Proteste zentral gesteuert? Bush fordert Ende der Gewalt
08.02.2006, 07:17 UhrKönig Abdullah von Jordanien und US-Präsident George W. Bush haben im Karikatur-Streit zu einem Ende der Gewalt aufgerufen. Proteste, die zu Todesopfern und Zerstörung führten, seien nicht akzeptabel, sagte der jordanische Monarch bei einem Gespräch mit Bush in Washington.
Zugleich müsse unabhängig von der Pressefreiheit alles verurteilt werden, das den Propheten Mohammed verunglimpfe oder die Empfindlichkeiten der Muslime angreife, so Abdullah. Bush forderte alle Regierungen auf, die Gewalt zu stoppen sowie Leben und Eigentum zu schützen. Die USA glaubten an eine freie Presse. "Mit der Freiheit kommt aber die Verantwortung, anderen gegenüber fürsorglich zu sein", sagte Bush.
Gegen die in zahlreichen europäischen Zeitungen veröffentlichten Karikaturen wird in moslemischen Ländern seit Tagen gewaltsam protestiert. Dabei kamen allein in Afghanistan mindestens zehn Menschen ums Leben.
Schäuble will Dialog ausbauen
Die Bundesregierung verständigte sich darauf, die deutschen Kontakte in die arabische Welt weiter mit dem Ziel der Deeskalation zu nutzen. Wirtschaftssanktionen gegen den Iran lehnt die Bundesregierung ab. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will den Dialog mit den Muslimen ausbauen.
Die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) hatten zuvor Muslime in aller Welt zur Ruhe aufgerufen. In einer gemeinsamen Erklärung in New York äußerten UN-Generalsekretär Kofi Annan, der OIC-Generalsekretär Ekmeleddin Ihsanoglu und der EU-Außenbeauftragte Javier Solana Verständnis für den Ärger über "diese beleidigenden Karikaturen". Die jüngsten Gewaltakte gingen jedoch über die Grenzen eines friedlichen Protests hinaus.
Proteste zentral gesteuert?
Die USA und andere Länder prüfen unterdessen, ob die oft gewaltsamen Proteste in den verschiedenen Ländern zentral gesteuert werden. Man gehe der Frage nach, ob es zwischen den vielen Demonstrationen von Nahost über Afghanistan und Bangladesch bis Indonesien eine Verbindung und eine Infrastruktur gebe, sagte ein US-Militärsprecher, Oberst James Yonts, in Afghanistan. Beweise für eine Beteiligung von Organisationen wie den Taliban oder dem Terrornetzwerk Al Kaida gebe es derzeit nicht.
US-Außenministerin Condoleezza Rice erklärte unterdessen, sie habe keinen Zweifel daran, dass Iran und Syrien sich große Mühe gegeben hätten, Gefühle anzuheizen. Sie hätten dies für ihre eigenen Zwecke ausgenutzt.
Marsch auf US-Stützpunkt in Afghanistan
Am Mittwoch eröffneten Polizisten in der südafghanischen Stadt Kalat das Feuer, als mehrere hundert Demonstranten auf einen US-Stützpunkt zumarschierten. Dabei wurden nach Polizeiangaben vier Menschen tödlich getroffen. Elf Demonstranten erlitten Schussverletzungen, acht Polizisten und ein Soldat wurden von Steinen getroffen. Die aufgebrachte Menschenmenge gelangte danach auf einer anderen Straße vor den US-Stützpunkt. Dort setzten sie Augenzeugen zufolge drei Tankfahrzeuge in Brand. US-Soldaten gaben Warnschüsse ab.
Der afghanische Ulama-Rat, die höchste Vereinigung der muslimischen Geistlichen des Landes, rief im Rundfunk zur Beendigung der Proteste auf. "Wir verurteilen die Zeichnungen, aber dies rechtfertigt keine Gewalt", sagte der Geistliche Mohammed Usman. Dies schade nur dem Ansehen des Islams.
Krawalle in Hebron
In Hebron im Westjordanland griffen etwa 300 meist jugendliche Palästinenser den Sitz der internationalen Beobachtermission (TIPH) an. Sie warfen Fensterscheiben ein und versuchten, eines der Gebäude in Brand zu setzen. Dabei riefen sie: "Dänemark raus aus Hebron".
In der Zentrale der TIPH (Temporary International Presence in Hebron) befanden sich zu diesem Zeitpunkt rund 60 Personen. Die Beobachtermission dient als Puffer zwischen der palästinensischen Bevölkerung und jüdischen Siedlern in der Stadt. Elf dänische Beobachter seien bereits bei Beginn der Proteste gegen die Karikaturen abgezogen worden, sagte TIPH-Sprecherin Gunhild Forselv.
Auch in der iranischen Hauptstadt Teheran gab es erneut Ausschreitungen. Demonstranten zogen vor die britische Botschaft und warfen Steine.
Neue Karikatur in Frankreich
Das französische Satire-Blatt "Charlie-Hebdo" druckte am Mittwoch die von der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" bereits im September veröffentlichten Mohammed-Karikaturen nach und fügte eine eigene Zeichnung hinzu. Darin wird ein Prophet Mohammed gezeigt, der den Kopf in seine Hände stützt. Darunter steht die Zeile: "Schlimm, von Idioten verehrt zu werden."
Präsident Jacques Chirac reagierte scharf: "Die Meinungsfreiheit muss im Geiste der Verantwortung ausgeübt werden. Ich verurteile alle offensichtlichen Provokationen, die geeignet sind, gefährliche Leidenschaften zu entfachen."
Aktuelle Stunde am Freitag im Bundestag
Für eine am Freitag geplante aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema sagten auf Einladung der Grünen führende Vertreter deutscher islamischer Verbände ihr Kommen zu: der Präsident des Islamrats, Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Ayyub Axel Köhler sowie Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib).
Bundesregierung lehnt Wirtschaftssanktionen gegen Iran ab
Wirtschaftssanktionen gegen den Iran lehnt die Bundesregierung ab. Eine staatlich gelenkte Zeitung des Landes hatte am Vortag zu einem "internationalen Karikaturen-Wettbewerb zum Holocaust" aufgerufen. Zudem hat der Iran einen Warenboykott gegen Dänemark angekündigt. Auf die Frage nach möglichen wirtschaftlichen Sanktionen Deutschlands gegen den Iran sagte Regierungssprecher Thomas Steg, Maßnahmen Deutschlands "gleich welcher Art" seien nicht angemessen.
Steg betonte, in der gegenwärtig angespannten Lage gehe es darum, die Eskalation nicht weiter zu befördern, sondern die Verständigung zu stärken. Wirtschaftlicher Austausch könne hier den gesellschaftlichen Wandel fördern und die Annäherung voranbringen. Dies sei einhellige Meinung der Kabinettsmitglieder. Alle etwaigen Strafmaßnahmen würden ohnehin ausschließlich auf Ebene der Europäischen Union beschlossen.
Sportler bleiben in Dänemark
Dänische Profisportler sagten mehrere Turniere in islamischen Ländern ab. Nachdem der Tischtennisspieler Michael Maze seine Meldung für Wettbewerbe in Katar und Kuwait zurückgezogen hatte, bestätigte der Golfverband in Kopenhagen am Mittwoch, dass die Profis Anders Hansen und Sren Kjeldsen nicht wie geplant an einem Turnier in der indonesischen Hauptstadt Jakarta teilnehmen würden. Der Fußballverband DBU erklärte, man beobachte die Entwicklung mit Blick auf ein im März geplantes Länderspiel in Israel genau. Für Entscheidungen sei es aber noch zu früh.
Quelle: ntv.de