"Es war meine Entscheidung" Biden verteidigt Abzugschaos in Afghanistan
20.08.2021, 22:28 Uhr
Joe Biden erklärt sich.
(Foto: AP)
Bei einem Auftritt im Weißen Haus versucht US-Präsident Biden zu erklären, warum der Abzug in Afghanistan so abläuft, wie er abläuft. Dabei stellt er sich vor seine Mitarbeiter. US-Amerikaner sind mit Bidens Amtsführung so unzufrieden wie nie.
Afghanistan - die großen US-Medien kennen kaum ein anderes Thema in diesen Tagen. Der Fall des Landes innerhalb von elf Tagen, das neue Selbstbewusstsein der radikalislamischen Taliban, die Tausenden von ihnen freigelassen Terroristen, das zurückgelassene US-Waffenarsenal, aber vor allem: der panische Abzug sowie die amerikanischen Staatsangehörigen und ihre Helfer, die über den internationalen Flughafen Kabuls ausgeflogen werden. US-Präsident Joe Biden ist unter öffentlichem Druck. Er tritt an diesem Freitag im Weißen Haus vor die Pressevertreter, um sich zu erklären.
Biden erläutert zunächst die Lage. Mehrmals betont er, wie geordnet die Evakuierung inzwischen ablaufe. Die US-Vertreter seien vor Ort in Kabul in ständigem persönlichen Austausch mit den Taliban. So werde garantiert, dass alle US-Amerikaner die Möglichkeit hätten, Afghanistan zu verlassen. Zudem werde Verbündeten geholfen. Dazu gehören auch die Deutschen. Und als Biden all das erläutert hat, lässt der US-Präsident im Gegensatz zu Montag, als er sich das erste Mal zum Chaos in Kabul geäußert hatte, auch Nachfragen zu.
Ein Journalist stellt eine Schlüsselfrage: Die US-Botschaft in Afghanistan habe am 13. Juli in einer Nachricht an Washington vor dem rasanten Vormarsch der Taliban gewarnt, warum sei nicht entschiedener gehandelt worden, um Amerikaner aus dem Land zu holen? In der Mitteilung des Außenministeriums waren schnellere Evakuierungen empfohlen worden. Biden bleibt ruhig. "Wir bekommen viele Nachrichten und alle möglichen Ratschläge, falls Sie es gemerkt haben. Manche sagten Kabul würde schneller fallen, andere, die Afghanen würden bis Ende des Jahres durchhalten."
Präsident im Umfragetief
Biden hat allen Grund, sein Vorgehen immer wieder zu erklären. Denn als das Land in Windeseile in die Hände der Taliban fiel, geschah dies auch mit seinen Umfragewerten. Am Freitag, 13. August, bescheinigten Biden 53 Prozent der US-Amerikaner, einen guten Job zu machen. Am Wochenende nahm das Chaos seinen Lauf: Die Islamisten eroberten Kabul, die US-Diplomaten flüchteten aus ihrer Botschaft, Menschen fielen von Flugzeugen. Am Montag sagten in der gleichen Umfrage nur noch 46 Prozent, sie seien mit Bidens Amtsführung zufrieden. Es ist der niedrigste Wert in der wöchentlichen Umfrage von Reuters/Ipsos seit dem Amtsantritt des Präsidenten im Januar. Zugleich zeigten sich 44,9 Prozent unzufrieden, das war seither der größte Anteil.
Am selben Tag befragte das Institut in einer weiteren Umfrage die Amerikaner auch zu Bidens Afghanistan-Politik. Nur 44 Prozent waren damit einverstanden. Das ist der niedrigste Wert aller vier US-Präsidenten, die während des 20-jährigen Krieges an der Macht waren.
Trotzdem stellt sich Biden bei den Nachfragen im Weißen Haus vor seine Regierung. In den vergangenen Tagen waren insbesondere von den oppositionellen Republikanern immer wieder Rücktrittsforderungen gegen einzelne Personen oder gar ganze Beraterstäbe laut geworden. Der Präsident sagt, er habe die Entscheidung über den Abzug allein getroffen, und er habe sie auf Basis der übereinstimmenden Meinung getroffen, falls Kabul falle, werde dies nicht vor Ende des Jahres geschehen. Biden deutet nochmals mit beiden Händen auf sich und wiederholt: "Es war meine Entscheidung."
Der überwältigende Konsens sei gewesen, "dass die afghanische Armee nicht zusammenbrechen würde, dass sie nicht fliehen würde, einfach alles zurücklassen würde und gehen. Aber das ist passiert." Biden versucht damit auch die Grundfrage zu entschärfen, die sich seit mindestens einer Woche stellt: Haben die US-Geheimdienste lückenhafte bis falsche Informationen an den Präsidenten geliefert? Oder hat er sie einfach ignoriert? Denn je nachdem wie die Antworten ausfallen, wird sich der politische Sturm ums Weiße Haus fortsetzen oder an andere Stellen Washingtons weiterziehen; etwa zu einem der beteiligten Ministerien und der Geheimdienste.
"Es gab keine Fehler?"
Vor dem freitäglichen Auftritt im Weißen Haus hatte Biden mit einem Auftritt beim US-Sender "ABC News" noch anderes geäußert und damit auch bei politischen Verbündeten für Verwunderung gesorgt. "Sie glauben nicht, man hätte irgendwie besser damit umgehen können?", hakte Bidens Gesprächspartner an einer Stelle nach: "Es gab keine Fehler?" Biden stritt alles ab: "Nein. Ich sehe keine Möglichkeit, wie man ohne folgendes Chaos dort hätte herauskommen können." Es sei Teil der Erwägungen gewesen, als die Rückzugsentscheidung getroffen wurde. Damit widersprach Biden den eigenen Darstellungen der vergangenen Monate. Da war betont worden, es werde einen sicheren und geordneten Abzug geben.
Biden hatte sich im Wahlkampf immer wieder damit gebrüstet, durch seine Zeit als Vizepräsident unter Barack Obama über eine immense diplomatische Erfahrung und persönliche Kontakte zu Staatschefs zu verfügen. Biden sagte selbst Anfang Juli, es sei "sehr unwahrscheinlich", dass die Taliban das ganze Land erobern würden. Bilder wie beim Fall von Saigon 1975, als die US-Botschaft per Hubschrauber vom Dach evakuiert wurde, werde es nicht geben.
Schon seit Ende Juli nehmen Bidens Zustimmungswerte in der Bevölkerung stetig ab. Das hat möglicherweise mit der Pandemie zu tun, schreiben US-Analysten. Bidens gute Zustimmungswerte wurden nach dessen Amtsantritt auch von den wenigen unabhängigen Wählern und Republikanern getragen, die seinen Umgang bei der Corona-Bekämpfung guthießen. Nun schießen die Infektionszahlen bei Ungeimpften wegen der Delta-Variante nach oben, die Intensivstationen im Süden des Landes geraten an ihre Grenzen und Menschen abseits der Demokraten-Kernwählerschaft geraten ins Zweifeln. Zu der neuen Covid-Welle kommt die Situation in Kabul. Sie ist Bidens erster großer außenpolitischer Härtetest.
Quelle: ntv.de