litt an Diabetes.
D. hinterlässt eine Frau und einen Sohn in Wismar. Der Baufachmann war vor zehn Jahren aus Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) zunächst in die ehemalige Kreisstadt Teterow in Mecklenburg-Vorpommern gekommen, wie Bürgermeister Reinhardt Dettmann sagte. Dort habe er unter anderem erfolgreich die Rekonstruktion von repräsentativen Objekten wie etwa der Schlösser Teschow und Schorssow geleitet. Vor zwei Jahren sei er nach der Pleite seiner Firma mit seiner Frau und seinem inzwischen wohl 13-jährigen Sohn nach Wismar umgezogen und dann alleine nach Afghanistan gegangen, um dort zu arbeiten.
Ob D. und der zweite entführte Deutsche, bei dem es sich nach unbestätigten Presseberichten um den Bauingenieur Rudolf B. aus Ottobrunn bei München handeln soll, für die Firma Kabul-Berlin-Corporation gearbeitet haben, war unklar. Das Kabuler Büro der Firma erklärte, die beiden Männer hätten nicht für sie gearbeitet. Die beiden deutschen Bauingenieure waren am Mittwoch zusammen mit fünf afghanischen Kollegen entführt worden.
Unklare Rolle der Taliban
Am Montag hatte Taliban-Sprecher Kari Mohammed Jussuf der Nachrichtenagentur Reuters telefonisch mitgeteilt, die zweite deutsche Geisel sei noch am Leben. Nach früheren Berichten soll es dem Mann aber gesundheitlich schlecht gehen. Auch er habe Diabetes und sei ohne medizinische Versorgung.
Es gibt allerdings erhebliche Zweifel daran, dass sich die Geiseln jemals in der Hand der radikal-islamischen Taliban befanden. Experten vermuten, dass die Entführung auf einen Stammeskonflikt mit kriminellem Hintergrund zurückgeht und die Rebellen die Geiselnahme für ihre Zwecke instrumentalisieren. Der EU-Gesandte für Afghanistan, Francesc Vendrell, betonte, die Behörden seien nicht überzeugt, dass die Vermissten tatsächlich in den Händen der Islamisten seien. Die Polizei hatte angedeutet, dass die fünf von einer kriminellen Gruppe festgehalten werden könnten.
Die Taliban stellten eine neue Forderung für die Freilassung des angeblich von ihnen entführten deutschen Ingenieurs. Da die Bundesregierung einen zunächst geforderten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ablehne, wollen sie nun die Freilassung von zehn Taliban-Kämpfern aus afghanischer Haft erreichen. Das Auswärtige Amt wollte sich zu der neuen Forderung der Taliban zunächst nicht äußern.
Bemühungen um Koreaner
Auch die Bemühungen der afghanischen und südkoreanischen Regierung um eine Freilassung der 23 tatsächlich von den Taliban entführten Südkoreaner laufen auf Hochtouren. Die Regierung halte über verschiedene Kanäle "indirekten oder direkten" Kontakt zu den Geiselnehmern, sagte ein Regierungsbeamter in Seoul. Die Taliban verlängerten ihr Ultimatum abermals um 24 Stunden. Die südkoreanische Regierung erklärte jedoch, weder sie noch die Regierung in Kabul sei über eine Verlängerung informiert worden.
Beratung über Bundeswehr-Engagement
Merkel will mit Koenigs über das weitere militärische Engagement und den zivilen Wiederaufbau am Hindukusch beraten. Die Kanzlerin schließt die Entsendung zusätzlicher deutscher Soldaten nach Afghanistan nicht aus. Sie betont aber, dass es wichtig sei, die militärischen Aktivitäten mit dem zivilen Wiederaufbau zu verzahnen. Derzeit sind rund 3000 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert, hinzu kommen bis zu 500 für den Tornado-Einsatz. Deutschland stellt zudem nach Angaben des Entwicklungsministeriums jährlich 100 Millionen Euro Hilfsgelder zur Verfügung. Der Bundestag stimmt im Herbst über drei Mandate ab: die Beteiligung an der ISAF-Truppe, den Einsatz von Tornados sowie die Teilnahme am US-geführten Anti-Terrorkampf (OEF).
Das Verteidigungsministerium äußerte sich zurückhaltend zu einer stärkeren Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-geführten ISAF-Schutztruppe. "Wir sollten erstmal versuchen, zu optimieren in den Aufgaben, die wir mit dem bisherigen Personal erfüllen können, dann wird man über Weiteres beraten können", sagte Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU) in der ARD. ISAF-Kommandeur US-General Dan McNeill hatte gesagt, er wünsche sich ungefähr 500 bis 1000 Soldaten mehr für die ISAF auch aus Deutschland. Dagegen fordert SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch. Arnold sprach sich dafür aus, dass deutsche Soldaten von ihnen ausgebildete Einheiten der afghanischen Armee auch in den Süden des Landes begleiten dürfen. "Ich bin dafür, das generelle Verbot aufzuheben", sagte er der "Frankfurter Rundschau".
Quelle: ntv.de