Nach palästinensischem Anschlag Ausschreitungen israelischer Siedler im Westjordanland
27.02.2023, 01:22 Uhr
Israels Armee will die Truppen im Westjordanland aufstocken.
(Foto: dpa)
Unterhändler von Israelis und Palästinensern vereinbaren beim ersten Treffen dieser Art seit Jahren vertrauensbildende Maßnahmen. Aus Israels Regierung kommen danach Äußerungen, die sich mit den Verhandlungsergebnissen nicht in Einklang bringen lassen. Derweil gerät die Lage im besetzten Westjordanland immer weiter außer Kontrolle.
Nach einem tödlichen Anschlag auf zwei Israelis im nördlichen Westjordanland ist es zu schweren Ausschreitungen israelischer Siedler gekommen. Ein Palästinenser wurde nach Angaben des Gesundheitsministeriums durch Schüsse tödlich verletzt. Es ist bislang unklar, ob diese von Siedlern oder Soldaten abgegeben worden waren. Mindestens 100 Palästinenser wurden nach Angaben von Sanitätern verletzt, als israelische Siedler in Huwara und Ortschaften in der Umgebung zahlreiche Häuser, Läden und Autos von Palästinensern in Brand setzten.
Sie übten damit Rache für den Anschlag auf zwei Brüder im Alter von 20 und 22 Jahren, die zuvor in der Huwara, das südlich von Nablus liegt, erschossen worden waren. Sie stammten aus der nahegelegenen israelischen Siedlung Har Bracha. Die Suche nach dem palästinensischen Tatverdächtigen dauert an. Angesichts der gefährlichen Eskalation der Lage teilte die Armee mit, sie werde ihre Truppen im Westjordanland um zwei weitere Bataillone verstärken.
Diplomatische Annäherung
Zuvor waren bei einem Treffen in der jordanischen Hafenstadt Akaba vertrauensbildende Maßnahmen Israels und der Palästinenser vereinbart worden. An den mutmaßlich ersten direkten Gesprächen dieser Art zwischen beiden Seiten seit Jahren nahmen auch Regierungsvertreter der USA, Jordaniens und Ägyptens teil. Ein weiteres Treffen wurde für kommenden Monat im ägyptischen Scharm el Scheich angesetzt.
Israelis und Palästinenser wollten "einseitige Maßnahmen" für drei bis sechs Monate aussetzen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung, die keine weiteren Details enthält. Israel verpflichtet sich demnach, vier Monate lang keine Diskussionen über den Bau neuer Siedlungen im Westjordanland zu führen und sechs Monate lang keine neuen Siedlungs-Außenposten zu genehmigen.
Dem folgten dann allerdings anderslautende Äußerungen aus der israelischen Regierung auf Twitter: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, Israel habe sich zu keinem Baustopp verpflichtet. Der Ausbau und die Legalisierung von Siedlungen im Westjordanland sollten wie geplant weitergehen. Auch Finanzminister Bezalel Smotrich, der unter anderem den Siedlungsbau kontrolliert, schrieb: "Der Ausbau und die Entwicklung des Siedlungsprojekts wird nicht für einen einzigen Tag eingefroren." Die israelische Armee werde außerdem ohne jede Einschränkung im gesamten Westjordanland gegen Terror vorgehen, betonte er. Wie es zum offensichtlichen Widerspruch zwischen den Erklärungen der Regierungspolitiker und der israelischen Verhandlungsdelegation in Akaba kommt, wurde offengelassen.
Netanjahu rief seine Landsleute am Sonntagabend dazu auf, "das Gesetz nicht selbst in die Hand zu nehmen". Die Vorsitzende der oppositionellen Arbeitspartei, Meirav Michaeli, sprach von einem "Pogrom" der Siedler gegen die Palästinenser. Das Treffen in Akaba kam rund drei Wochen vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan. In vergangenen Jahren hatten die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern in dieser Zeit häufig noch stark zugenommen.
Ein Abgeordneter der rechtsextremen Koalitionspartei Ozma Jehudit begrüßte die schweren Ausschreitungen israelischer Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland ausdrücklich. Solche Taten sorgten nach dem tödlichen Anschlag eines Palästinensers auf zwei junge israelische Siedler für die notwendige Abschreckung, sagte Knessetmitglied Zvika Fogel dem Rundfunksender Galei Israel. Zu seiner Partei gehört auch Polizeiminister Itamar Ben-Gvir.
Spannungen nehmen nach Regierungswechsel zu
Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensergebieten ist bereits seit Langem extrem angespannt. Seit dem Amtsantritt der rechts-religiösen Regierung Netanjahus vor zwei Monaten hat sie sich aber noch einmal deutlich zugespitzt. Erst am Donnerstag waren bei einem israelischen Militäreinsatz in Nablus elf Palästinenser getötet und mehr als 100 verletzt worden. Seit Beginn des Jahres wurden zwölf Israelis und eine Ukrainerin bei palästinensischen Anschlägen getötet. Im gleichen Zeitraum kamen 63 Palästinenser ums Leben - sie wurden etwa bei Konfrontationen mit der israelischen Armee oder nach eigenen Anschlägen erschossen.
Das israelische Kabinett billigte nun einen Gesetzesentwurf, der die Todesstrafe für Terroristen vorsieht. Der umstrittene Vorstoß muss noch mehrere Lesungen im Parlament passieren, bevor er in Kraft treten kann. Mit einer ersten Abstimmung wird am Mittwoch gerechnet. Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt.
Quelle: ntv.de, ino/cls/dpa