Politik

Sensation in Moskau Bürgermeisterwahl stärkt Nawalny

Nawalny erlangte 2011/2012 mit den Protesten gegen Putin landesweit Bekanntheit.

Nawalny erlangte 2011/2012 mit den Protesten gegen Putin landesweit Bekanntheit.

(Foto: dpa)

Historischer Tag in Moskau: Zum ersten Mal seit zehn Jahren dürfen die Menschen in Europas größter Stadt ihren Bürgermeister wieder direkt wählen. Kremlgegner Nawalny erreicht dabei ein überraschend starkes Ergebnis - für den Wahlsieg reicht es aber wohl nicht.

Es ist wohl die Krönungswahl für Alexej Nawalny, den Führer der zerstrittenen russischen Opposition - für den Mann, der auch Kremlchef Wladimir Putin einmal besiegen will. Der 37-Jährige erreichte bei der Bürgermeisterwahl in Moskau nach einem erbittert geführten Straßenwahlkampf ein Kunststück der russischen Politik: Aus dem Stand holte er laut Prognosen rund 30 Prozent der Stimmen - etwa das Doppelte des Erwarteten.

Das nannten Beobachter mehr als einen Achtungserfolg gegen den staubtrockenen, vom Kreml gestützten Amtsinhaber Sergej Sobjanin. Der Technokrat kommt laut den Hochrechnungen knapp über die 50-Prozent-Marke - und entgeht damit wohl einer Stichwahl. Ein Duell mit zwei Siegern.

Zerknirscht verlautete nach Schließung der Wahllokale aus dem Stab des Amtsinhabers: Nawalny habe es besser verstanden, seine Anhänger und Protestwähler zu mobilisieren. Sobjanin hingegen habe den Wahlkampf seinen Helfern überlassen.

Nawalny will gegen Putin antreten

Es war ein mit Spannung erwarteter Tag der Entscheidung für den Anti-Korruptionskämpfer Nawalny als Galionsfigur der Protestbewegung gegen Putin. Nawalny will den Präsidenten bei der nächsten Wahl des Staatsoberhaupts 2018 in die Knie zwingen.

Über Moskau - Europas größter Stadt - lag tagsüber eine gespenstische Stimmung. Der Himmel wolkenverhangen, die mächtigen Prospekte wie leer gefegt. Viele sprachen von einem historischen Urnengang. Nicht nur konnten die Moskauer erstmals seit zehn Jahren überhaupt wieder ein Stadtoberhaupt selbst wählen - vorher hatte Putin das bestimmt. Es war vor allem zum ersten Mal auch echte Konkurrenz zugelassen - mit dem jungen Nawalny, der vielen als Vorzeige-Russe gilt.

Der Anwalt und Blogger ist dem Kreml ein Dorn im Auge, weil er zum Ärger Putins das System immer wieder als korrupt, hintertrieben und voller Willkür brandmarkt. Putin schien zuletzt die laufenden Strafverfahren gegen Nawalny zu verteidigen: Wo "dieser Mann" aufkreuze, gebe es Ärger, meinte er. Bei seiner Stimmabgabe sprach der Kremlchef seinem Gegner noch jede Eignung als Rathauschef ab: "Großstädte benötigen keinen Politiker, sondern einen Menschen, der zu arbeiten versteht", sagte Putin in die Mikrofone.

"Ändern wir Russland, fangen wir in Moskau an"

Doch der wortgewandte Nawalny, der mit seiner Frau Julia und den Kindern eine Bilderbuchfamilie abgibt, nimmt solchen Schimpf von Putin als Ansporn. "Geht wählen - ändern wir Russland, fangen wir in Moskau an", schrieb er am Wahltag in einem Blog. Dass sich der vor allem bei jungen Menschen beliebte Populist erstmals erfolgreich einer Wahl stellt, dürfte ihn erheblich stärken.

Aber es war aus Sicht vieler Beobachter auch ein aussichtsloses Gefecht gegen die mächtigen Mühlenflügel des Kreml: Der 55 Jahre alte Amtsinhaber Sobjanin genießt den Rückhalt Putins, die uneingeschränkte Zuwendung der Staatsmedien - und den für viele Russen tadellosen Ruf eines disziplinierten Apparatschiks, der den Moloch Moskau am ehesten in eine gute Zukunft steuern kann.

Der Kreml überließ auch bei dieser Wahl nichts dem Zufall. Ein anderer prominenter Oppositioneller, der Linkspolitiker Sergej Udalzow, etwa durfte nicht teilnehmen. Und sogar das Verteidigungsministerium leistete Schützenhilfe: Zu einem großen Stadtfest, auf dem Sobjanin sich am Sonnabend trotz des am "Tag der Stille" verbotenen Wahlkampfes auf dem Roten Platz in Szene setzte, beschossen Flugzeuge den Himmel mit Chemikalien, um für gutes Wetter zu sorgen.

Angst vor Chaos

Der einstige Kremlfunktionär Sobjanin wurde vor drei Jahren auf den Bürgermeisterposten gehoben - nachdem sein Vorgänger Juri Luschkow nach fast 20 Dienstjahren in Ungnade gefallen war. "Sobjanin ist ein erfahrener Beamter, er hat in den vergangenen drei Jahren die wilden Kioske in der Stadt entfernen lassen, unsere Parks erneuert und neue Metrostationen eröffnet", sagte der 83 Jahre alte Rentner Wassili nach der Stimmabgabe.

"Natürlich gibt es viele Probleme in der Stadt. Aber wir wollen kein Chaos wie in Syrien, wenn auf einmal irgendwelche Oppositionelle kommen", meinte er. Er und seine Frau hätten rund 26.000 Rubel (etwa 650 Euro) zum Leben - das sei genug. Doch vor allem junge Moskauer setzen auf ehrliche Wahlen und einen Neuanfang mit Nawalny.

Quelle: ntv.de, Von Ulf Mauder und Wolfgang Jung, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen