Politik

Volksentscheid zu CO2-Stopp 2030 Berliner könnten Senat grüne Fesseln anlegen

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Werbung für den Volksentscheid im Stadtteil Friedrichshain, im Hintergrund der Fernsehturm.

(Foto: picture alliance/dpa)

Berlin bleibt kompliziert: Während CDU und SPD noch über die Bildung einer gemeinsamen Regierung verhandeln, stimmen die Berliner über einen Volksentscheid ab, der die Hauptstadt schon bis 2030 klimaneutral machen will. Die Umsetzbarkeit des Vorhabens ist hoch umstritten.

Berlin und die Klimabewegung? Natürlich gibt es da ein passendes Medien-Duo: Die Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer wirbt in einem Clip gemeinsam mit dem Neuköllner Comedian Kurt Krömer für den Volksentscheid "Berlin 2030 klimaneutral". Am Sonntag sollen die Berlinerinnen und Berliner über die Initiative abstimmen, die kommende Regierungen des Stadtstaates in ein enges Korsett an Handlungsaufträgen schnüren würde. Weil der Volksentscheid konkrete Änderungen im Text des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz von 2021 vorsieht, würde das geänderte Gesetz in neuer Fassung sofort in Kraft treten.

Vorausgesetzt, er ist erfolgreich. Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Stadtbürgerinnen muss hierfür mit Ja stimmen und die Ja-Stimmen müssen dabei in der Mehrheit aller abgegebenen Stimmen sein. Dass sich 612.000 Befürworter an der Abstimmung beteiligen, ist aber keineswegs ausgemacht. Der letzte, außerordentlich erfolgreiche Volksentscheid, der eine Enteignung großer Vermieterkonzerne wie Deutsche Wohnen forderte, war mit der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl am 27. September 2021 zusammengefallen. Die Wahlbeteiligung war hoch und damit auch die Beteiligung am Volksentscheid. Diesmal aber müssen die Berlinerinnen und Berliner gesondert zum Wahlbüro trotten oder per Briefwahl abstimmen. Den Volksentscheid mit der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl Mitte Februar zusammenzulegen, hatte der Senat abgelehnt.

Auch wenn die Entscheidung nicht hiermit begründet wurde, hatte insbesondere die SPD, welche die rot-grün-rote Berliner Landesregierung anführt und künftig wohl als Juniorpartner der CDU mitregieren wird, keinerlei Interesse an einem Erfolg. Einmal sind da die schwerkalkulierbaren Kosten - der Senat spricht von "Investitionskosten mindestens in hoher zweistelliger Milliardenhöhe" - und zum anderen die rechtlichen Hürden. Ein Beispiel: Wie sollte der Senat den Betrieb von Öl- und Gasheizungen bis 2030 in Berlin verbieten, wenn er nach Bundesrecht legal ist, und was würde es kosten, alle aus der Umrüstung entstehenden Mieterhöhungen aus dem Landeshaushalt zu bezahlen? Das nämlich fordert der Volksentscheid.

Mindestens ambitioniert

Das Wärmebeispiel zeigt, wie kompliziert die Sachlage ist: Auf Bundesebene ist ein heftiger Streit in der Ampel entbrannt, weil Bundesklimaschutzminister Robert Habeck und Bundesbauministerin Klara Geywitz ab kommendem Jahr den Einbau neuer Öl- und Gasheizungen verbieten wollen, um zumindest das Klimaschutzziel eines bis 2045 klimaneutralen Deutschlands zu erfüllen. Schon hier sind die Widerstände beträchtlich und die Einwände zur praktischen Umsetzbarkeit angesichts der Personalkrise im Handwerk zumindest berechtigt. Wie soll ausgerechnet der wegen ihrer Dysfunktionalität verschrienen Hauptstadt binnen sieben Jahren gelingen, was bundesweit noch 22 Jahre dauern soll?

Gleiches gilt für die notwendige Gebäudesanierung. Allein die öffentlichen Gebäude bis 2030 wärmezusanieren, wäre ein immenser Kraftakt. Berlin bekommt es seit Jahren nicht einmal hin, seine Schulen instand zu setzen oder neu zu bauen, obwohl das Geld hierfür bereitsteht. Mangelnde Planungskapazitäten in der überalterten, zweistufigen Behördenlandschaft - es entscheiden in fast allen Fragen Senat und Bezirke, aber keiner trägt die Verantwortung , wenn es schief geht - sind eine Ursache. Mangelnde Kapazitäten und Mondpreise für Materialien im Baugewerbe sind eine andere.

