Der Kriegstag im Überblick Besatzer sprechen über Rückzug aus Cherson - Schweiz blockiert deutschen Munitionsexport
03.11.2022, 20:25 Uhr
Verlassener russischer Vorposten nahe Cherson. Die Russen hätten entschieden, dass "die Stadt den Kampf nicht wert" sei, sagte ein westlicher Beamter.
(Foto: IMAGO/Cover-Images)
Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig für Explosionen im besetzten Melitopol verantwortlich. Die russische Armee beschießt erneut mehrere Städte. Unterdessen mehren sich in Cherson die Hinweise auf einen anstehenden russischen Abzug. Und die Atomaufsicht stellt ihre Ergebnisse bezüglich einer vermeintlichen "schmutzigen Bombe" vor. Der 253. Kriegstag im Überblick.
Besetztes Melitopol unter Beschuss
In der russisch besetzten Stadt Melitopol in der Südukraine hat es mehrere schwere Explosionen gegeben. Das bestätigen Vertreter beider Seiten, wobei die Darstellungen auseinandergehen. Die russische Flugabwehr habe anfliegende ukrainische Raketen abgeschossen, schrieb ein Vertreter der Besatzungsverwaltung, Wladimir Rogow, auf Telegram. Der vertriebene ukrainische Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fedorow, sagte, es sei ein Fabrikgebäude mit einem russischen Stab darin beschossen worden.
In den Regionen Luhansk und Donezk im Osten halten die Kämpfe derweil an. "Der Feind versucht, die vorübergehend eroberten Gebiete zu halten", teilt der ukrainische Generalstab mit. "Er konzentriert seine Bemühungen darauf, die Aktionen der Verteidigungskräfte in bestimmten Gebieten einzudämmen."
Angriffe in mehreren Landesteilen
Russische Truppen haben nach Angaben des ukrainischen Militärs die Stadt Kriwij Rih im Zentrum des Landes beschossen. Auch Sumy und Charkiw im Nordosten seien angegriffen worden. Nach Angaben lokaler Behörden hat Russland zudem Vororte von Saporischschja angegriffen. Bewohner seien aufgerufen worden, in Schutzräumen zu bleiben, berichtete der "Kyiv Independent". Die Luftabwehr habe iranische Drohnen zerstört.
Das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine ist nach russischem Beschuss vom Stromnetz getrennt. Die verbliebenen Hochspannungsleitungen seien getroffen und beschädigt worden, teilt der ukrainische Betreiber Energoatom mit. Das AKW werde nur noch über Dieselgeneratoren versorgt. Der Diesel-Vorrat reiche für 15 Tage.
Russland plant offenbar Abzug aus Cherson
Westlichen Sicherheitskreisen zufolge soll Russland den Rückzug seiner Truppen aus der südukrainischen Stadt Cherson vorbereiten. Die Russen hätten wohl entschieden, dass "die Stadt den Kampf nicht wert" sei, sagte ein hochrangiger Beamter einer westlichen Regierung in einem Hintergrundbriefing vor Journalisten. Allerdings sei es immer möglich, dass sich die Militärführung kurzfristig umentscheide, auch wenn derzeit alles auf einen Rückzug hindeute, schränkte er ein.
Zuvor hatte ein Vertreter der von Russland installierten Verwaltung der Region von einem möglichen Abzug vom Westufer des Flusses Dnipro gesprochen. "Höchstwahrscheinlich werden sich unsere Truppen auf das linke (östliche) Ufer zurückziehen", sagte der von Moskau eingesetzte Vize-Chef der Besatzungsregierung der Region, Kirill Stremousow.
Schweiz untersagt Deutschland Munitionsexport
Deutschland darf in der Schweiz hergestellte Munition für den Flugabwehrpanzer "Gepard" nicht an die Ukraine weitergeben. Aufgrund der Schweizer Neutralität sei es nicht möglich, dem deutschen Antrag auf den Weiterexport dieser Munition in die Ukraine stattzugeben, erklärte Wirtschaftsminister Guy Parmelin in einem Schreiben an Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht. Schweizerische Gesetze verbieten demnach den Export in Länder, die sich in einem bewaffneten Konflikt befinden.
