Reise in die Vergangenheit des internationalen Terrors Carlos - zwischen bin Laden und Cartman
07.11.2011, 06:26 Uhr
Ilich Ramírez Sánchez, bekannt als Carlos, ist seit 1994 in Frankreich inhaftiert und verbüßt dort eine lebenslange Haftstrafe. (Archivbild vom 28.11.2000)
(Foto: AP)
Er war der meistgesuchte Mann der Welt: Carlos, genannt "der Schakal". Im Namen des palästinensischen Freiheitskampfes führte er zahlreiche Anschläge aus, mutierte zum selbstverliebten Jetset-Terroristen und landete schließlich in Frankreichs berüchtigstem Knast. Jetzt steht Carlos erneut vor Gericht.
Irgendwann hat der fette Junge genug von den Witzen über sein Gewicht. "Die ganze Welt wird von mir hören", brüllt Ilich Ramírez Sánchez seine Mitschüler im venezolanischen Caracas an. Er sollte Recht behalten, zumindest teilweise. Denn er wurde berühmt - vor allem unter dem Spitznamen "Carlos" - besser bekannt als "der Schakal", Superstar des internationalen Terrors, meistgesuchter Mann der Welt.
Bis zu seiner Verhaftung 1994 verübte Carlos einige der spektakulärsten und blutigsten Anschläge des Ost-West-Konflikts. Heute beginnt ein neuer Prozess gegen den inzwischen 62-Jährigen, der seit 1997 im Pariser Santé-Gefängnis einsitzt, wegen des Mordes an zwei französischen Geheimagenten und ihrem Informanten. Dafür bekam er bereits eine lebenslängliche Haftstrafe aufgebrummt - doch Frankreich ist noch nicht fertig mit ihm.
Denn für die Grande Nation war Carlos das, was Osama bin Laden für die USA war: Staatsfeind Nummer 1, ein mordendes Genie mit internationalem Netzwerk. Doch noch ein anderer Vergleich bietet sich an: der zu Eric Cartman, dem fettleibigen Jungen der Satire-Serie "South Park" - ein geltungssüchtiger Egomane, dessen Laienhaftigkeit nur noch von seiner Brutalität übertroffen wird.
"Einer der am wenigsten kompetenten Terroristen"
David Yallop, Autor des Carlos-Standardwerkes "Bis zum Ende der Welt - die Jagd auf den Schakal", urteilt heute besonders hart über den einst meistgesuchten Mann der Welt. In einer Dokumentation des History-Channels erklärte Yallop: "Der Mythos macht ihn zu einem super effizienten Killer im Stile eines James Bond, ein vollendeter Profi, der stets Herr seiner Aktionen war. In Wirklichkeit war er wohl einer der am wenigsten kompetenten Terroristen seit dem 2. Weltkrieg."
Geboren wurde Carlos 1949 als Sohn eines wohlhabenden Anwalts in Caracas, Venezuela. In der behaglichen Sicherheit seines Mittelstands-Lebens heraus begeisterte sich der Vater für den Marxismus. Seine drei Söhne nannte er nach dem Kommunistenführer Wladimir, Ilich und Lenin. Ilich ging 1968 auf gute Schulen in Caracas und London, bevor er ein Studium an der Patrice-Lumumba-Universität in Moskau begann. Doch so sehr sich Ilich für die Theorie des Klassenkampfes begeisterte, sein Lebensstil war im besten Sinne bürgerlich: Gutes Essen und teure Klamotten - er flog im zweiten Studienjahr von der Uni.
Wie alles begann
Seine Terror-Karriere begann mit den Kämpfern der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). In deren Ausbildungscamp in Jordanien legte er sich 1970 den Kampfnamen "Carlos" zu. PFLP-Führer Wadi Haddad nahm ihn unter seine Fittiche und es folgte ein knappes Vierteljahrhundert der Gewalt.
Los ging es mit einem Fehlschlag. Carlos' Attentat auf den jüdischen Geschäftsmann und Zionisten Joseph Sieff 1973 ging schief: Sein Schuss ins Gesicht von Sieff prallte an dessen kräftigen Zähnen ab, der rüstige Mann überlebte. Es folgten weitere Terroraktionen, darunter zwei gescheiterte Angriffe gegen israelische Flugzeuge in Paris-Orly und Bombenanschläge auf französische Zeitungen, für die er zumindest die Verantwortung übernahm.
Öffentlichkeit machte Carlos nichts aus, im Gegenteil. Er suchte sie regelrecht. Im Sommer 1975 hatten ihn die französischen Behörden dann auch aufgespürt - mitten in Paris. Doch die Verhaftung wurde ein Desaster: Carlos erschoss zwei Agenten des Geheimdienstes und den Undercover-Ermittler, Michel Moukharbal, der für den israelischen Mossad arbeitete. Carlos floh über Brüssel nach Beirut, sein Name stand nun endgültig auf allen Fahndungslisten. Was ihn jedoch nicht aufhielt.
Synonym für Furcht und Schrecken

Der "Schakal" steht diesmal für vier Attentate vor Gericht, die in den 1980er Jahren elf Menschen das Leben kosteten.
(Foto: REUTERS)
Im Dezember 1975 kehrte er für die spektakulärste Aktion seiner "Karriere" zurück. Zusammen mit fünf Helfern, darunter die deutschen Linksextremisten Hans-Joachim Klein (Mitglied der Revolutionären Zellen) und Gabriele Kröcher-Tiedemann (RAF-Terroristin) stürmte er die Konferenz der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) in Wien. Zwei Polizisten und ein Libyer wurden erschossen, 62 Menschen, darunter elf OPEC-Minister, wurden als Geiseln genommen. Carlos' Ziel: Die Erschießung des saudischen und iranischen Ölministers. Doch es kam ganz anders.
Erst flog die Bande mit den Geiseln nach Algerien, dann Libyen, dann wieder zurück nach Algerien. Am Ende kamen auch die beiden eigentlichen Zielpersonen von Carlos frei, gegen ein Lösegeld in Millionenhöhe. Die PFLP-Führung setzte ihn daraufhin vor die Tür: Weder hatte Carlos die Minister erschossen, noch hatte er das Lösegeld dabei.
Selbsternannter Berufsrevolutionär
Die Medien hatten jedoch inzwischen die Legende von Carlos geschaffen. "Der Schakal" hieß er, seit man in seinem Pariser Versteck den gleichnamigen Roman von Frederick Forsyth fand. Nach Carlos' Verhaftung 1994 schrieb Forsyth in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, für ihn sei dieser "Schakal" nicht mehr als ein "mörderischer Psychopath" gewesen. "Er mordete, weil es ihm Spaß machte. Je hilfloser das Opfer, desto besser."
Carlos machte den Schritt in die terroristische Unabhängigkeit, arbeitet sozusagen als freischaffender Mörder nicht mehr nur für Libyens Muammar Gaddafi, sondern auch für Despoten wie Iraks Saddam Hussein oder Rumäniens Nicolae Ceaucescu. Auch zur Stasi in Ost-Berlin hatte er gute Kontakte, lebte zeitweise sogar in der DDR. Markus Wolf, Chef der Stasi-Hauptabteilung Aufklärung, beschrieb ihn nach der Wende als "eine richtige Wildkatze". "Er verbrachte seine Nächte, die Pistole umgeschnallt, an der Bar, von Frauen umgeben, soff wie ein Loch." Sogar die mächtige Stasi hatte Angst vor dem unberechenbaren Carlos, so Wolf später, man habe ihn vor allem nicht als Feind gegen sich haben wollen. "Das war eine Art Appeasement-Taktik", so Wolf, "wir wollten auf keinen Fall die politischen Konsequenzen hineingezogen werden, die die Aktionen dieser Gruppe nach sich ziehen konnten."
Meistgesucht und fast vergessen
Genützt hat es wenig: Als Carlos' deutsche Frau, Magdalene Kopp, 1982 nach einem gescheiterten Anschlag auf ein französisches Kernkraftwerk verhaftet wurde, lief Carlos regelrecht Amok. Neben Bombenanschlägen auf Züge in Frankreich griff die Carlos-Bande auch das französische Kulturzentrum Maison de France in Berlin an. Anfang der 90er Jahre aber war Carlos vor allem eines: Auf der Flucht. Sie endete 1994 im Sudan. Dort nahmen ihn französische Agenten nur wenige Tage nach einer Hodenoperation fest. Den Gerichtssaal in Paris machte Carlos dann noch einmal zur Bühne seiner kruden Propaganda. Das Urteil nahm er auf mit den Worten "Die Revolution lebt. Allah ist groß!"
Seitdem ist Carlos in Vergessenheit geraten. Der linksextremistische Terror wurde verdrängt vom islamistischen Terror. RAF und PFLP wurden abgelöst von Al-Kaida und Osama bin Laden. Dem spendete Carlos aus dem Gefängnis Beifall für die Anschläge am 11. September 2011, wirklich interessiert hat das damals schon niemanden mehr. Jetzt will ihn die französische Justiz noch einmal verurteilen, denn für die vielen Anschläge vor allem in Frankreich wurde Carlos nie offiziell angeklagt. Im zehnten Jahr nach "9/11" wirkt es ein wenig wie eine Reise in die graue Vergangenheit des internationalen Terrors.
Quelle: ntv.de