Eine weitere praktische Hürde ist die Tatsache, dass Berlin einen Großteil seiner Energie nicht selbst produziert. Strom und Wärme aus Erneuerbaren Energien lassen sich nicht in ausreichender Menge auf der Fläche des Stadtstaates produzieren. Gleichzeitig den fossilen Heizkraftwerken der Stadt rechtssicher die Betriebserlaubnis zu entziehen, die sie nach EU- und Bundesrecht haben, halten Experten für kaum machbar.

Ein starkes Bündnis

All diesen Zweifeln zum Trotz ist ein Erfolg nicht ausgeschlossen. Hinter der Initiative steht ein breites Bündnis aus Bewegungen, Organisationen und auch Parteien. Neben Fridays for Future und dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club machen zum Beispiel die Jugendorganisationen von SPD und Grünen mit. An Geld mangelt es ebenfalls nicht: "Berlin 2030 klimaneutral" sammelte 1,2 Millionen Euro ein - so viel wie kein Berliner Volksentscheid zuvor. Eine Mehrheit davon kam von Großspendern wie dem US-deutschen Investorenehepaar Albert Wenger und Susan Danziger. Die Aktivisten verweisen zudem auf zahlreiche andere Städte in Europa. die ebenfalls schon 2030 klimaneutral sein wollen.

So gelang es den Aktivisten erst, die notwendigen 170.000 gültigen Unterschriften für den Entscheid um rund 10.0000 zu übertreffen. Nun wird seit Wochen eifrig getrommelt, großflächige Plakate weisen auf den Volksentscheid hin. Aktiv für ein Nein werben die Gegner des Vorhabens nicht. Je weniger Aufmerksamkeit für das Thema, desto weniger Mobilisierung, scheint das Kalkül zu lauten. Doch die Dynamik der vergangenen Wochen könnte den Befürwortern in die Karten spielen. Grüne und Linke, die den Volksentscheid zwar nicht im Senat aber als Parteien mittragen, sind wahrscheinlich demnächst raus aus der Regierung. Der Sieger der Wahlwiederholung, die von Kai Wegner angeführte CDU, wird voraussichtlich ein Bündnis mit der SPD eingehen.

Mit einem Votum für den Volksentscheid könnten enttäuschte Wähler von Grünen und Linken sowie SPD-Wähler, die die sich anbahnende große Koalition ablehnen, Wegner grüne Fesseln anlegen. Der Koalitionsvertrag würde ein Stück weit ausgehebelt, auch wenn dieser immerhin 5 Milliarden Euro für den Klimaschutz vorsieht und sich Wegner zum grundsätzlichen Ziel bekannt hat. "Wir müssen im Bereich Klimaschutz vorankommen", sagte Wegner eineinhalb Wochen vor dem Volksentscheid. Das Sondervermögen habe ein Volumen, dass es in dieser Funktion und Höhe in keinem anderen Bundesland gebe, ergänzte die Regierende Bürgermeisterin Giffey.

Gespaltene Stadt

Dass sich die Befürworter von "Berlin 2030 klimaneutral" hierdurch ausreichend abgeholt fühlen, muss bezweifelt werden. Zumal sich der Streit auch vermischt mit dem Thema Stadtautobahn, deren Verlängerung Schwarz-Rot mitträgt. Mit dem Ziel der Klimaneutralität binnen sieben Jahren ist der Ausbau der A100 jedenfalls kaum vereinbar. Auch die Forderung nach einer Reduzierung aller Treibhausgase sowie nach der Einbeziehung der Emissionen des Flughafens BER ist eher nicht mit der Groko-Agenda kompatibel. So steht aus Sicht der Aktivisten zu befürchten, dass CDU und SPD im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids von ihrem Recht Gebrauch machen: das durch den Volksentscheid geänderte Gesetz wieder mit ihrer eigenen Parlamentsmehrheit zu ändern.

Allerdings hat der kommende Senat auch die Aufgabe, die gespaltene Stadt dringend zu versöhnen. Im Februar wählten die Menschen innerhalb des S-Bahn-Rings mehrheitlich grün, weil sie unter anderem die konsequente Verkehrswende weg vom Pkw wollen. Die Pendler in den Außenbezirken stimmten dagegen vor allem für die CDU, die sich im Wahlkampf - ebenso wie die bislang regierende Giffey - als Anwalt der Autofahrer positionierte.

Egal, wie es ausgeht, es droht einmal mehr ein Rechtsstreit, weil Berlin Probleme hat, die Abstimmung ordnungsgemäß zu organisieren. Die Initiative bemängelt, dass nicht alle beantragten Briefwahlunterlagen fristgerecht eingegangen seien. Die Alternative Wahlbüro ist keinesfalls sicher: Am Dienstag, fünf Tage vor der Abstimmung, machte der Landeswahlleiter öffentlich, dass in drei Bezirken noch dringend Wahlhelfer gesucht werden.

Quelle: ntv.de, mit AFP

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