Palästinenser lassen Geiseln frei Aufruf zur Ruhe
15.03.2006, 07:28 UhrMilitante Palästinenser haben einen Tag nach dem israelischen Angriff auf ein Gefängnis in Jericho alle aus Protest als Geiseln genommenen Ausländer freigelassen. Die letzten vier von elf Verschleppten seien am Mittwoch im Gazastreifen auf freien Fuß gekommen, teilte die palästinensische Polizei mit. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kehrte nach Abbruch seiner Europareise ins Westjordanland zurück und kritisierte den israelischen Militäreinsatz scharf. Der UN-Sicherheitsrat in New York ermahnte beide Seiten zur Ruhe.
Israelische Soldaten hatten am Dienstag in Jericho den inhaftierten Palästinenserführer Ahmed Saadat und mehrere Gefolgsleute aus der Haftanstalt in ihre Gewalt gebracht. "Was passiert ist, war ein unverzeihliches Verbrechen und eine Demütigung für das palästinensische Volk und eine Verstoß gegen alle Abkommen", sagte Abbas bei einem Besuch in Jericho. Aus Protest blieben im Gazastreifen und im Westjordanland viele palästinensische Geschäfte geschlossen.
Israel versetze seine Polizei nach der Erstürmung des Gefängnisses in erhöhte Alarmbereitschaft. Die Behörden fürchteten Anschläge, berichtete der Rundfunk. Auf öffentlichen Plätzen sei die Präsenz der Polizei verstärkt worden. Saadat ist Generalsekretär der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Rache für die Erstürmung des Gefängnisses angekündigt hat. Israelische Behörden prüften am Mittwoch, ihn und seine Gefolgsleute wegen des Mordes an dem israelischen Tourismusminister Rechwam Seewi im Jahr 2001 anzuklagen.
Die deutsche Regierung rief nach dem israelischen Angriff zur Deeskalation auf. Eine weitere Zuspitzung müsse verhindert werden, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Es sei aber jetzt nicht "der Moment für Schuldzuweisungen". Beide Seiten müssten sich der Sicherheit für die in den Palästinenser-Gebieten lebenden Ausländer bewusst sein. Außenminister Frank-Walter Steinmeier unterrichtete das Bundeskabinett über die Vorgänge in Jericho.
Der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy rief zu Zurückhaltung und Ruhe auf. "Die Lage in den palästinensischen Gebieten darf nicht aus den Fugen geraten", sagte Douste-Blazy in Paris. Es sei im Interesse der Israelis wie der Palästinenser, "dass in den palästinensischen Gebieten ein Klima des Friedens und der Stabilität wiederhergestellt wird."
Dagegen wurde die Erstürmung des Polizeigefängnisses durch israelische Kräfte im Europaparlament in Straßburg scharf kritisiert. Parlamentspräsident Josep Borrell sprach von "einer militärischen Operation, die nicht nötig gewesen wäre, die illegal ist und die sich zur Gewalttätigkeit bekennt". "Wir sollten uns fragen, wie eine solche Militäraktion dazu dienen kann, die Sicherheit Israels zu stärken", sagte Borrell.
Die arabischen Golfstaaten verurteilten den Einsatz scharf. In einer am Mittwoch in Riad veröffentlichten Erklärung des Golfkooperationsrates (GCC) wurde außerdem der Versuch Israels, "einseitig die endgültigen Grenzen" zwischen Israel und den Palästinensergebieten festzulegen, kritisiert. Die internationale Staatengemeinschaft müsse Druck auf Israel ausüben, damit der jüdische Staat seine derzeitige Politik aufgebe. Diese sei darauf ausgerichtet, "mit Waffengewalt Fakten zu schaffen".
Abbas gab am Mittwoch zu, dass die USA und Großbritannien die Palästinenser schon vor einer Woche von ihrer Absicht informiert hatten, ihre Beobachter aus dem Gefängnis in Jericho anzuziehen. Es sei jedoch kein Datum genannt worden und am Dienstag seien die palästinensischen Behörden von dem tatsächlichen Abzug überrascht worden. Am Vortag hatten die Palästinenser den USA und Großbritannien vorgeworfen, mit dem Abzug der israelischen Aktion Vorschub geleistet zu haben.
Die israelische Presse feierte den Einsatz der Armee als vollen Erfolg. "Wir haben sie", "Die Rechnung ist beglichen" und "Lektion für Hamas" lauten die Schlagzeilen.
Quelle: ntv.de