Baerbock plant G7-Winterhilfe für Ukraine
Außenministerin Annalena Baerbock kündigte eine koordinierte Aktion der G7-Runde wirtschaftsstarker Demokratien zur Winterhilfe für die Ukraine an. "Den gemeinsamen Sanktionen, die wir auf den Weg gebracht haben, denen folgen jetzt die gemeinsamen Winterhilfen von G7-Partnern", sagte die Grünen-Politikerin zum Auftakt der Beratungen im westfälischen Münster. Viele andere Länder hätten bereits angekündigt, sich dem anzuschließen. "Diese Winterhilfe bedeutet auch, dass wir nicht akzeptieren, dass der Frieden und das internationale Recht über den Winter gebrochen werden", betonte Baerbock.
IAEA: Keine Hinweise auf "schmutzige Bombe"
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat nach Vorwürfen Russlands über mutmaßliche Pläne Kiews für eine "schmutzige Bombe" bisher keine Hinweise auf "nicht deklarierte nukleare Aktivitäten" in der Ukraine gefunden. Die technische und wissenschaftliche Auswertung der bisherigen Ergebnisse erbrachte "kein Anzeichen für nicht deklarierte nukleare Aktivitäten und Materialien" an drei Standorten in der Ukraine, erklärte IAEA-Chef Rafael Grossi. "Wir werden so bald wie möglich über die Ergebnisse der Umweltproben berichten."
Asowstal-Kämpfer kommen frei
Die Ukraine und Russland haben erneut Kriegsgefangene ausgetauscht. Je Seite kamen diesmal 107 Offiziere und Soldaten wieder in Freiheit, wie Kiew und Moskau mitteilten. Unter den Ukrainern seien auch 74 Soldaten, die im Frühjahr das Asow-Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol verteidigt hätten, teilte der Chef des Präsidialamtes in Kiew, Andrij Jermak, bei Telegram mit. Unter den Kriegsheimkehrern seien einige Schwerverletzte mit infizierten Wunden, verstümmelten Gliedmaßen und Verbrennungen.
Briten sehen russischen Ausrüstungsmangel
Der tägliche Bericht des britischen Verteidigungsministeriums konstatiert erhebliche Nöte der russischen Truppen an der Front. Dort mangle es nach enormen Verlusten an modernen Kampffahrzeugen. Russische Soldaten seien mutmaßlich frustriert darüber, dass sie alte Infanterie-Fahrzeuge nutzen müssten, die "Aluminiumdosen" genannt würden.
Mitte Oktober hätten die russischen Einheiten im Angesicht ukrainischer Gegenangriffe mehr als 40 Fahrzeuge pro Tag verloren, was den Briten zufolge etwa der Ausrüstung eines gesamten Bataillons entspricht. In den vergangenen Wochen habe Moskau mindestens 100 zusätzliche Panzer und Infanterie-Kampffahrzeuge aus belarussischen Beständen gekauft. Es sei jedoch schwierig für die russischen Einheiten, ausreichend geeigneten Ersatz für das beschädigte Material zu beschaffen, was der Offensive Probleme bereite.
Bürgermeister Klitschko in Sorge vor Winter
Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, warnte im Interview mit ntv mit Blick auf den Winter vor weiteren Angriffen auf die ukrainische Infrastruktur: "Wenn es draußen minus 10, minus 20 Grad werden, was jeden Winter passiert, dann haben wir richtige Probleme." Die gezielten Angriffe auf die kritische Infrastruktur würden laut Klitschko das "wahre Gesicht dieses Krieges" zeigen. "Das ist ein Genozid, das ist keine Spezialoperation, das ist kein Krieg gegen das Militär. Das ist ein Krieg gegen die Bevölkerung."
Weitere Artikel zum Ukraine-Krieg:
Alle weiteren Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine können Sie in unserem Liveticker nachlesen.
Quelle: ntv.de, mdi/dpa/AFP/rts