Aiwanger will wieder bohren CSU-Landrat fordert Verzicht auf Erdgasprojekt
28.07.2024, 07:48 Uhr Artikel anhören
Im bayerischen Reichling liegen Trinkwasser und Erdgas nah beieinander.
(Foto: picture alliance/dpa)
In Reichling am Lech soll bald gebohrt werden - nach Erdgas. Die Genehmigung ist da, die politische Rückendeckung vom bayerischen Wirtschaftsminister Aiwanger auch. Aber vor Ort regt sich Widerstand. Der CSU-Landrat richtet seinen Protest an Aiwanger.
Schon in wenigen Wochen könnten am Alpenrand die ersten neuen Erdgasbohrungen in Bayern seit mehr als einem Jahrzehnt beginnen - doch der Widerstand wächst. Neben Umweltschützern und Anwohnern verweigern sich auch der Landrat des Landkreises Landsberg am Lech, Thomas Eichinger von der CSU, und der gesamte Rat der betroffenen Gemeinde Reichling.
Tatsache ist: Im Juni hat das Bergamt Südbayern der Firma Genexco Gas die Probebohrung genehmigt. Das Konzessionsgebiet "Lech Ost" ist mehr als 100 Quadratkilometer groß und erstreckt sich bis zum Ammersee. Im September könnte es losgehen. Die Fördergenehmigung aber steht noch aus.
Die Bohrung liegt laut Greenpeace nur rund 150 Meter von einem europäischen Schutzgebiet für bedrohte Tiere und Pflanzen entfernt und 200 Meter neben dem Trinkwasserschutzgebiet sowie im Einzugsbereich der Trinkwasserquelle der Gemeinde. Wie viel Gas hier gefördert werden kann, ist unklar. Laut Greenpeace wird auf ein 500 Millionen Kubikmeter umfassendes Erdgasfeld spekuliert, das 15 Jahre ausgebeutet werden soll.
Bayern förderte in den 70ern Drittel des Bedarfs selbst
Landrat Eichinger will die Bedenken hinsichtlich Umwelt, Verkehr, Gesundheit und Klimaschutz dieser Tage als Protestbrief an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger nach München schicken. Die Bohrung ist zwar schon genehmigt, jedoch fehlt noch die Fördergenehmigung.
Reichlings Bürgermeister Johannes Hintersberger bestätigt auf Anfrage, dass "dieser Brief rein rechtlich keinerlei Einfluss auf das Genehmigungsverfahren nimmt, der Gemeinderat verspricht sich hierbei eine landespolitische Kehrtwende zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen in unserer Gemeinde."
Seit den 1950er Jahren wurden laut Ministerium im bayerischen Alpenland fast 60 Gasfelder entdeckt - viele Vorkommen sind längst ausgebeutet. Bayern deckte in den 1970er-Jahren etwa 30 Prozent seines Gasbedarfes aus heimischen Lagerstätten, inzwischen sind es nur noch circa 0,1 Prozent.
Im Zuge der Energiewende und der Abkehr von russischen Gasimporten ist die Bedeutung von Gas bei der Energieversorgung zwar zurückgegangen - es ist aber nach Mineralöl noch immer der wichtigste fossile Energieträger im Freistaat und deckt knapp ein Fünftel des Primärenergieverbrauchs. Erdgas wird in Deutschland vor allem in der Industrie und zum Heizen verwendet. Mehr als 90 Prozent wird über Gaspipelines importiert.
Grüne schimpfen Aiwanger einen energiepolitischen "Geisterfahrer"
Im Münchner Wirtschaftsministerium werden neue Gasbohrungen in Bayern nach eigenen Angaben wohlwollend behandelt: Man unterstütze angesichts hoher Preise auch die Suche nach heimischem Erdgas, teilte das Ministerium Ende September 2022 mit. Wie sehr Erdgasförderungen der Regierung in München willkommen sind, zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Staatsregierung von den Unternehmen keine Förderabgabe verlangt, obwohl dies nach dem Bundesbergbaugesetz möglich wäre.
Aiwanger selbst spricht bei Erdgas gerne von einer klimafreundlichen Brückentechnologie, verglichen mit der Verbrennung von Öl oder Kohle. Doch dieses Image ist aus Sicht von Experten überholt: Gas heize das Klima mehrfach auf - durch Methanemissionen bei Förderung, Speicherung und Transport sowie durch CO2-Emissionen bei der Verbrennung.
"Aiwanger gibt Gas - aber in die falsche Richtung. Wie ein Geisterfahrer unterstützt er die Erschließung neuer dreckiger Erdgasquellen, anstatt seine Energie auf den dringend nötigen Ausbau der Windkraft zu konzentrieren", sagte Bayerns grüner Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann. Während Windkraftbetreiber hohe Gebühren zahlen müssten, um Anlagen im Staatsforst zu errichten, dürfe das Unternehmen Genexco Gas in Reichling quasi umsonst das Gas ausbeuten.
Quelle: ntv.de