"Wie im Paradies" Betancourt trifft ihre Kinder
03.07.2008, 17:35 UhrEinen Tag nach ihrer Befreiung aus sechsjähriger Geiselhaft hat die französisch-kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt ihre Kinder wieder in die Arme schließen können. "Ich fühle mich fast wie im Paradies", sagte die frühere Präsidentschaftskandidatin beim Wiedersehen mit Tochter Melanie und Sohn Lorenzo auf dem Flughafen von Bogota. Die beiden waren aus Paris in der kolumbianischen Hauptstadt eingetroffen.
Regierungssoldaten hatten die 46-jährige Betancourt und 14 andere Geiseln am Mittwoch mit einem Täuschungsmanöver befreit. Sie gaben sich als Sympathisanten der Rebellen aus, die die Geiseln zu Rebellenchef Alfonso Cano hätten bringen sollten. "Wir wurden gezwungen, in Handschellen den Hubschrauber zu besteigen, das war sehr demütigend", berichtete eine zwar blasse, aber über das ganze Gesicht strahlende Betancourt auf dem Luftwaffenstützpunkt in Bogota über den Ablauf der Aktion.
"Dann, plötzlich, haben sie die beiden Rebellen, die mit uns an Bord waren, entwaffnet und der Leiter der Operation schrie: 'Wir sind die kolumbianische Armee und Sie sind frei!'... Der Hubschrauber stürzte fast ab, weil wir angefangen haben zu klatschen und zu schreien und auf und ab zu springen." Die Aktion verlief ohne Blutvergießen. In Kolumbien jubelten die Menschen auf den Straßen und drängten sich um Fernsehapparate, als sie von dem erfolgreichen Husarenstück hörten.
Reise nach Frankreich
Am Freitag wird Betancourt nach Angaben des Präsidialamtes in Paris in Frankreich erwartet. Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich für die Freilassung der Politikerin eingesetzt. "Ich träume von der Rückkehr nach Frankreich", sagte Betancourt und dankte Sarkozy sowie dessen Vorgänger Jacques Chirac für deren Bemühungen. Sarkozy hatte der Freilassung der Mutter zweier Kinder hohe Priorität eingeräumt. Ein sechs Jahre währender Alptraum sei zu Ende, erklärte Sarkozy und schickte ein Flugzeug nach Kolumbien, das Betancourt nach Frankreich bringen soll.
Betancourts Befreiung aus mehrjähriger Geiselhaft wurde weltweit mit Erleichterung aufgenommen. Die Bundesregierung gratulierte dem kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe zu dem erfolgreichen Einsatz des Militärs, das die Geiselnehmer der linken Rebellenbewegung FARC mit einem Trick überrumpelt hatte. "Die Befreiung ist ein Erfolg Ihrer entschlossenen Politik, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Freiheit in Ihrem Land durchzusetzen", schrieb Bundeskanzlerin Angela Merkel an Uribe. Sie hoffe, dass bald auch die anderen Gefangenen der FARC freikämen.
Sorge um andere Geiseln
Erleichtert über das Ende der langen Gefangenschaft äußerte sich auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier. "Wir teilen die Freude und Erleichterung der Familie und Freunde Ingrid Betancourts, deren Geiselhaft nach über sechs Jahren nun endlich zu Ende gegangen ist", erklärte Steinmeier in Berlin. Steinmeier (SPD) hob wie andere Politiker auch zugleich die Sorge um die schätzungsweise noch 700 Geiseln der FARC hervor. Er hoffe, dass auch ihre Befreiung gewaltlos erreicht werden könne. Merkel versprach: "Wir werden diese nicht vergessen." Auch Betancourt hatte in einer ersten Stellungnahme davor gewarnt, die geschwächte Rebellenorganisation nun zu unterschätzen. "Es wäre leicht, jetzt von ihrem Ende zu sprechen", sagte sie. Sie rief die Rebellen auf, alle Geiseln auf freien Fuß zu setzen.
US-Präsident George W. Bush gratulierte Uribe ebenso wie die Präsidenten Chiles, Brasiliens und Perus. Auch der mit dem konservativen Präsidenten zerstrittene venezolanische Staatschef Hugo Chavez gratulierte zu der Militäraktion. Der Linkssozialist Chavez hatte Anfang des Jahres die Freilassung einer Gruppe von FARC -Geiseln vermittelt und zudem gehofft, die Rebellen zum Einlenken bewegen zu können. Ein Einsatz des kolumbianischen Militärs gegen die FARC in Ecuador führte jedoch zu einer Krise in der Andenregion, die beinahe in einen gewaltsamen Grenzkonflikt gemündet wäre.
Für die FARC bedeutet die Befreiung Betancourts einen weiteren Rückschlag. Die Bewegung wird von den USA und Europa als Terror-Organisation eingestuft. Die Organisation ist die älteste noch bestehende linke Rebellengruppe Lateinamerikas und hatte einst 17.000 Kämpfer. Sie finanziert sich nicht nur durch Entführungen, sondern auch durch den Kokain-Handel. Zuletzt mussten sie aber empfindliche Verluste hinnehmen. So töteten kolumbianische Soldaten bei dem Einsatz in Ecuador die Nummer zwei der Gruppe. Zudem desertierte eine prominente Kommandeurin der FARC und erklärte öffentlich, die Organisation befinde sich in der Auflösung.
Quelle: ntv.de