Spannungen mit Frankreich Berlin stimmt Raketenschild zu
14.10.2010, 13:06 Uhr
Guttenberg im Gespräch mit Gates: Berlin stimmt dem Raketenschild zu, aber verbunden mit Fortschritten bei der Abrüstung.
(Foto: REUTERS)
Erstmals äußert Deutschland klar seine Zustimmung zum NATO-Raketenschirm für Europa, knüpft dies aber an Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung. Das stößt beim französischen Verbündeten nicht auf Gegenliebe: Die Atommacht Frankreich verbittet sich jede NATO-Einflussnahme auf ihr Arsenal. Einig sind sich die Minister über Einsparungen in der Allianz.
Die NATO-Staaten beraten in Brüssel über die neue Bündnis-Strategie, die nach den Worten von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die Allianz durch das nächste Jahrzehnt führen wird. Sie löst die alte Strategie von 1999 ab, die noch dem Geist des Kalten Kriegs verhaftet ist. Rasmussen warb zum Auftakt des gemeinsamen Treffens der Außen- und Verteidigungsminister für eine "moderne Verteidigung gegen moderne Bedrohungen" wie Raketen- und Terrorangriffe. Die Bedrohung sei klar und die Kosten überschaubar, so Rasmussen.
Der Aufbau einer Raketenabwehr und die künftige Rolle von Atomwaffen sind in der Militärallianz aber umstritten. US-Verteidigungsminister Robert Gates äußerte auf seinem Flug nach Brüssel die Hoffnung auf eine "breite Zustimmung" der NATO-Partner zu dem Raketenschirm.
Widerspruch zu Frankreich
Die Bundesregierung signalisierte erstmals Zustimmung: "Wir halten den Raketenschirm für grundsätzlich eine gute Idee", sagte Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, fügte aber hinzu, "dass Punkte wie Abrüstung durchaus eine wesentliche Komponente sein können und sein müssen".
Laut Diplomaten gibt es deshalb Spannungen mit Frankreich: Deutschland will das Ziel einer atomwaffenfreien Welt in der Strategie verankern und den Aufbau einer Raketenabwehr mit Zeichen für die Bereitschaft zu Rüstungskontrolle und Abrüstung von Atomwaffen verbinden. Die Atommacht Frankreich verbittet sich dagegen jede NATO-Einflussnahme auf ihr Arsenal. "Der Raketenschild kann Atomwaffen ergänzen, aber nicht ersetzen", sagte ein französischer Bündnisvertreter zu den deutschen Vorstellungen.
Auf die Frage, ob er eine Annäherung der Standpunkte für möglich halte, sagte Guttenberg: "Das werden wir sehen." Der Minister sagte, die neue Strategie der NATO sei "dringend vonnöten".
Rasmussen: Es geht um die Zukunft
Deutschland hatte bisher noch nicht offiziell Stellung zu den Vorschlägen Rasmussens zum Aufbau einer Raketenabwehr genommen, die ganz Europa vor Angriffen beispielsweise aus dem Iran schützen soll. Die Raketenabwehr soll ebenso wie die neue NATO-Strategie beim Gipfel in Lissabon beschlossen werden. Rasmussen sagte, das Gipfeltreffen am 19. und 20. November in Lissabon werde "eines der wichtigsten in der Geschichte der NATO" sein. "Die Entscheidungen, die wir in den nächsten Wochen treffen werden, werden die Zukunft der erfolgreichsten Allianz der Welt neu formen. Ich habe absolut keinen Zweifel, dass wir das gut hinbekommen."
Daneben sieht Rasmussens Entwurf der Bündnisstrategie erstmals eine gemeinsame Abwehr von Hacker-Attacken aus dem Internet vor.
Sparmaßnahmen bei der NATO
Geeinigt haben sich die Verteidigungsminister der 28 NATO-Staaten bereits auf tiefgreifende Reformen in der Organisation des Nordatlantischen Bündnisses. Sie stimmten einem Vorschlags von Rasmussen zur Abschaffung von NATO-Hauptquartieren und der Zusammenlegung von NATO-Agenturen zu.
Künftig soll es statt bisher 11 nur noch maximal 7 Hauptquartiere geben. Die Zahl der dort Beschäftigten soll von 12.500 auf unter 9000 sinken. Auch soll die Zahl der NATO-Agenturen von 14 auf drei verringert werden. Die Frage, welche Standorte von den Kürzungen betroffen sein werden, soll erst später entschieden werden.
Diplomaten sagten, obwohl die Standortfrage ausdrücklich ausgeklammert wurde, habe Frankreichs Verteidigungsminister Hervé Morin sich für die Beibehaltung des NATO-Oberkommandos für Transformation in Norfolk/Virginia (USA) ausgesprochen. US- Verteidigungsminister Gates habe gesagt, auch er wolle Standortfragen nicht vorgreifen - er sei aber dafür, dass aus politischen Gründen die NATO auch künftig in der Türkei mit einem Hauptquartier vertreten sein müsse.
In Deutschland gibt es mit dem Headquarters Allied Force Command Heidelberg und dem Headquarters Allied Air Command Ramstein zwei Hauptquartiere der NATO. Die Zentrale der AWACS-Flotte der NATO in Geilenkirchen zählt offiziell nicht als Hauptquartier.
Quelle: ntv.de, hdr/dpa/AFP