Regierung lehnt Daten-Debatte ab Breivik ohne Deutschland-Bezug
25.07.2011, 13:16 Uhr
Blumen vor dem Haus der Nordischen Botschaften in Berlin künden von der Anteilnahme in Deutschland.
(Foto: dpa)
Die Anschläge in Norwegen lassen nach Angaben der Bundesregierung bisher keine Verbindungen nach Deutschland erkennen. Auch böten sie keine "zusätzlichen Argumente" für die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Die Deutsche Polizeigewerkschaft nennt die Forderung ihrer Konkurrenzorganisation Gewerkschaft der Polizei nach einer "Datei für auffällige Personen" einen "hanebüchenen Unsinn".
Die Bundesregierung sieht keine Verbindung von Deutschland zu den blutigen Anschlägen in Norwegen. "Tat und Täter weisen nach derzeitigem Kenntnisstand keine Bezüge nach Deutschland auf", sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Berlin. Ähnlich hatte sich zuvor ein Sprecher der Hamburger Innenbehörde geäußert. Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) hatte gesagt, Kontakte zu Hamburger Neonazis könnten nicht ausgeschlossen werden.
In einem ihm zugeschriebenen und im Internet veröffentlichten "Manifest" erwähnt der Attentäter von Oslo auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans sagte dazu, es sei am sinnvollsten, zunächst die norwegischen Sicherheitsbehörden ihre Arbeit machen zu lassen. Unabhängig davon arbeiteten die deutschen Sicherheitsbehörden "grundsätzlich immer am höchstmöglichen Sicherheitsniveau in Deutschland - übrigens für jedermann und nicht nur für namentlich bekannte Personen", fügte er hinzu.
Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium verwahrten sich zudem gegen eine neue Debatte über die Vorratsdatenspeicherung. "Die Vorgänge in Norwegen geben in diesem Zusammenhang keine zusätzlichen Argumente", sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums. Sein Kollege aus dem Justizressort ergänzte, nun sei die Zeit für "Mitgefühl und Reflektion". Alles andere sei "unangemessen". Ausdrücklich wandte er sich gegen "vordergründige innenpolitische Debatten".
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, hatte nach den Anschlägen in Norwegen die in der Koalition heftig umstrittene Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gefordert.
Es gibt keine Patentrezepte
Wolfgang Bosbach, CDU-Innenpolitiker und Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, sagte bei n-tv, es gebe keine Patentrezepte: "Wie hätte man sich davor schützen können? Was soll der Gesetzgeber jetzt an Gesetzen, an neuen Vorschriften verabschieden, um anschließend sagen zu können, ein solches Attentat ist in Deutschland unmöglich? Das wäre ein Patentrezept. Patentrezepte gibt es keine, auch nicht beim Kampf gegen den Terrorismus."
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte, die rechte Szene stehe intensiv unter Beobachtung. Eine zusätzliche Datei für besonders auffällige Personen sei nicht notwendig, zumal alle auffälligen Personengruppen im Rahmen der Gesetze ohnehin beobachtet würden. Im Übrigen sei angesichts des Datenvolumens im Internet eine lückenlose Überwachung nicht leistbar.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hat den Vorschlag ihrer Konkurrenzorganisation Gewerkschaft der Polizei (GdP) abgelehnt, nach den Attentaten in Norwegen eine neue Datei für auffällige Personen einzurichten. Das sei eine "totale Überreaktion", sagte DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt. "Das ist doch hanebüchener Unsinn."
Erstens gebe es keine Rechtsgrundlage für eine solche Datei. Zweitens "wird hier suggeriert, dass man mit technischen Mitteln entschlossene Einzeltäter frühzeitig aufspüren und unschädlich machen könnte", kritisierte Wendt. Das sei jedoch nicht möglich. "Wir müssen akzeptieren, dass das Ausrasten einzelner Verrückter nicht zu verhindern ist".
Wendt forderte stattdessen wie Uhl wirksame Strafverfolgungsinstrumente wie eine Vorratsdatenspeicherung, auch Terrorismusexperte Rolf Tophoven sprach sich dafür aus. "Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist dringend geboten", sagte der Leiter des Instituts für Krisenprävention in Essen. "Hier geht es nicht um einen Orwellschen Überwachungsstaat, sondern um notwendige Instrumente für die Ermittler zur Verbrechensbekämpfung."
Die Neuregelung der vom Bundesverfassungsgericht gekippten generellen Vorratsdatenspeicherung ist seit Monaten ein Streitthema zwischen Union und FDP. CDU und CSU fordern, dass die Kommunikationsdaten aller Bürger auch ohne konkreten Verdacht für eine bestimmte Frist von den Telefon- und Internet-Anbietern gespeichert werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will dagegen die Kommunikationsdaten nur in konkreten Verdachtsfällen nachträglich einfrieren lassen (Quick Freeze). Das hält die Union für völlig unzureichend.
EU drängt Deutschland
Das Bundesverfassungsgericht hatte die alte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung im März 2010 gekippt. Nach ihr wurden Daten von Telefon- und Internetverbindungen sechs Monate lang zur Kriminalitätsbekämpfung gespeichert. Seitdem streitet die Koalition über eine Neuregelung. Die EU mahnt Deutschland, die Richtlinie umzusetzen, wonach Daten von Telefon- und Internetverbindungen sechs bis 24 Monate gespeichert werden müssten. Deutschland komme "seinen Verpflichtungen nicht nach", heißt es in einem Schreiben. Die EU-Kommission verlange eine Stellungnahme bis Mitte August und behalte sich ausdrücklich die Verhängung eines Bußgeldes wegen Vertragsverletzung gegen die Bundesrepublik vor.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP