Wirtschaft

K.o. für eine Windkraftschmiede? "Für den Abschied von Gas gibt es keinen Business Case"

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Der Stahl muss 1200 Grad heiß sein, damit man ihn umformen kann.

Der Stahl muss 1200 Grad heiß sein, damit man ihn umformen kann.

(Foto: Christian Herrmann)

Dirostahl blickt auf eine mehr als 400-jährige Firmentradition zurück. Im 16. Jahrhundert wurden die schweren Hämmer der Remscheider Stahlschmiede mit Wasserkraft bewegt. Im Laufe der Zeit folgten Kohle und Öl. Inzwischen erwärmt Dirostahl die tonnenschweren Werkstücke mit Erdgas auf 1200 Grad Celsius, damit sie in Form gehämmert und als Getriebe in Windkraftanlagen verwendet werden können. "Wir kennen die Idee eines Brennstoffwechsels durchaus", sagt Roman Diederichs. Dennoch ist der Dirostahl-Chef ratlos. Denn jetzt wird eine saubere Erdgas-Alternative verlangt, bevorzugt grüner Wasserstoff. Das funktioniere bisher nur im Labor, im echten Schmiedeofen "ist es schwierig", sagt Diederichs im "Klima-Labor" von ntv. Und teuer: "Wenn man im internationalen Wettbewerb steht, verursachen diese Mehrkosten erhebliche Probleme." Probleme, die dazu führen könnten, dass Windkraftgetriebe bald aus dem Ausland kommen - und das weiterhin mit Gas arbeitet.

ntv.de: Wie hoch ist der Energieverbrauch von Dirostahl?

Dirostahl bearbeitet Teile mit einem Gewicht von 50 Kilogramm bis 35 Tonnen.

Dirostahl bearbeitet Teile mit einem Gewicht von 50 Kilogramm bis 35 Tonnen.

(Foto: Christian Herrmann)

Roman Diederichs: Das hängt stark von der Auslastung ab, aber wir bewegen uns in einer Größenordnung von 15 Gigawattstunden (GWh) Strom und zwischen 150 und 200 Gigawattstunden Erdgas. Das entspricht dem Verbrauch von 10.000 Haushalten im Jahr.

Und jetzt brauchen Sie eine Alternative zum Erdgas.

Stand jetzt betreibt man Schmiedeöfen mit Erdgas. Alle möglichen Unternehmen dieser Branche machen sich Gedanken, was alternative Heizmedien sein könnten. Teilweise zusammen, teilweise einzeln. Wenn das Material aus dem Ofen kommt, muss es eine Temperatur von 1200 Grad haben, damit man es umformen kann. Das geht nicht mit jedem Medium.

Kann man so hohe Temperaturen mit Elektrizität erreichen?

Das kommt auf die Dimensionen der Werkstücke an. Automobilzulieferer arbeiten in der Regel mit Gesenkschmieden, um Teile mit geringem Gewicht in großer Serie herzustellen. Das Gewicht startet im Gramm- und endet im Kilobereich. Diese Teile können induktiv erwärmt werden, also mit Strom. Das funktioniert aber nur bis zu einem Querschnitt von circa 240 Millimeter. Das ist etwa Fingerspannweite, das kann man mit der Hand greifen. Größere Teile kann man nicht mehr in einer vernünftigen Zeit mit einem vertretbaren Energieaufwand induktiv erwärmen.

Die Teile, die Sie für die Windräder herstellen, gehören vermutlich zu den größeren?

Ja, wir arbeiten mit einer Freiformschmiede und bearbeiten in der Regel mittelgroße Teile, die zwischen 500 Kilogramm und 8 Tonnen wiegen. Insgesamt reicht die Spannbreite von 50 bis 35.000 Kilogramm. Häufig sind es nahtlos gewalzte Ringe: Erst muss man das Vorprodukt in Form bringen, um eine Lochscheibe zu erzeugen. Die wird anschließend weiter gewalzt. Hat man diesen Prozess im Griff, kann man mit einer Hitze oder mit der Nachwärme arbeiten. Wenn es nicht so gut läuft, muss man das Stück zweimal erwärmen.

Und das geht im Moment nur mit Gas?

In diesen Abmessungen, ja. Natürlich kann man über andere Technologien wie Widerstandsheizungen, Wasserstoff oder Heißluft nachdenken. Startups, aber auch etablierte Unternehmen haben verschiedene Ideen. Die haben allerdings alle ihre Vor- und Nachteile.

Die Alternative, die bei dieser Frage fast immer genannt wird, ist grüner Wasserstoff. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sind um die halbe Welt gereist, um Lieferverträge abzuschließen. Das funktioniert nicht?

Man muss gucken, wo er herkommt. Wenn man grünen Wasserstoff selbst lokal mit grünem Strom herstellt, hat man einen massiven Kostennachteil: Verglichen mit Erdgas ist grüner Strom bereits relativ teuer. Diesen Preis muss man dann noch einmal verdoppeln, um auf den Wasserstoffpreis zu kommen. Das ist das, was kolportiert wird. Es wird sich ebenfalls zeigen, ob sich ein Elektrolyseur rechnet, wenn er nicht 24 Stunden am Tag läuft. Genauso, welche Importmengen von grünem Wasserstoff letztlich zu welchen Konditionen auf den Weltmarkt kommen.

Aber technisch würde es funktionieren? Man kann grünen Wasserstoff anstelle von Gas in dieselben Maschinen pumpen? Sie schütteln mit dem Kopf …

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Es gibt viele Studien zum Wasserstoff-Einsatz in Brennern. Dort wird versucht, Prozesswärme mithilfe von Erdgas-Wasserstoff-Gemischen oder durch reinen Wasserstoff-Einsatz darzustellen. Im Labormaßstab funktioniert es - mit einigen technischen Restriktionen; im großtechnischen Maßstab ist das bisher schwierig. Es gibt verschiedene Versuche verschiedener Institutionen, aber auch Unternehmen. Man muss schauen, welche Risiken und Nebenwirkungen der Wasserstoff-Einsatz hat. Viele Komponenten sind wasserstofffähig oder sollen es sein, die Zulassungen erlauben aber nur 20 Volumenprozent Wasserstoff im Erdgas. Es gibt auch technische Parameter wie die adiabate Flammentemperatur …

… adiabate Flammentemperatur?

Die tonnenschweren Lochscheiben ...

Die tonnenschweren Lochscheiben ...

(Foto: Christian Herrmann)

Ja (lacht). Erdgas verbrennt bei einer Flammentemperatur von etwa 1900 Grad, Wasserstoff bei 2100 bis 2200 Grad. Das ist im Ofen kein großes Problem. Allerdings reagiert Stickstoff in der Ofenatmosphäre zu Stickoxiden. Bei einer höheren adiabaten Flammentemperatur nimmt die Stickstoffbildung massiv zu. Man muss also aufpassen, dass man Stickstoff nicht als Beiprodukt im Abgas in deutlich höherer Konzentration produziert.

Kann man die Stickoxide herausfiltern?

Wenn sie einmal gebildet sind, wird es schwierig. Deswegen muss man die thermische Stickoxid-Bildung im Griff behalten, das geht über die Brennersteuerung und über die Temperaturführung. Es sind also einige Parameter zu beachten.

Und das ist teuer?

... landen später unter anderem in Windkraftanlagen.

... landen später unter anderem in Windkraftanlagen.

(Foto: Christian Herrmann)

Je nachdem. Wenn man mit reinem Sauerstoff arbeitet, hat man einen teureren Einsatzstoff, als wenn man mit Brennluft arbeitet. Die kann man außerdem besser vorwärmen. Das ist eine Frage der Energieeffizienz, und ja, im Zweifel muss man mehr Geld in Brennertechnik investieren.

Grundsätzlich könnte man das Gas aber mit grünem Wasserstoff ersetzen?

Falls es ausreichend Wasserstoff und verlässliche Lieferungen geben sollte, bin ich sicher, dass wir die Technologie in den Griff bekommen, auch wenn einige offene Fragen wie die Stickoxid-Bildung beachtet werden müssen. Selbst dann bleiben allerdings die erheblichen wirtschaftlichen Probleme.

Wie ist aktuell der Stand bei Ihnen, setzen Sie trotzdem auf grünen Wasserstoff? Experimentieren Sie bereits? Versuchen Sie, welchen für Dirostahl zu bekommen?

Natürlich behalten wir das Thema im Auge. Wir haben auch ein Projekt beantragt, um diese Parameter in den Griff zu bekommen, sodass wir bereit wären, wenn es genug Wasserstoff geben sollte. Wirtschaftlich muss man natürlich betrachten, dass Wasserstoff derzeit etwa das drei- bis fünffache von Erdgas kostet. Wenn man - wie wir mit den Windkraftprodukten - im internationalen Wettbewerb steht, verursachen diese Mehrkosten massive Probleme bis hin zur Unwirtschaftlichkeit der Fertigung.

Gibt es überhaupt Pläne, wie der Wasserstoff aus Chile, aus Marokko oder aus dem Oman zu Ihnen nach Remscheid kommen würde? Brauchen Sie eine Pipeline?

Es gibt verschiedene Modelle. Ob es tatsächlich eine Wasserstoffproduktion in Deutschland geben wird, liegt jenseits meines Horizonts. Derzeit gehen wir davon aus, dass eine Pipeline für die Wasserstoffversorgung zur Verfügung stehen muss. Das wird im Bergischen Land Anfang der 2030er Jahre diskutiert werden.

Die müsste noch gebaut werden?

Auch hier gibt es verschiedene Modelle. Es wird geprüft, ob man eine Erdgasleitung umrüsten und ergänzen kann. Es kann auch sein, dass es ein Neubau sein muss, aber das müssen die entsprechenden Versorger beantworten.

Das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet intensiv daran, die erhöhten Kosten der grünen Stahlindustrie abzudecken, es wird sehr viel gefördert. Reicht das alles nicht?

Es gibt einige Programme, die bei solch einer Transformation unterstützen, aber man muss schauen, ob ein mittelständisches Unternehmen das leisten kann. Thyssenkrupp hat andere Möglichkeiten. Man kann auch nicht 15 bis 20 Jahre lang alles subventionieren, was umgestellt werden muss. Dafür werden die Haushaltsmittel nicht reichen.

Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten oder Jahrhunderten bereits einige Transformationen erlebt. Im Bergischen Land gibt es viele Täler und ausreichend Regen. Früher wurden die Bäche gestaut, Wasserräder gebaut und die kleinen Schmieden und Schleifkotten mit Wasserkraft betrieben. Später wurden die Hämmer mit Dampf aus Kohle betrieben, in den 50er Jahren haben wir auf Schweröl umgestellt und in den 80er Jahren auf Erdgas. Wir kennen die Idee eines Brennstoffwechsels durchaus. Wichtig für die Umstellung ist aber ein positiver Business Case. Den gibt es derzeit nicht, eher hehre Ziele. So wird es hochriskant.

Wenn die Pläne so umgesetzt werden, wie sie derzeit aussehen, sind Sie am Ende nicht mehr wettbewerbsfähig?

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Diese Gefahr besteht in der energieintensiven Industrie, wenn man tatsächlich auf das falsche Pferd setzt. Definitiv. Wir haben in Deutschland schon die Photovoltaikindustrie verloren, als Nächstes müssen wir sicherlich in der Windkraftindustrie wachsam sein. Da kann man es sich einfach nicht leisten, willkürlich Energiekosten zu verteuern.

Mit Roman Diederichs sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

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Quelle: ntv.de

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