50.000 Euro für Missbrauchsopfer? Beauftragte fordert breite Hilfe
24.05.2011, 19:11 Uhr
Christine Bergmann bei der Präsentation ihres Abschlussberichts.
(Foto: dpa)
Die Kindesmissbrauchs-Sonderbeauftragte der Bundesregierung Bergman legt ihren Abschlussbericht vor und fordert Finanz- und Therapiehilfe selbst für Opfer bereits lange zurückliegender Taten. Die SPD-Politikerin erntet großes Lob, sieht ihre Arbeit jedoch noch längst nicht beendet.
Opfer von Kindesmissbrauch sollen finanzielle und therapeutische Hilfe bekommen - ungeachtet dessen, wie lange der Missbrauch zurückliegt und wo er geschehen ist. Das forderte die Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Kindesmissbrauch, Christine Bergmann bei der Vorstellung des Abschlussberichts ihrer Arbeitsstelle. Die Entschädigungen sollen von den verantwortlichen Einrichtungen getragen werden.
Die SPD-Politikerin und ehemalige Bundesfamilienministerin hatte sich seit März vergangenen Jahres mit der Aufarbeitung der Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs befasst, die Anfang 2010 das Land erschüttert hatten. Rund 11.400 Anrufe und 2.100 Briefe gingen nach Angaben Bergmanns bei der Arbeitsstelle ein, täglich riefen immer noch rund 40 Menschen an.
Zu Bergmanns Vorschlägen gehört die Einrichtung einer unabhängigen Schiedsstelle, die über Entschädigungen und Hilfen für die Opfer entscheiden soll, deren Fälle bereits verjährt sind. "Experten wie Psychotherapeuten, Fachärzte und ein Sozialrichter, aber auch Betroffene sollen über die Plausibilität der Fälle befinden", so Bergmann.
Bundesfonds soll Therapien bezahlen
Entschädigungen für in Institutionen missbrauchte Kinder sollen nach dem Willen Bergmanns von der jeweils verantwortlichen Einrichtung getragen werden und sich an gesetzlichen Schmerzensgeldregelungen orientieren. Die Summe könne zwischen 3.000 und 50.000 Euro liegen. Die Kosten für in der Familie Betroffene soll Bergmann zufolge der Bund übernehmen. Ob es für sie eine Entschädigungszahlung geben wird, ist offen. Beide Opfergruppen sollen Mittel für Therapien und Beratung aus einem Bundesfonds erhalten - auch für nicht von den Krankenkassen übernommene Therapien.
Die Beauftragte erklärte, die Erstattung von Therapiekosten solle möglichst unbürokratisch geschehen. Sie erinnerte daran, dass 50 Stunden Therapie rund 5.000 Euro kosten. Dies sei aber lediglich eine Richtgröße. Die Beauftragte räumte ein, dass sie noch nicht mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über einen finanziellen Beitrag des Bundes gesprochen hat.
Darüber hinaus empfahl Bergmann den Ausbau der Therapie- und Beratungsangebote. Bei der Beratung solle besonders das Angebot für Jungen und Männer und das in ländlichen Regionen erweitert werden. In rechtlicher Hinsicht sprach Bergmann sich für eine Reform des Opferentschädigungsgesetzes aus, damit Missbrauchsopfer zukünftig ihre Ansprüche geltend machen können.
"Das Thema muss bleiben"

Die Ministerinnen Leutheusser-Schnarrenberger, Schröder und Schavan lobten Bergmanns Vorschläge.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bergmann war im vergangenen Jahr von Familienministerin Kristina Schröder (CDU), Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) beauftragt worden, Vorschläge zur Aufarbeitung des Skandals zu erarbeiten. Alle Ministerinnen lobten Bergmanns Vorschläge als "wichtige Grundlage" für die weitere Arbeit des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch.
Die Sonderbeauftragte soll ihre Arbeit zum 31. Oktober beenden, bis dahin können sich Betroffene telefonisch an die Beratungsstelle wenden. Bergmann sprach sich für ein Fortsetzen der Arbeit aus: "Das Thema muss bleiben, es muss weitergehen - auch unabhängig von meiner Person."
Auch die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Ziegler, erklärte, bei dem "offensichtlichen" Bedarf sei es schwer zu begründen, wenn "eine so erfolgreiche Institution ihre Arbeit einstellen müsste". Die familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Miriam Gruss, erklärte, Kindesmissbrauch dürfe nicht aus dem alltäglichen Bewusstsein der Gesellschaft verschwinden. Die kinderpolitische Sprecherin der Linken, Diana Golze, forderte Bund und Länder auf, genug Geld für Jugendeinrichtungen zur Verfügung zu stellen.
Katholische Kirche geht eigenen Weg
Die katholische Kirche hat bereits einen eigenen Weg bei der Entschädigung eingeschlagen. Sie will jedem minderjährigen Opfer sexuellen Missbrauchs bis zu 5.000 Euro Entschädigung zahlen. Zudem will sie bei akutem Bedarf Kosten für eine Psychotherapie oder Paarberatung übernehmen. In besonders schweren Fällen ist sie zu zusätzlichen Leistungen bereit. Opfervertreter hatten diese Beträge aber als viel zu niedrig kritisiert.
Nach einer Umfrage der dpa läuft die Entschädigung allmählich an. Von den seit März bei der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn gestellten 400 Anträgen seien in 180 Fällen Empfehlungen ausgesprochen worden, teilte ein Sprecher mit. Der Jesuitenorden hat bislang 10 der bundesweit 25 bis 30 gestellten Anträge bearbeitet. Hier stehe eine Auszahlung kurz bevor, sagte Ordenssprecher Thomas Busch. Wie viele Anträge bei der ebenfalls von Missbrauchsfällen betroffenen Odenwaldschule in Hessen und dem Kloster Ettal in Bayern eingegangen sind, ist noch nicht klar. Die evangelische Landeskirche Hannover will die Ergebnisse eines Runden Tisches abwarten.
Die Kirchen dringen auf eine schnelle Entschädigung für frühere Heimkinder, die in den Einrichtungen bis in die 70er Jahre hinein vielfach geschlagen und zu unbezahlter Arbeit gezwungen wurden. Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, teilte mit, die Kirchen hätten Vorsorge getroffen, ihr Drittel zu dem 120-Millionen-Opferfonds zu zahlen, den der Runde Tisch Heimerziehung Ende 2010 vorgeschlagen hat.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa