Dunkles Kapitel Argentiniens Babyraub-Prozess beginnt
28.02.2011, 22:53 Uhr
Videla am ersten Tag des Prozesses.
(Foto: REUTERS)
Die früheren argentinischen Militärdiktatoren Videla und Bignone stehen in Buenos Aires wegen Babyraubes vor Gericht. Sie sollen während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 den systematischen Raub von Hunderten Kindern angeordnet haben.
Vor einem argentinischen Gericht hat ein Prozess gegen ehemalige Offiziere der Militärjunta wegen des mutmaßlichen Raubs von rund 500 Kindern begonnen. Neben den früheren Diktatoren Jorge Videla und Reynaldo Bignone sitzen sechs weitere Ex-Junta-Verantwortliche aus der Zeit der Militärdiktatur der Jahre 1976 bis 1983 auf der Anklagebank. Ihnen wird vorgeworfen, inhaftierten Müttern ihre Babys unmittelbar nach der Geburt geraubt und in Familien von Junta-Angehörigen eingegliedert zu haben. Viele der Frauen sollen danach ermordet worden sein. Während des Verfahrens, das bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein könnte, sollen 370 Zeugen befragt werden.
Der 85-jährige Videla war nach dem Ende der Militärherrschaft im Jahr 1985 zu lebenslanger Haft verurteilt, fünf Jahre später jedoch begnadigt worden. Im vergangenen Jahr hob die argentinische Justiz die Begnadigung wieder auf. Während Videlas Herrschaft Ende der 1970er Jahre waren nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen 30.000 Menschen ermordet worden oder spurlos verschwunden. Zehntausende wurden furchtbar gefoltert.
Der 83 Jahre alte Bignone, letzter Junta-Chef vor der Rückkehr der Demokratie im Jahr 1983, wurde im vergangenen Jahr wegen Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er wurde der Beteiligung an Mord, Folter und Entführung in 56 Fällen für schuldig befunden.
Die Vereinigung der "Großmütter des Maiplatzes" bemüht sich seit Jahren, das Schicksal der geraubten Kinder aufzuklären. Bisher konnten sie 102 der damals betroffenen Kinder wiederfinden.
"Wir waren die Kriegsbeute des Regimes", sagte einer von ihnen, der 33-jährige Leonardo Fosatti, vor Prozessbeginn. "Ich wurde in einer Polizeiwache geboren und von einer Familie mit reinem Gewissen adoptiert", fügte er hinzu. Damit war er eines von wenigen Kindern, die nicht in einer Familie von Junta-Angehörigen untergebracht wurden. Nicht in allen Fällen wollen die heute erwachsenen Opfer jedoch mit der grausamen Wahrheit konfrontiert werden, dass ihre wirklichen Eltern ermordet wurden und diejenigen, mit denen sie aufgewachsen sind, den Tätern nahe standen. Manche verweigern deshalb auch Gentests zur Feststellung ihrer Herkunft.
Der ermittelnde Staatsanwalt Federico Delgado machte vor dem Gericht am Beginn der Verhandlung deutlich, dass es in dem Verfahren um "eines der dunkelsten Kapitel in Argentiniens Geschichte" gehe.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa